Japans Regierung möchte bei Halbleitern an die Weltspitze gelangen. Der Chef des Milliardenprojekts Rapidus erklärt, welche Rolle das Mega-Startup bei der Umsetzung dieses Plans spielt – und warum er auf europäische Hilfe setzt.

Das jüngste Mega-Startup der Chipindustrie hat den ältesten Vorstand. Der Chef des japanischen Unternehmens Rapidus, Atsuyoshi Koike, ist bereits 72 Jahre alt. Trotzdem plant er weit in die Zukunft. «Unser Ziel ist es, sowohl in der fortschrittlichen Logikchipfertigung als auch im Packaging weltweit führend zu sein», sagte er im Gespräch mit der NZZ. «Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber eines, von dem wir glauben, dass es für Japans Zukunft notwendig ist.»

Logikchips sind die fortschrittlichsten Halbleiter der Welt. Sie werden derzeit vor allem für KI-Anwendungen verwendet. Beim sogenannten Packaging werden sie mit anderen Chips zu leistungsstarken Systemen verbunden. Bis anhin dominiert TSMC aus Taiwan diesen Markt. Doch Rapidus greift an, mit staatlichen Subventionen und internationaler Kooperation.

Das erste Werk von Rapidus auf der nordjapanischen Insel Hokkaido ist bereits im Bau. Direkt neben dem internationalen Flughafen Neu-Chitose entstehen riesige Hallen, in denen ab 2027 global wettbewerbsfähige High-End-Chips mit 2 Nanometer feinen Strukturen auf den Markt kommen sollen.

Bereits jetzt zieht es die Aufmerksamkeit von Experten auf sich. So hat das Unternehmen diesen Monat sein Absatzziel von einer Billion Yen (rund 5,8 Milliarden Euro) jährlich um zehn Jahre auf 2030 vorgezogen.

Für die amerikanische Denkfabrik Center for International and Strategic Studies wäre ein Produktionsstart von Rapidus bereits eine «beispiellose technologische Leistung». Denn die Japaner würden mehrere Chipgenerationen überspringen, die Rivalen wie TSMC aus Taiwan, Samsung Electronics aus Südkorea oder Intel schrittweise entwickelt haben.

Auch Koike weiss, dass das eine Herausforderung ist. Japan habe bei der Entwicklung von Spitzenchips inzwischen schliesslich zwanzig Jahre Rückstand, aber «mit starker staatlicher Unterstützung haben wir die Chance, Japans Führungsrolle in dieser Schlüsselindustrie wiederzubeleben».

Japans Regierung unterstützt Chipfabriken

An staatlicher Hilfe mangelt es nicht. Auch Japan nimmt am globalen Subventionsrennen teil. Im April hat das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti) seine Hilfe für Rapidus auf 6,6 Milliarden Euro verdoppelt. Minister Ken Saito erklärte dazu: «Die Halbleiter der nächsten Generation, an denen Rapidus arbeitet, sind die wichtigste Technologie, die die Zukunft der japanischen Industrie und des Wirtschaftswachstums bestimmen wird.»

Aber allen ist klar, dass dies nur die Anzahlung für das Projekt ist. Koike schätzt, dass Rapidus staatliche Förderung in Höhe von 2 Billionen Yen (umgerechnet 11,7 Milliarden Euro) für Forschung und Entwicklung und weitere 3 Billionen Yen für den Aufbau der Produktion benötigen wird.

Damit befände sich Japan im globalen Subventionswettrennen für den Auf- oder Ausbau der Chipindustrie auf Augenhöhe mit den USA, der Europäischen Union und Südkorea. Jede Regierung hat jeweils um die 50 Milliarden Dollar versprochen. Nur China spielt mit Hilfen von weit über 100 Milliarden Dollar in einer anderen Liga.

Koike glaubt allerdings, dass das Geld gut angelegt ist. «Unser Ziel ist es, innerhalb von zehn bis zwanzig Jahren kommerziell auf eigenen Füssen zu stehen», sagt er. Als Vorbild dient ihm Taiwan, wo die Regierung mithilfe engagierter Chipexperten ab den 1980er Jahren den heute wichtigsten Chipstandort der Welt aufgebaut hat. «Auch TSMC wurde in den Anfangsjahren stark vom Staat unterstützt, ist aber heute ein hochprofitables Privatunternehmen», sagt Koike.

Rapidus kam aus dem Nichts

«Das Projekt darf auf keinen Fall scheitern», sagte Wirtschaftsminister Saito im vorigen Jahr. Und so geht Japan beim Bau von eigenen Chipfabriken noch einen Schritt weiter als Europa und Deutschland. Während Europa auf die Ansiedelung von Werken der Hersteller TSMC und Intel setzt, die bereits etablierte Chiptechnologien produzieren, will Japan selbst zu einem globalen Technologieführer werden – so wie es das früher einmal war.

In den 1980er Jahren stammten mehr als 50 Prozent der Chips aus Japan, das damals auch Weltmarktführer bei Computern war. Das wirkt bis heute nach. Laut Data Pandas hat Japan mit 102 Werken vor Taiwan noch immer die meisten Chipfabriken auf der Welt.

Zwar verwenden die meisten nur reife Chiptechnologien, zum Beispiel für Sensoren. Allerdings sind japanische Hersteller von Produktionsanlagen, Bauteilen und Chemikalien für die Chipindustrie weiter unentbehrlich. Mit dem Speicherchiphersteller Kioxia und mit Renesas, einem Hersteller von Leistungshalbleitern, zum Beispiel für die Autoindustrie, gibt es auch weiterhin bekannte Chiphersteller.

Derzeit zuständig für den Wiederaufbau der Chipindustrie ist Hisashi Kanazashi, der Leiter der Abteilung für Informationstechnologie im Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie. Lange habe Japan hingenommen, dass das Land die Spitzentechnologie in der Chipproduktion an agilere Rivalen aus Taiwan und Südkorea verloren habe, erzählt der Beamte. Der «Weckruf» sei der Chipmangel in der Autoindustrie während der Corona-Pandemie gewesen.

Der wachsende Technologiekrieg zwischen den USA und China sowie Chinas Invasionsdrohung gegenüber Taiwan verstärkten die Sorgen. Und so legte Japans Regierung prompt ein grosses Programm zur wirtschaftlichen Sicherheit an.

Als erstes Land begann Japan bereits 2020, die Verlagerung von Fabriken aus China in andere asiatische Länder oder nach Japan zu subventionieren. Auch bei der Anwerbung von Chipherstellern preschte Japan international vor. «Das Timing hat hervorragend funktioniert», meint der Meti-Beamte heute.

Japan sicherte sich früh TSMC-Werke

Die Regierung posaunte die Pläne nicht gross heraus, sondern schloss sich hinter den Kulissen mit interessierten japanischen Unternehmen zusammen. Vor allem der Elektronik- und Unterhaltungskonzern Sony warb bei TSMC massiv darum, eine Fabrik in Japan zu bauen. Und die Regierung unterstützte den Vorstoss aktiv.

Das Ergebnis wurde zum Vorbild für TSMC-Werke in anderen Ländern. Sony und Japans grösster Automobilzulieferer Denso wurden zu Mitinvestoren und Stammkunden. Das bedeutete für TSMC Planungssicherheit. Die Regierung sagte zudem hohe staatliche Subventionen zu. Ähnlich sieht es nun in Deutschland beim Dresdner Werk von TSMC aus. Dort sind der Denso-Rivale Bosch und die Chipunternehmen Infineon und NXP Teilhaber, die Regierung zusätzlicher Geldgeber.

Dabei half laut dem Meti-Beamten allerdings, dass auch TSMC sich selbst internationalisieren wollte. Denn Taiwan, eine Insel von der Grösse der Schweiz mit 23 Millionen Einwohnern, wird langsam zu klein für die wachsende Chipindustrie. Zudem bemerkte auch TSMC, dass sowohl viele Länder als auch die Kunden auf mehr lokale Produktion drängten.

Das Ergebnis: Während die USA und Deutschland noch mit Chipherstellern wie TSMC über eine Ansiedlung diskutierten, hatte TSMC schon sein erstes Werk im südjapanischen Kumamoto zugesagt. Dort sollen grosse Chips für Japans Auto- und Elektronikindustrie produziert werden. Das Werk ist im Frühjahr fertiggestellt worden. Anders als bei Werken in den USA lief der Bau so glatt, dass TSMC bereits ein zweites Chipwerk plant, das sogar Chips mit nur 6 Nanometer kleinen Strukturen herstellen soll.

Japan AG hegte alte Ambitionen

Der plötzliche staatliche Schwung weckte auch in Japans alter Garde der Chipindustrie die Hoffnung auf eine zweite Chance. Der Rapidus-CEO Koike war vor rund zwanzig Jahren Chef von Trecenti, einem Joint Venture zwischen Hitachi und dem taiwanischen Chiphersteller UMC.

Das Projekt war technologisch weltweit führend und scheiterte dennoch. Im Lenz seines Lebens zahlten sich Koikes globale Kontakte und seine Lehren aus. Als der amerikanische Konzern IBM nun auf der Suche nach einem Produktionspartner für seine neue 2-Nanometer-Technologie war, fanden sie die Japaner, die im Vorhaben die «letzte Chance» für die heimische Chipindustrie sahen.

Die Initiatoren sammelten acht japanische Investoren wie Toyota, Denso, Sony, Kioxia und NEC und gewannen den Staat als Geldgeber. Gleichzeitig setzen sie auf eine globale Kooperation, ohne die es für Koike nicht geht. Dazu wären die Kosten zu hoch und die Lieferketten zu komplex.

Bei Rapidus liefert nun IBM das Design, der belgische Anlagenhersteller Imec die Anlagen für die Lithografie, also das Ätzen der feinen Strukturen durch die Belichtung einer lichtempfindlichen Schicht. Das Fraunhofer-Institut IZM ist ebenfalls mit dabei – beim Packaging der Chips, der Anordnung der Bauteile auf einem Chip.

Packaging wird heutzutage immer wichtiger. Denn immer kleinere Strukturen zu haben, reicht heutzutage nicht mehr. Indem mehrere Prozessoren übereinander angeordnet und mit anderen Funktionen wie Speicherchips und neuronalen Prozessoren kombiniert werden, kann die Rechenleistung noch weiter erhöht und der Strombedarf gesenkt werden.

Die Herausforderungen sind allerdings hoch für Rapidus. Joanne Chiao, Analystin des taiwanischen Marktforschers Trendforce, weist dabei vor allem auf die Anwerbung von Kunden hin. Denn es sei schwer zu beweisen, dass die Produktionstechnologie bereit sei. Zudem errichtet Rapidus das Werk fernab anderer Chipzentren. Bei der Massenproduktion von 2-Nanometer-Chips ist Rapidus im Vergleich zu Intel, TSMC und Samsung zwei Jahre im Rückstand.

Koike ist allerdings zuversichtlich, dass Rapidus den Rückstand aufholen kann – dank innovativer Produktionstechnik. «Wenn wir die Lernzyklen für das Chipdesign und die Produktion doppelt so schnell wie bisher durchführen, können wir einen Rückstand zur Konkurrenz aufholen.»

Als reiner Auftragshersteller sei Rapidus neutral, stichelt er kaum verhohlen gegen Samsung und Intel, die selbst Chips herstellen. Ein weiterer Grund ist für Koike die Geopolitik: «Immer mehr Kunden sind sich des Risikos bewusst, das die Konzentration der High-End-Halbleiterproduktion in einem Land mit sich bringt.»

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