Dienstag, November 19

Schon am ersten Gipfeltag wurde die gemeinsame Abschlusserklärung überraschend verabschiedet. Der argentinische Präsident drohte, die Dokument nicht zu unterzeichnen. Am Ende tat er es doch – unter lautstarkem Protest.

Die Begrüssung war grimmig: Als der argentinische Präsident Javier Milei zu Beginn des G-20-Gipfels als einer der letzten Staatsgäste den gastgebenden Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva begrüsste, versuchte keiner der beiden zu verbergen, wie wenig er von seinem Gegenüber hält.

Die heruntergezogenen Mundwinkel der beiden Staatspräsidenten auf dem offiziellen Foto gingen sofort viral in den sozialen Netzwerken – der Unterschied zu den anderen Staatsgästen, die alle mehr oder weniger lächelnd mit Lula posierten, war eklatant.

Fast ein Jahr ist Milei nun im Amt, doch seinen Amtskollegen Lula im Nachbarland Brasilien hat der libertäre Präsident noch nicht persönlich getroffen. Dabei ist Brasilien Argentiniens wichtigster politischer und wirtschaftlicher Partner in Lateinamerika. Dass der Argentinier Lula im Wahlkampf als «Kommunisten» und «Dieb» beschimpft hatte und davon auch als Staatschef des krisengeschüttelten Landes nicht abrücken wollte, war einer guten Zusammenarbeit wenig förderlich.

Milei radikalisiert seine Aussenpolitik

In Rio ging Milei direkt auf Konfrontationskurs: Der argentinische Präsident drohte, den G-20-Gipfel, das wichtigste Treffen in Lulas dritter Amtszeit, platzen zu lassen. Milei wollte die seit einem Jahr vorbereitete Abschlusserklärung des Gipfels nicht unterzeichnen. Er unterstütze weder die Allianz gegen den Hunger, noch die Förderung von Frauen, die Gleichstellung der Geschlechter, Massnahmen zur Energiewende oder die Steuer für Superreiche.

Aus diplomatischen Kreisen war zu hören, dass die argentinische Delegation seit vergangener Woche plötzlich die monatelang ausgehandelten Kompromisse nicht mehr mittragen wollte.

Das ist symptomatisch für die neue argentinische Aussenpolitik, die Milei in den vergangenen Wochen radikalisiert hat. Erst vor wenigen Wochen feuerte Milei seine Aussenministerin Diana Mondino. Sie hatte in der Uno-Generalversammlung für die Aufhebung des US-Handelsembargos gegen Kuba gestimmt – so wie es ihre Vorgänger bereits Dutzende Mal getan hatten. Milei, der harten Kurs gegen die kubanische Diktatur fahren will, strafte Mondino für ihr traditionelles Stimmverhalten ab. Danach ernannte Milei Alec Oxenford, einen argentinischen Start-up-Unternehmer ohne jegliche diplomatische Erfahrung, zum US-Botschafter Argentiniens.

Letzte Woche zog Milei ohne Vorankündigung die argentinische Delegation vom Klimagipfel in Baku ab. In Buenos Aires erklärte er, er bezweifle, dass es einen menschengemachten Klimawandel gebe. Dies sei eine Lüge, die dazu diene, die Freiheit der Menschen einzuschränken. Zuvor hatte er die Agenda 2030 der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen als «sozialistisches Diktat» verurteilt, an dem sich Argentinien unter seiner Präsidentschaft nicht beteiligen werde.

Will Milei als selbsternannter Stellvertreter Trumps auftreten?

Am Wochenende war Milei nach Florida gereist, um an einer Gala zu Ehren von Donald Trump teilzunehmen. Milei war der erste ausländische Staatschef, der Trump nach dessen Wahlsieg traf. In einer Rede lobte Milei sein Vorbild und sprach vom «grössten politischen Comeback der Geschichte».

Entsprechend besorgt war die brasilianische Diplomatie, dass Milei nun in Rio als eine Art selbsternannter Stellvertreter Trumps dessen isolationistischen Kurs vorwegnehmen würde. In Rio hiess es den ganzen Montag über, es hänge von Milei persönlich ab, ob er mit seinem Alleingang den Gipfel platzen lasse.

Denn Abschlusserklärungen von Gipfeln gelten als gescheitert, wenn sie nicht einstimmig beschlossen werden. So wie Trump in seiner ersten Amtszeit Gipfeldeklarationen immer mit einem Sonderzusatz versah, im Gipfeljargon 19+1 genannt.

Doch am späten Nachmittag kam die überraschende Wende. Milei würde die Abschlusserklärung unterzeichnen. In ihr wird unter anderem festgehalten, dass sich die G-20-Länder künftig für eine wirksame Besteuerung der Superreichen einsetzen wollen. Ausserdem bekräftigen sie das international vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Der Uno-Sicherheitsrat soll reformiert und repräsentativer, inklusiver, effizienter und demokratischer werden. Weitere wird eine globale Allianz gegen Hunger und Armut ins Leben gerufen.

In einer Rede erklärte Milei aber noch, in welchen Punkten er anderer Meinung sei. Im Mittelpunkt stand die von Brasilien initiierte Allianz gegen Hunger und Armut. Sie wird bereits von mehr als 80 Staaten unterstützt und soll innerhalb von sechs Jahren Verbesserungen für 500 Millionen Arme in der Welt bringen.

Wie sollen sich die beiden einig werden im Mercosur?

Milei hingegen erklärte, dass staatliche Interventionen ineffizient seien und der freie Markt die beste Lösung im Kampf gegen Hunger und Armut darstelle. «Jedes Mal, wenn versucht wurde, Hunger und Armut durch eine stärkere Präsenz des Staates in der Wirtschaft zu bekämpfen, war das Ergebnis die Abwanderung von Bevölkerung und Kapital und der Tod von Millionen Menschen», kritisierte er diesen Ansatz.

Wie gross der ideologische Graben zwischen Milei und Lula ist, wurde deutlich, als der Brasilianer sein Projekt verteidigte. Lula, der als Kind in ärmsten Verhältnissen aufwuchs, sagte, es sei ein Fehler gewesen, die Auswüchse der Privatisierungen und die Entwicklung zum Minimalstaat nicht korrigiert zu haben. Er kritisierte, dass die G-20 bei ihrer Gründung mitten in der Finanzkrise 2008 beschlossen hätten, den Privatsektor zu retten, anstatt den Staat zu stärken. Die neoliberale Globalisierung sei gescheitert, so Lula.

Angesichts der schwierigen Kompromisssuche auf dem G-20-Gipfel bleibt die Frage, wie sich die beiden wichtigsten Staatschefs der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur zusammenraufen wollen, um doch noch in diesem Jahr zu einem Abkommen mit der EU und der Efta zu gelangen.

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