Dienstag, Oktober 8

200 Influencer durften den Parteikongress der Demokraten in Chicago besuchen. Sie sollen junge Wähler für Harris mobilisieren, die keine klassischen Nachrichten konsumieren. Doch auch Trump und die Republikaner suchen die Nähe zu Influencern.

Beim Kongress der Demokraten diese Woche in Chicago trat neben den Partei-Granden Kamala Harris, Joe Biden sowie Barack und Michelle Obama auch eine weitere Gruppe auf: Influencer. Das sind Personen, die mit ihren Beiträgen auf sozialen Netzwerken hohe Reichweiten erzielen. Gleich fünf von ihnen durften den Kongress in einer Rede direkt adressieren.

Der Effort der Demokraten, die Gruppe der Influencer zu umwerben, ist intensiv. Insgesamt 200 Influencer erhielten eine Akkreditierung zum Kongress, wie sie sonst Journalisten vorbehalten ist. Die Influencer sollen vom Kongress berichten und ihre Fans für die Demokraten mobilisieren.

Demokraten mit Boost nach Biden-Rücktritt

Nach Bidens Rücktritt von der Präsidentschaftskandidatur hat Harris’ Kampagne in den sozialen Netzwerken einen Blitzstart hingelegt. Memes – digitale Medieninhalte – über sie werden millionenfach geteilt. Die Nutzer freuen sich über den frischen Wind im Rennen um das Weisse Haus.

Auf Tiktok, der vor allem bei Jungen beliebten Videoplattform, erhielt der Account von Harris laut einer Analyse von CNN in zwanzig Tagen mehr als doppelt so viele Views wie jener von Biden zuvor in fünf Monaten, bei deutlich weniger Beiträgen.

Die Kampagnenführer von Harris wollen diese virale Gratiswerbung für die jüngste Wählergruppe aufrechterhalten. In der Veranstaltungshalle am Parteikongress in Chicago wurden mehrere Bereiche für die Influencer reserviert, damit sie dort Videos drehen können. Auf den Tribünen sind für sie Plätze mit guter Aussicht auf die Rednerbühne reserviert.

Einige dürfen sogar selbst eine Rede halten, wie die 24-jährige Deja Foxx. Vor fünf Jahren war sie die jüngste Mitarbeiterin von Kamala Harris’ kurzer Präsidentschaftskampagne. Die Aktivistin stammt aus Arizona und setzt sich für ein liberales Abtreibungsrecht ein. In ihren Videos vom Parteitag gewährt sie ihren Fans einen Blick hinter die Kulissen. Sie geht die Outfits durch, die sie tragen wird, und zeigt ihre Freude über ihren Auftritt und ihre Nervosität. Dazwischen betreibt sie Aufklärung rund um das Thema Abtreibung.

Die Entscheidung, Influencer an den Parteikongress einzuladen, sende ein starkes Signal an junge Wählerinnen und Wähler aus, sagte Foxx in einem Interview mit dem öffentlichrechtlichen Radio NPR. Es signalisiere den jungen Menschen, dass Harris ihnen zuhöre und auf sie eingehe, sagte sie weiter. Dass sie selbst reden konnte, deutet Foxx als «eine Erinnerung daran, dass die Zukunft der Politik mit der Gen Z anders aussehen» werde.

Einen Auftritt im United-Center-Stadion hatte auch Carlos Eduardo Espina aus Texas. Der 25 Jahre alte Sohn von Einwanderern aus Lateinamerika, teilt auf Tiktok auf Spanisch Videos über Nachrichten, Politik und Sport. In seinen Videos vom Kongress nimmt er seine Fans mit in die Veranstaltungshalle und lässt sie an der Stimmung teilhaben. Die Euphorie sei «total», kommentierte er begeistert den Auftritt von Biden am Montag.

Anders als Journalisten von etablierten Medien sind Influencer nicht an Standards wie Ausgewogenheit oder Faktentreue gebunden. «Ich bin sehr parteiisch», sagte etwa der 35-jährige Josh Helfgott, ein Influencer, der Beiträge zu LGBTQ+ macht. «Es steht ausser Frage, dass die eingeladenen Influencer Kamala unterstützen, zumindest alle, die ich getroffen habe», sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.

Influencer erreichen mit ihren Inhalten junge Personen, die oft keine klassischen Nachrichten konsumieren. Laut einer aktuellen Studie des Pew Research Center nutzen rund die Hälfte der unter 30-jährigen Amerikaner regelmässig Tiktok, um sich über Nachrichten zu informieren. Das sind deutlich mehr als in den anderen Altersgruppen. Und obwohl politische Werbung auf Tiktok laut den Richtlinien verboten ist, erfreuen sich politische Inhalte – geteilt von Accounts der Kandidaten oder von Dritten – grosser Beliebtheit.

Das wollen sich die Demokraten zunutze machen. «Die Teilnahme von Influencern an unserem Kongress wird unsere Reichweite vergrössern und sicherstellen, dass jeder die Demokratie in Aktion erleben kann,» sagte Cayana Mackey-Nance, Direktorin für digitale Strategie der Demokraten, vor dem Kongress in einer Mitteilung.

Auch Trump sucht die Nähe von Influencern

Lange nutzten die Republikaner die sozialen Netzwerke besser für ihre Zwecke als die Demokraten. Donald Trump hat sich in verschiedenen sozialen Netzwerken eine grosse Fangemeinde aufgebaut. Er ist sozusagen selbst sein grösster Influencer. Dabei gibt er sich direkt und ungeschminkt – und schreckt auch vor dem Teilen manipulierter Inhalte nicht zurück. So teilte er am Sonntag von einer künstlichen Intelligenz erzeugte Bilder von Taylor Swift. In ihnen gibt die prominente Sängerin scheinbar ihre Unterstützung für Trump bekannt. Swift verfügt durch verschiedene Kanäle über eine enorme Reichweite und hatte sich vor vier Jahren für Biden ausgesprochen. In diesem Wahlkampf hat sie bisher keine Position bezogen, ihre Fans aber zum Wählen aufgerufen.

Trump sucht nun auch die Nähe zu Influencern. Auf dem Parteitag der Republikaner letzten Monat hielt Amber Rose, Influencerin und Model, eine Rede. Auf Tiktok ist Trump ebenfalls präsent. Sein Account, der seit dem 1. Juni aktiv ist, hat über 10 Millionen Follower und 38,2 Millionen Likes.

Auf seinem Kanal posiert er etwa mit dem 29-jährigen Influencer und Wrestler Logan Paul. Er trat auch in dessen Podcast auf. Auch sonst zeigt er sich auf Tiktok gerne mit Kampfsportlern. Mit dem 23-jährigen Videospiel-Livestreamer Adin Ross hält er in einem Video zu den Klängen der Nationalhymne ein kleines Tänzchen ab.

Ross, der wegen mehrerer Fälle von Hassrede von der bei Jungen beliebten Streaming-Plattform Twitch gesperrt wurde, besuchte Trump für ein Interview auf dessen Anwesen Mar-a-Lago in Florida. Das Treffen wurde live gestreamt – und damit es sicher Aufsehen erregt, überreichte Ross Trump einen Cybertruck von Tesla.

Wer viral geht, gewinnt?

Der Tiktok-Account von Harris hat zwar nur knapp 4 Millionen Follower, dafür aber über 84 Millionen Likes. Hier wird Harris als die freundliche, menschliche Alternative zu Trump inszeniert.

In einem Video sieht man, wie sie aus einem Flugzeug steigt und zu den Klängen einer Gitarre Kinder begrüsst. Plötzlich wird die Musik düster, und die Kamera zoomt in den Hintergrund, wo gerade ein Flugzeug der Trump-Kampagne gelandet ist. «Ich will mich entspannt zurücklehnen und den Abend geniessen, als ich plötzlich diese aufgeregte, knirschende Stimme höre», tönt es in der Tonspur, die einer Reality-TV-Show entnommen wurde.

Solche Aktionen sind darauf ausgelegt, auf den sozialen Netzwerken möglichst viele Leute zu erreichen. Mit der Zusammenarbeit mit den Influencern, mit den Posen und den Tänzchen wollen Harris und Trump Nähe zu jungen Wählern schaffen, um sie zu mobilisieren. Ob sich das Werben in Stimmen auszahlt, wird sich allerdings erst am 5. November zeigen.

Exit mobile version