Freitag, Dezember 27

Holocaust im Film ist kompliziert. Das klassische KZ-Kino ist durchgespielt, Jonathan Glazer versucht es nun mit einer steilen Antithese zu «Schindler’s List».

In «Schindler’s List» gibt es diese Szene, in der jüdische Frauen im KZ in den Duschraum getrieben werden. Die Tonspur bereitet auf das Schlimmste vor: Die Streichinstrumente sind dramatisch zum Crescendo angeschwollen, dann bricht die Basslinie ab. Die Frauen fangen an zu schreien, panisch die Blicke nach oben zu den Duschköpfen: Kommt Gas, oder kommt Wasser?

Grossaufnahme Duschkopf: Die Regie von Steven Spielberg hält die Spannung. Endlich die Auflösung: Wasser, es ist nur Wasser. Arme und Hände strecken sich in die Höhe, man lebt! Aus den Duschen regnet jetzt das Wasser dekorativ im Gegenlicht. Der Horror hat sich in eine Ästhetik aufgelöst, fast wie aus der Shampoo-Werbung.

Eigentlich brutaler Kitsch. Aber vielleicht geht es nicht anders: Wer breitenwirksam erzählen will, darf sich für nichts zu schade sein. In «Schindler’s List» finden Holocaust und Hollywood mustergültig zusammen, nennen wir es den Holowood-Film.

Kubrick kritisierte Spielberg

Holocaust im Film ist kompliziert. Zweieinhalb Einwände stehen im Raum: Darf und soll man den Holocaust überhaupt als Spielfilm, also in einem fiktionalen Zugriff, aufbereiten und kommerziell verwerten? Und wenn ja: Ist es jemals wirklich gut gelungen?

Dürfen ist einigermassen klar. Die Frage ist nur, ab wann es zu schamlos wird. Also wie ungeniert darf ein Film aus dem Holocaust heraus Spannung ziehen oder ein Melodrama machen? Die Meinungen gehen auseinander. Für Michael Haneke ist nur schon die Idee, aus der Duschkopf-Frage Spannung zu erzeugen, «unsäglich». Ähnlich Stanley Kubrick, der Spielberg vorwarf, keinen Film über einen Völkermord gedreht zu haben, sondern einen über ein erfolgreiches Unterfangen: «Beim Holocaust geht es um sechs Millionen Menschen, die umgebracht wurden. In ‹Schindler’s List› um 600, die nicht umgebracht wurden.»

Kann man so sehen oder anders: Suspense und Happy Endings haben an der Kinokasse noch nie geschadet. Die wenigsten Leute kaufen einen Eintritt nur wegen Gaskammern. Einer wie Spielberg weiss das. Er macht Filme mit Wirkung, mit «Schindler’s List» wollte er besonders viel Wirkung erzielen. Was ihm gelungen ist: Es gab zwar schon davor Content wie den amerikanischen TV-Mehrteiler «Holocaust» von 1978, aber erst «Schindler’s List» fünfzehn Jahre später sorgte dafür, dass die Naziverbrechen im kollektiven Bewusstsein verankert sind, wie sie es sind. Der Holowood-Film ist nicht grundsätzlich verkehrt.

Später kamen andere Zugriffe, die Filmemacher mussten sich etwas einfallen lassen. Immer nur KZ nutzt sich ab. Mutig voran schritt etwa Tarantino: In «Inglourious Basterds» schoss er Hitler über den Haufen, das hatte Chuzpe. Oder Roberto Benigni, der in «La vita è bella» betonte, dass man sich von den Nazis neben all den Menschenleben nicht auch noch den Humor nehmen lassen darf. Nur das deutsche Kino hatte beim Holocaust kaum je einen lohnenden Gedanken. Von der menschlichen Annäherung an Hitler in «Der Untergang» zur frivolen Faszination für die jüdische Nazikollaborateurin jüngst in «Stella»: Das deutsche Holocaust-Kino kommt über billige Versuche, ein bisschen zu provozieren, kaum hinaus.

An der Berlinale lief neulich der Film «In Liebe, Eure Hilde» von Andreas Dresen, es geht um die von der Gestapo so genannte Widerstandsbewegung «Rote Kapelle». Dresen erzählt vom heldenhaften deutschen Widerstand, Hakenkreuze gibt es keine, und bis endlich mal jemand «Heil Hitler» sagt, ist der halbe Film vorbei. Die deutschen Kritiker lobten Dresen genau dafür, sehr befreiend finden sie das: endlich Nazi-Kino ohne Nazis!

Komplizierte Phase fürs Holocaust-Kino

Nun kann man deutschen Regisseuren nicht verbieten, Filme über den Holocaust zu machen. Und vielleicht sind diese jüngsten Produktionen auch nicht nur Ausdruck von deren Unvermögen: Steckt womöglich der Holocaust-Film gerade in einer komplizierten Phase? Das klassische KZ-Kino ist durchgespielt. Und hinzu kommt, dass die letzten Zeitzeugen der Shoah wegsterben. Wenn man so will, erlischt deren Copyright: Das Thema steht jetzt zur freien Verfügung. Es darf verramscht werden.

Aber es geht auch anders. «The Zone of Interest» ist das Gegenbeispiel. Die britische Produktion beweist, dass ein ebenso unverbrauchter wie zündender Zugriff noch immer möglich ist. Zum Thema ist längst nicht alles gesagt. Das Publikumsinteresse ist gross, die Kritik begeistert. Für den Oscar nominiert ist der Film auch. Ja, ein mittlerer Hype ist entstanden um «The Zone of Interest»: Wer hätte gedacht, dass ein Holocaust-Film noch so ziehen kann?

Glazer erzählt, frei nach dem gleichnamigen Roman von Martin Amis, vom Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss (Christian Friedel) und seiner Hedwig (Sandra Hüller). Mit den Kindern wohnt man an der Mauer zum KZ. «Rudi nennt mich die Königin von Auschwitz», sagt stolz Hedwig. Von drüben regnet es Asche, aber die Sonne scheint trotzdem. Im paradiesischen Garten gibt es Sonnenblumen, Rosmarin, rote Beete, den Kohlrabi hebt die Gattin besonders hervor, «da essen die Kinder jede Menge von». Glazer zeigt die Hössens als glückliche Familie auf dem Land. Hinter die KZ-Mauer schaut der Film nicht, das ist sein Kniff.

Die schwarze Leinwand

Glazer geht also nicht, wie weiland Spielberg, mit in die Duschräume. In «The Zone of Interest» interessiert nicht die Nähe, nicht der Schockeffekt. Vielmehr ist der Film in seiner Distanz und Nüchternheit eine echte Antithese zu «Schindler’s List». Dass man sich den Horror selber hinzudenken muss, ist dabei doppelt wirkmächtig: Auf der einen Seite spiegelt Glazer so die Verdrängungsleistung von Familie Höss. Auf der anderen fordert der Filmemacher vom Zuschauer ein, nicht zu verdrängen.

Vorstellungskraft ist gefragt. Das macht gleich das erste Bild klar, das gar kein eigentliches ist: Lange ist die Leinwand schwarz, es dröhnt nur ohrenbetäubend (Sound: Mica Levi). Die Tonspur evoziert den Terror, statt ihn bloss zu unterstreichen. Als die Bilder dann endlich ablaufen, wartet Glazer lange, bis er in die Nahaufnahmen übergeht, bis er der Familie Höss und ihrer Gesellschaft wirklich Gesichter gibt. Gerade so, als wollte er zunächst nur Schablonen präsentieren: Der britisch-jüdische Filmemacher erzählt nicht einfach von führenden Nazis, die ein KZ zum Nachbarn hatten. Sondern überhaupt von den Deutschen, die das Grauen hinter ihren Vorgärten verdrängten. So weit ist das brillant.

Trotzdem kann man den Film kritisch hinterfragen. Auch wenn man zuerst völlig eingenommen war, nach der Premiere im Mai am Filmfestival in Cannes: Jetzt kommen einem auch Zweifel. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, wie die Beteiligten über den Film sprechen.

Ihn habe «die groteske Gewöhnlichkeit der Höss-Familie» interessiert, erklärt der Regisseur in einem Gespräch mit einer kleinen Gruppe von internationalen Journalisten via Zoom. «Ich wollte unsere Ähnlichkeit zu den Tätern zeigen, nicht die Ähnlichkeit zu ihnen als Massenmördern, aber zu ihnen als Menschen, die zu Massenmördern wurden.» Christian Friedel, der Höss spielt, sagt es im Interview mit der «NZZ am Sonntag» ähnlich: Eine bittere Wahrheit werde in dem Film gezeigt, dass es nämlich «normale, sogar langweilige Menschen waren, die diese Verbrechen an anderen Menschen begangen haben».

Nun ist es Glazers und auch Friedels Verdienst, dass sie dem Publikum keine verzerrten Nazi-Fratzen präsentieren. Denn das ist genau das Problem mit dem Standard-Kino-Nazi: Er ist so zur Karikatur entstellt, dass man sich mit ihm nicht weiter beschäftigen muss. Dabei soll man sich mit ihm beschäftigen müssen: Das ist Sinn und Zweck eines Films über Nazis. Glazers Film beschäftigt einen noch lange, das spricht sehr für ihn.

Was den «Zone of Interest»-Nazi nun aber heikel macht, ist, dass ihm der eigentliche Hass abgeht. Dieser Höss aus dem Film scheint kein nennenswerter Ideologe zu sein. Wenn man ihm so zuschaut, hat man das Gefühl: Die Juden sind nicht sein Problem, er möchte einfach einen super Job machen. Er ist ein Logistiker, wenn auch ein ausgesprochen ehrgeiziger. Als er Pläne für ein neues Krematoriumssystem vorstellt, redet er von der «Ladung», die möglichst effizient verbrannt werden müsse: «Abkühlen lassen, ausladen, neu verladen», so spricht er.

Und ja, so sprachen die Nazis auch: Hannah Arendt betonte in ihrem Bericht zu Adolf Eichmann und der «Banalität des Bösen», dass die Sprache der Nazis darauf aus war, die Ermordung der Juden möglichst zu abstrahieren: Sie redeten nicht von Menschen, um so ihr eigenes Gewissen zu beruhigen. Aber wie man inzwischen weiss, war Eichmann nicht einfach einer, der freudig im Papierkram aufging. Und Höss genauso wenig: Er war schon in den zwanziger Jahren ein glühender Judenhasser, der gerne selber Hand anlegte. Indem Glazer ihn auf den grauen Technokraten reduziert, riskiert der Film eine Trivialität des Bösen.

Die hasserfüllte Ideologie fehlt

Wie Familie Höss mit einem KZ in der Nachbarschaft lebte (so wie im Grunde ganz Deutschland) und das Töten ausblendete: Das zeigt «The Zone of Interest» mit staunenswerter Präzision. Es herrscht hier eine Kälte vor, selten hat es einen im Kino so geschaudert. Aber woher die Kälte kommt, darüber denkt Jonathan Glazer nicht wirklich nach.

Wie der Schauspieler Christian Friedel auch nicht; beide reden sehr allgemein vom Menschsein. Er weigere sich, «zu glauben, dass wir Gewalt als Teil der menschlichen Natur akzeptieren müssen», sagt Glazer.

Die Fähigkeit der Leute, die Gewalt auszublenden, scheint für ihn das Ausbreiten der Gewalt erst möglich gemacht zu haben. Da ist sicher etwas dran. Dennoch ist es komplizierter: Nazideutschland hätte mit dem Morden nicht aufgehört, wenn es gewissermassen statt hinter einer Mauer direkt bei den Leuten im Garten geschehen wäre.

Am Anfang steht der Hass. Erst wenn der Hass gross genug ist, kann er in Gleichgültigkeit umschlagen. Dem gewöhnlichen Nazi, vom führenden ganz zu schweigen, waren die Juden ja nicht gleich, er hat die Juden zu hassen gelernt – und da schaut Glazer nicht hin. Das blendet sein Film aus.

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