Montag, September 30

Schweizer Städte stehen vor einer grossen Herausforderung: Die Preise für Neubauwohnungen werden weiter steigen, angetrieben von exorbitanten Preisen für Bauland.

In den letzten Jahren haben sich die Schweizerinnen und Schweizer daran gewöhnt, dass die Wohnkosten in Städten wie Zürich, Genf oder Zug unaufhaltsam weiter steigen. Eine Vierzimmerwohnung für 4000 Franken? Keine Seltenheit mehr. Doch was steckt hinter diesen exorbitanten Preisen? Nur wenige ahnen, dass die Teuerung gerade erst beginnt, Fahrt aufzunehmen.

Seit der Pandemie haben sich zum einen die Baukosten deutlich verteuert. Noch alarmierender sind aber die derzeit extrem hohen Preise für Bauland an guten Lagen. «Es zeichnet sich eine spürbare Veränderung ab», sagt Robert Weinert, Ökonom bei Wüest Partner. Die Mieten für neue Wohnräume übersteigen den Durchschnitt der Wohnungsmieten in den jeweiligen Quartieren deutlich.

Wohnraum wird zum Luxusgut

Betrachten wir die Stadt Solothurn, wo ein Quadratmeter Boden rund
1000 Franken kostet. Kombinieren wir diese Ausgaben mit den Baukosten und einer mietrechtlich zulässigen Rendite, ergibt sich für eine neu gebaute Mietwohnung mit drei bis vier Zimmern eine Monatsmiete von netto etwa 2000 Franken. In Zürich Altstetten hingegen würde die gleiche Wohnung mehr als doppelt so viel kosten, nämlich rund 4800 Franken. Im prestigeträchtigen Zürcher Seefeld klettern die Mieten gar auf 5700 bis 6000 Franken, ohne Nebenkosten (siehe Tabelle unten).

Der wichtigste Kostentreiber sind die Baulandpreise. Der Immobilienexperte Martin Hofer, der in den letzten Jahren viele Projektentwicklungen begleitet hat, sagt dazu: «An guten Lagen in Zürich oder in Zug kostet heute der Quadratmeter Wohnbauland rund 10 000 bis 15 000 Franken.» Sogar noch teurer seien Parzellen, wo sich Stockwerkeigentum realisieren lasse. Die Folgen sind klar: Diese Kosten spiegeln sich eins zu eins in höheren Mieten und höheren Kaufpreisen.

Der Ökonom Robert Weinert führt mehrere Ursachen ins Feld, vor allem die «Knappheit an Bauland und andere raumplanerische Beschränkungen». So gelten in den Städten oft strenge Einschränkungen, was Gebäudehöhen betrifft. Auch die Nachfrage spielt eine Rolle: Die Preise für Bauland können laut Weinert auch nur deshalb so hoch liegen, weil eine entsprechende Zahlungsbereitschaft auf dem Mietwohnungsmarkt gegeben sei.

«Preise werden noch mehr durch die Decke gehen»

Martin Hofer sieht die Verantwortung für diese Entwicklung in einer verfehlten Raumplanung. «Als das Raumplanungsgesetz 2014 in Kraft trat, war das starke Bevölkerungswachstum kein Thema», bemerkt er. Priorität hatte seither die Innenentwicklung in den Städten. Doch diese Politik erweise sich nun als «Schildbürgerstreich». Früher war es für die Bauwirtschaft vergleichsweise einfach, jährlich 50 000 Neubauwohnungen zu realisieren. Doch ein solches Volumen ist heute im bestehenden Siedlungsgebiet kaum noch zu erreichen.

«Die Entwicklung nach innen ist ein hehres Ziel, wenn wir aber Wohnraum für eine 10-Millionen-Schweiz schaffen wollen, müssen wir auch über Einzonungen nachdenken.» Hofer schlägt vor, Freiflächen in Stadtnähe für den Wohnungsbau freizugeben, und spricht von einer «Verdichtung nach aussen». Ohne solche Massnahmen, so Hofer, könnten die Preise in den Innenstädten «bald noch mehr durch die Decke gehen».

Schweizer Städte unter Druck

In der komplexen Welt der Stadtplanung steht die Schweiz vor einer grossen Herausforderung, wie Christian Hilber, Professor für Economic Geography an der London School of Economics und der Universität Zürich, ausführt. «Raumplanung und die Einteilung von Stadtgebieten in unterschiedliche Nutzungen sind zwar unerlässlich», erklärt Hilber. Doch wenn Planungsbeschränkungen das Wachstum einfrieren und Grünzonen um jeden Preis schützen, treibt dies die Landpreise und Mieten in die Höhe.

Eine Studie zu englischen Städten zeigt, dass Immobilienpreise ohne jegliche planungsrechtliche Beschränkungen um durchschnittlich 35 Prozent niedriger wären. Dasselbe Phänomen lässt sich in Städten wie Zürich und Genf beobachten. «Wenn das Siedlungsgebiet nicht wachsen kann, steigen die Preise. Das ist ein universelles Prinzip», fügt Hilber hinzu.

Die derzeitige Entwicklung zeigt, dass Baubeschränkungen nicht nur fortbestehen, sondern weiter verschärft werden. In Zürich stehen etwa drei Viertel des Siedlungsgebietes unter Ortsbildschutz.

Wie sieht das Szenario aus, wenn die Bevölkerung weiter wächst und die Bauzonen begrenzt bleiben? «Wenn sich nichts ändert, werden wir in den Schweizer Zentren noch höhere Preise sehen als heute», mahnt Hilber.

Weiter wie bisher oder strategische Neuausrichtung?

Stefan Fahrländer, Ökonom und Geschäftsführer des gleichnamigen Beratungsunternehmens, sieht eine anhaltende Wohnraumknappheit in Schweizer Städten voraus: «Bis 2040 braucht die Schweiz rund 522 000 zusätzliche Wohnungen.» Der Bedarf könnte sogar höher sein, wenn der Trend zu Kleinhaushalten anhält.

Die Zukunft der Schweizer Stadtentwicklung steht also auf dem Prüfstand. Laut dem Immobilienexperten Fahrländer sind die bestehenden Reserven an eingezontem Bauland häufig an suboptimalen Standorten angesiedelt. Und die Zonen an zentralen Lagen sind praktisch vollständig überbaut.

Seine Daten ergeben eine kritische Bilanz: In den Ballungsräumen Zürich, Zürichsee und Winterthur sind die Bauzonen nahezu vollständig ausgeschöpft. Auch am Genfersee und im Herzen der Zentralschweiz, inklusive Zug, neigt sich das Potenzial der Bauzonen dem Ende zu. Diese Entwicklung lässt kaum Zweifel an der Notwendigkeit einer beschleunigten Verdichtung in den bestehenden Zonen – ein Unterfangen, das immer mehr an seine Grenzen stösst.

Reserven sind oft theoretische Planwerte

Hinzu kommt, dass die Potenziale an Nachverdichtungen und Aufstockungen oft rein theoretische Planwerte darstellen: «Es sind Eigentümer, die bauen und verdichten. Doch oft eilt es diesen nicht. Sie nehmen eine eigene Interessenabwägung vor.» Die Erfahrung der Stadtentwicklung zeige auch, dass zuerst die «low hanging fruits» abgeschöpft würden. Jeder Quadratmeter zusätzlichen Wohnraums muss in einem heiklen Umfeld mit Einsprachen, Rechtsstreit und Baubeschränkungen mühsam erkämpft werden.

Es sei ganz einfach das falsche «Mantra» der gängigen Raumplanungs- und Wohnungspolitik, dass in den grossen Agglomerationen wie Zürich auf keinen Fall mehr Bauland eingezont werden dürfe. Diese Politik habe einen Preis: Wenn das Wachstum und der Wohnungsbau an die Peripherie verlagert werden, gerät die Verkehrsinfrastruktur unter Druck. Dies zeigt sich in überfüllten S-Bahnen und endlosen Staus um die grossen Wirtschaftszentren. Stefan Fahrländer ist überzeugt: «Wir müssen dort neue Angebote schaffen, wo die Menschen gerne hinziehen wollen und wo die Pendlerdistanzen kürzer sind.»

Die Schlussfolgerung ist klar: Die Schweiz steht vor der Wahl, das Wachstum an periphere Orte zu verlagern oder urbaner und dichter in Stadtnähe zu bauen. «Damit verbrauchen wir unter dem Strich nur halb so viel Bauland wie bei den Neubauten an der Peripherie», so die These von Fahrländer.

Wie Zürich den Wandel steuert

Stehen wir vor einem Wendepunkt der Siedlungsentwicklung? Für die zuständige Baudirektion des Kantons Zürich sind Einzonungen von Bauland derzeit kein Thema, wie ihr Sprecher Markus Pfanner ausführt: «Einerseits bestehen innerhalb der heutigen Bauzonen noch genügend Reserven, andererseits setzt der Kanton Zürich die Siedlungsentwicklung nach innen mit gezielten Um- und Aufzonungen um.» Aufgrund der gegenwärtigen Dynamik geht der Kanton davon aus, dass der grösste Teil des erwarteten Wachstums bis 2040 in den gut erschlossenen, urbanen Räumen abgedeckt werden kann, insbesondere im Glatt- und im Limmattal, aber auch in Zürich und Winterthur.

Die «bestehenden Reserven würden rechnerisch sogar für die nächsten zwanzig Jahre ausreichen», sagt Markus Pfanner. Bei den noch nicht ausgeschöpften Baulandreserven fänden sich auch viele, die gut erschlossen und zentral seien, wie zum Beispiel das Niderfeld in Dietikon.

Exit mobile version