Die Technoszene Berlins ist bekannt für gute DJ-Sets, Fetischpartys, Drogen, Kontrollverlust. Und erbarmungslose Türsteher, die Partygäste abweisen. Wer weiss, wie diese «harten Türen» funktionieren, hat bessere Chancen, dabei zu sein.
Komme ich rein, oder komme ich nicht rein? Das ist die Frage, die vielen Partygängern durch den Kopf geht, wenn sie sich an einem Samstagabend (oder auch Sonntagnachmittag oder Montagmorgen) in die Schlange vor dem «Berghain» einreihen, dem bekanntesten Klub Berlins.
Beim Einlass angekommen, sind viele nervös. Die Angst vor einem «heute nicht» ist meist stärker als die Vorfreude auf die Musik.
Die Berliner Klubszene ist berühmt für gute DJ-Sets, ungewöhnliche Locations, Partys bis weit in den nächsten Tag hinein. Für Sex, Drogen, jeglichen Verlust für das Zeitgefühl. Seit 2024 ist sie Teil des Unesco-Weltkulturerbes, bietet einen Platz für Subkultur. Doch sie ist auch exklusiv.
«Viele Jahre habe ich gedacht: Diese Türpolitik ist doch pure Willkür», sagt Ilias Danatzis. Er hat zehn Jahre lang in Berlin gelebt, kennt die Klubs, kam häufig rein. Häufig ist er aber auch abgewiesen worden.
Heute arbeitet Danatzis als Professor für Marketing am King’s College in London, wo er inzwischen auch lebt. Doch die Berliner Klubszene hat ihn nicht losgelassen. Zusammen mit drei Co-Autoren hat er eine Studie durchgeführt, um zu klären, wie genau Klubs entscheiden, wen sie einlassen und wen nicht.
Nun weiss Danatzis: Nichts ist Willkür. Sondern alles hat System.
Der Auswahlprozess als Paradox
Die Studienautoren haben zwischen 2018 und 2022 einige der grössten Berliner Klubs untersucht, Archive durchforstet und mit Partygästen, Veranstalterinnen und Türstehern gesprochen. Für eine Nacht haben Danatzis und ein Co-Autor eine Türsteherin eines bekannten Berliner Klubs begleitet. Der Name des Lokals muss geheim bleiben – laut der Studie hat es eine der härtesten Einlasskontrollen und ist bekannt für seine langen Warteschlangen.
Die Studie zeigt: Berliner Klubs wollen die richtige Mischung von Leuten bei sich haben. Sie «kuratieren» die Party – etwa so, wie ein Museum Bilder und Kunstwerke zu einer Ausstellung gruppiert.
Der Auswahlprozess der Partygäste ist paradox: Danatzis sagt, man müsse einerseits signalisieren, dass man zur Szene dazugehöre, und gleichzeitig herausstechen.
Darüber, ob man eingelassen wird oder draussen bleiben muss, entscheiden mehrere Faktoren. Partygäste können sich vor dem Klubbesuch folgende Fragen stellen:
Frage 1: Wie motiviert bin ich für die Klubnacht?
«Warum bist du hier?» oder «Wonach suchst du?». Das sind laut der Studie typische Fragen von Türstehern. Sie wollen nicht hören, dass man herkomme, weil der Klub berühmt sei und man ihn einmal gesehen haben möchte. Und auch nicht, dass man wegen seiner Freundesgruppe da sei, um zusammen eine gute Zeit zu haben. Sie wollen hören, dass man ausschliesslich für genau diese Party heute das Haus verlassen hat. Dass man anderen Menschen begegnen und die Musik geniessen will.
Hierbei lohne es sich, zu zeigen, dass man etwas von der Subkultur verstehe, sagt Danatzis. Eine Frau habe optisch beispielsweise gar nicht zur Szene des Klubs gepasst. «Die Dame war Mitte fünfzig, trug Jeans und T-Shirt und in der Hand zwei grosse Lidl-Tüten.»
Doch sie sei direkt auf den Türsteher zumarschiert und habe gesagt: «Ich muss da rein. Ich liebe den DJ.» Sie habe mehrere Sets des DJ aufgezählt und sei so begeistert gewesen, dass die Türsteher sie direkt eingelassen hätten.
Der Studienautor Danatzis sagt, Türsteher fragten auch häufig, wo man zuvor gewesen sei. Da könne man mit dem Namen einer unbekannten Insider-Bar glänzen, die zur Szene des Klubs passe.
Frage 2: Wie verhalte ich mich beim Warten?
Klubs haben bestimmte Verfahren, wie sie Körpersprache und Verhalten der Wartenden analysieren. Sicherheitsleute gehen von Zeit zu Zeit an den Wartenden vorbei, schauen, ob Personen dabei sind, die andere anpöbeln, zu alkoholisiert sind oder auch einfach nur unangenehm laut. Auch auf Überwachungskameras werden aggressive Gäste ausgemacht und dann abgewiesen.
Gleichzeitig ist es laut Danatzis gern gesehen, wenn die Klubgäste zeigen, dass sie gerne mit anderen Menschen interagieren. Wer mit Fremden ins Gespräch komme und vorne mit dem Türsteher oder der Türsteherin plaudere, falle positiv auf. Gleichzeitig dürfe man nicht zu überdreht sein.
Danatzis sagt, es brauche ein gewisses Selbstbewusstsein. Klubs hätten häufig eine Art «Bad cop, good cop»-System: Ein grimmig dreinschauender Sicherheitsbeamter starre etwa einen Gast an und versuche ihm Angst einzuflössen, während der Türsteher ihn in freundlichen Smalltalk verwickle. Lasse man sich nicht einschüchtern und gehe offen und locker ins Gespräch, habe man den Test bestanden.
Frage 3: Was ziehe ich an?
Das Outfit ist nicht das wichtigste Kriterium, doch es bleibt entscheidend. Verpönt sind laut der Studie Anzug, Handtaschen oder Highheels. Doch nur Schwarz und Leder zu tragen, ist zu einfach.
Jeder Klub und jeder Event beherbergt eine andere Szene. Manche sind vom Stil her spielerisch und verträumt, andere eher derb. Hier könne man kreativ sein, in ein Outfit die persönliche Note einbringen, sagt Danatzis, und zum schwarzen Lederoutfit etwas Buntes kombinieren.
In solchen Fällen seien auch Highheels okay, wenn sie denn etwas Spezielles, Persönliches unterstrichen. «Manche Klubgänger überlegen sich Tage vor der Klubnacht, was sie anziehen werden.»
Der Mythos ist Teil des Systems
Dass es so schwierig ist, in die Berliner Klubs reinzukommen, ist Teil des Konzepts. Die Studie spricht in diesem Zusammenhang von einer bewussten Mystifizierung: Die Klubbetreiberinnen und -betreiber wollen nicht preisgeben, wie genau man reinkommt und was drinnen passiert.
Mit dieser Aura des Geheimnisvollen können sie eine Exklusivität herstellen. Wer es in den Klub hineinschafft, fühlt sich besonders.
Danatzis sagt: «Ich weiss nicht, ob meine Chancen für den nächsten Klubbesuch in Berlin besser sind, nachdem ich diese Studie durchgeführt habe.» Aber auf jeden Fall wisse er jetzt mehr.