Montag, September 30

Die Erderwärmung wirkt oft abstrakt. Wer das Thema veranschaulichen will, muss eine Menge bedenken: Es braucht spannende Beispiele, hilfsbereite Wissenschafter und geeignete Datenquellen. Und eine Menge Programmierarbeit.

Der Klimawandel wirkt oft schwer fassbar. Typischerweise werden Grafiken mit den Kurven von Treibhausgasen und Temperaturen gezeigt. Das ist nicht sehr nah am Leben. Und es müsste auch nicht so sein.

Wie sich die Landschaft mit dem Klimawandel verändern wird, können Wissenschafter vorhersagen – zwar nicht im Detail und nicht präzise, aber es gibt zu vielen Aspekten umfangreiche Daten. Und diese Daten lassen sich anschaulich darstellen. Das war die Motivation für uns, eine Visualisierung des Klimawandels in der Schweiz zu versuchen.

Das Wasserschloss Schweiz im Jahr 2075 – wie der Klimawandel die Landschaft umkrempelt

Gletscher schrumpfen, Wälder wandeln sich fundamental, Flüsse werden warm. All das hat Folgen für Tiere und Menschen. Eine Visualisierung entlang der Aare.

Starten Sie hier die Visualisierung

So weit weg – und doch für viele noch erlebbar

Die Idee war, ein wichtiges Thema des Klimawandels in der Schweiz herauszugreifen: das Wasser. Die Dürresommer der vergangenen Jahre und die heftigen Regenfälle in diesem Sommer haben schon gezeigt, wohin die Reise geht. In Zukunft wird es häufiger Trockenheit geben, es fällt weniger Schnee, und die Gletscher schrumpfen.

Was das für die Landschaft der Schweiz bedeutet, haben Wissenschafter in vielen Studien untersucht. Wir baten diese Fachleute, uns ihre Daten von Zukunftsberechnungen zu überlassen. Das haben sie getan, aber oft blieb es nicht dabei: Die Wissenschafter halfen uns auch dabei, die Daten besser zu verstehen und diese angemessen darzustellen.

Wir konzentrierten uns in dieser Geschichte auf den Flusslauf der Aare. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe: Die Aare fliesst mitten durch verschiedene Landschaften der Schweiz, und entlang des Flusses trifft man auf alle Themen, die mit der Rolle des Wassers im Klimawandel zusammenhängen.

Unsere Visualisierung zeigt das Jahr 2075. Bis dahin werden die Veränderungen durch den Klimawandel schon deutlich zu sehen sein. Das Datum ist aber auch nicht zu weit weg, es ist gerade einmal 50 Jahre entfernt. Wer heute ein Teenager oder ein junger Erwachsener ist, wird das Jahr 2075 noch erleben.

Vorausgesetzt haben wir ein mittleres Szenario für die Treibhausgaskonzentrationen: Die Welt betreibt gemäss diesem weiterhin Klimaschutz, aber nicht genug, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Dieses Szenario ist also weder extrem pessimistisch noch extrem optimistisch.

Von den Daten zur Visualisierung

In unserer Visualisierung unternehmen die Leser einen virtuellen Flug über die Schweiz. Die Grundlage für diese Bilder waren zunächst einmal Satellitenbilder der Gegenwart sowie topografische Daten der Landschaft.

Doch im Jahr 2075 wird sich vieles verändert haben: Es wird weniger Schnee liegen, Gletscher werden geschrumpft sein, es wird neue Seen geben, und die Vegetation wird sich gewandelt haben. Daten aus wissenschaftlichen Berechnungen zu diesen Aspekten liegen räumlich aufgelöst vor.

Anhand dieser Daten bearbeiteten wir das Satellitenbild der Gegenwart, um die Zukunft darzustellen. Wo keine hochaufgelösten wissenschaftlichen Daten vorlagen, etwa zum Schnee, passten wir in Zusammenarbeit mit Wissenschaftern die Landschaft nach allgemeingültigen Aussagen an. Man weiss zum Beispiel, dass an den Südhängen im Sommer in der Zukunft gar kein Schnee mehr vorhanden sein wird. So entfernten wir dort den Schnee vom Bild.

Wo abstraktere Veränderungen dargestellt werden sollten, blendeten wir klassische Elemente der Visualisierung ein – Karten und Datenvisualisierungen: Wie stark steigen die Wassertemperaturen in einem kleinen Fluss? Wo könnte in Zukunft der Anbau von Mandeln möglich sein?

In zwei Szenen zoomen wir dicht an die Landschaft heran – der Leser fliegt dann nicht mehr darüber, sondern steht mittendrin. Wir zeigen zum einen ein ehemaliges Gletschertal, wo es heute noch die Aaregletscher gibt. Dort ist ein neuer See entstanden. An einer anderen Stelle begeben sich die Leser an einen Waldrand, dessen Artzusammensetzung sich gewandelt hat. Diese Szenerie schufen wir mit einer Software, die normalerweise verwendet wird, um interaktive Computerspiele zu generieren. In diesen beiden Fällen konnten wir dank wissenschaftlicher Beratung landschaftliche Details visualisieren.

Für die Darstellung war viel Arbeit an Kleinigkeiten nötig

Die Arbeit an dieser Visualisierung erforderte eine Menge Feinarbeit an Details. Die wissenschaftlichen Daten mussten in die Software zur Visualisierung eingespeist werden. Farben und Texturen von Oberflächen sollten das wiedergeben, was wir aussagen wollen, aber auch für Laien direkt erkennbar sein. Filmartige Sequenzen mussten ruckelfrei auf den Endgeräten laufen. All das machte viele Stunden an Programmierarbeit nötig.

Für die Visualisierung der zukünftigen Landschaften holten wir zwei externe Partner an Bord. Tom Vaillant ist visueller Journalist. Er entwickelte die Idee für den Artikel zusammen mit NZZ-Redaktoren, etablierte die Partnerschaft mit dem Kartenanbieter Maptiler und kümmerte sich um die Visualisierung der zukünftigen Landschaft. Jon Cohrs entwickelte als Spezialist für neue Technologien mehrere Methoden für die kreative, technische Umsetzung der Geschichte und erstellte filmartige Simulationen des Waldes und der Alpen.

Die Umsetzung wurde zudem von Maptiler unterstützt. Anhand unseres Fallbeispiels entwickelte die Firma ihr Produkt weiter: Sie verbesserte die Technologie, die es möglich macht, die Leser beim Scrollen sanft von einem Ort zum anderen über die Karte «fliegen» zu lassen. Zudem wurde für dieses Projekt eine neue Sammlung hochaufgelöster Satellitenbilder verwendet, die von Maptiler angefertigt und bereitgestellt wird.

Viele Diskussionen in unserem Team drehten sich um die Frage, welche Darstellungsform verständlich und attraktiv und zugleich wissenschaftlich korrekt ist. Wie sieht eine Landschaft von oben aus, die trocken, aber nicht völlig verdorrt ist? Welche Farben verwenden wir, um die Folgen der Erwärmung zu zeigen, ohne auf einer visuellen Ebene alarmistische Töne anzuschlagen? Wie lassen sich Text und Bild am günstigsten verknüpfen?

Manche Entwicklungen mussten wir ausklammern. Wie die Städte in der Schweiz im Jahr 2075 aussehen werden, liesse sich allenfalls mit viel Phantasie erraten. Politische Entscheide und technische Erfindungen lassen sich nicht seriös vorhersagen – also visualisierten wir diese Entwicklung nicht. Doch welche Veränderungen in der Landschaft auftreten werden, dafür gibt es eine Menge Anhaltspunkte.

Diese Visualisierung soll eine Vorstellung davon vermitteln, wie sich das Wasserschloss Schweiz durch den Klimawandel bis zum Jahr 2075 verändern könnte.

Für die Visualisierungen stützen wir uns auf folgende Daten:
Zukünftige Seen und Gletscher: VAW, ETHZ/Glamos; Triftspeichersee: Kraftwerke Oberhasli; Alpenvegetation und Zusammensetzung Wald: WSL und Lebensräume der Schweiz (2015); Graslandschaft: Landsat-Satellitenbilder aus dem Dürrejahr 2003, Wassertemperatur Flüsse: EPFL/WSL/SLF; Wassernachfrage: WSL/VAW, ETHZ; Bewässerungsbedarf Landwirtschaft: Agroscope; zukünftige Anbauflächen für Mandeln: Agroscope / Universität Bern / ETH; Wasserpegel: WSL / Hydrologischer Atlas der Schweiz / Universität Bern / Bafu, Basiskarte: Swisstopo / Bafu; Satellitenkarte: Maptiler.

Projektbeteiligte:
Jon Cohrs, Creative Technologist – Konzept und 3-D-Visualisierung
Tom Vaillant, visueller Journalist – Konzept und Visualisierung
Sven Titz, Redaktor Wissenschaft – Storytelling, Recherche und Text
Adina Renner, visuelle Redaktorin – Storytelling, Recherche und Projektleitung
Cian Jochem, visueller Journalist – Datenvisualisierung
Michel Grautstück, Entwickler – Umsetzung Web

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