Montag, November 25

Der Klimawandel hat drastische Auswirkungen auf den Alpinismus. Nicht nur die Routen ändern sich. Die Gefahr an vielen Gipfeln wächst.

Der Himlung ist ein 7126 Meter hoher Berg in Nepal, nah an der Grenze zu Tibet. Der Berg steht in dem Ruf, ein einfach zu besteigender Siebentausender zu sein – vorausgesetzt natürlich, man verträgt die Höhe. Als «der ideale Einstiegssiebentausender» wird er von Expeditionsveranstaltern beworben. Über viele Jahre war er ein beliebtes Ziel von ambitionierten Bergsteigern.

Doch der Gletscherrückgang erhöht insbesondere im unteren Bereich des Berges die Steinschlaggefahr. Hinzu kommt, dass auch das Risiko von Nassschneelawinen in den vergangenen Jahren merklich zugenommen hat. Das hat Folgen: «Wir haben den Himlung vor zwei Jahren aus dem Programm genommen», sagt der in Innsbruck ansässige Expeditionsveranstalter Lukas Furtenbach. «Es ist einfach zu gefährlich.»

Die fortschreitenden klimatischen Veränderungen hinterlassen an den höchsten Bergen der Welt Spuren. Etablierte Routen werden schwieriger, Bergsteiger müssen sich andere Aufstiegswege oder überhaupt andere Ziele suchen. «Die Bergwelt in Nepal hat sich drastisch verändert. Am sichtbarsten ist, dass die Gletscher schmelzen und sich zurückziehen», sagt Dawa Steven Sherpa von Asian Trekking. Der 39-Jährige ist nicht nur CEO einer der etabliertesten nepalesischen Expeditionsagenturen, er stand selbst auf den Gipfeln von fünf Achttausendern, allein dreimal auf dem Gipfel des Mount Everest.

Sogar Wasser muss auf den Berg geschleppt werden

Egal bei wem man sich erkundigt, ob bei der Himalaja-Chronistin Billi Bierling oder bei erfahrenen Expeditionsleitern wie Dawa Steven Sherpa und Lukas Furtenbach, ein Berg wird immer genannt, an dem die Veränderungen besonders deutlich zu erleben seien: der Island Peak, im Schatten des Mount Everest und in Sichtweite der Lhotse-Südwand gelegen. Mit seinen 6189 Metern Höhe wird er von den Anbietern als «alpines Highlight» beschrieben und als krönender Abschluss gerne in Trekkingarrangements aufgenommen.

«Der Island Peak war vor 25 Jahren ein relativ einfacher Berg. Jetzt ist das eine richtig fordernde Besteigung», sagt Billi Bierling. Wo die Bergsteiger früher noch im 45 Grad steilen Gelände im Schnee stapfen konnten, warten auf sie heute Büssereis, also hohe Schnee- und Eispyramiden, und 50 Grad steiles Blankeis. Dort, wo noch vor fünfzehn Jahren Gletscher war, ist heute Fels. Dadurch kommt es in jeder Saison zu Felsstürzen. «Ich empfehle unerfahrenen und langsamen Bergsteigern, den Island Peak erst gar nicht zu versuchen», sagt Dawa Steven Sherpa.

Veränderungen stellen Beobachter auch an der Ama Dablam fest. Allerdings sind sie dort etwas anders gelagert. In den Lagern oberhalb des Basislagers ist praktisch kein Schnee mehr zu finden, der geschmolzen werden könnte. Deshalb muss sämtliches Wasser, das dort oben von den Bergsteigern und ihren Begleitern bei dem mindestens dreitägigen Auf- und Abstieg benötigt wird, hinaufgetragen werden. Das ist nicht nur ein enormer Aufwand, sondern ist in dieser Höhe auch mit grossen körperlichen Anstrengungen verbunden.

Forscher gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2100 die Gletscher im Hindukusch, im Karakorum und im Himalaja um bis zu 80 Prozent abschmelzen könnten. Für Schlagzeilen sorgte 2022 ein wissenschaftlicher Aufsatz, wonach das Gletschereis auf dem Südsattel des Mount Everest in 8000 Metern Höhe in den vergangenen Jahren stark an Masse verloren habe. Im vergangenen August widerlegte ein anderes Forscherteam die Studie zwar. Doch Expeditionsveranstalter wie Lukas Furtenbach sind alarmiert.

Der Österreicher hat mit eigenen Augen gesehen, dass sich Pfützen aus Schmelzwasser auf dem Südsattel bildeten. «Langfristig wird das nicht ohne Auswirkungen auf die Stabilität des Südostgrates bleiben», sagt Furtenbach überzeugt. Über den Blockgrat führt die letzte Etappe hinauf zum 8848 Meter hohen Gipfel des Mount Everest. «Ob diese Route aber in zwanzig Jahren überhaupt noch machbar sein wird?», fragt sich Furtenbach.

Derzeit steht am Mount Everest aber noch der Khumbu-Gletscher unter besonderer Beobachtung. Ein neuralgischer Punkt ist der Khumbu-Eisbruch, der jedes Jahr von sogenannten Icefall-Doctors mit Leitern und Seilen passierbar gemacht wird. Es wird überlegt, den Weg durch den Eisbruch künftig jeden Morgen mit Drohnen abzufliegen, um zu überprüfen, ob Türme aus Gletschereis, sogenannte Séracs, akut einsturzgefährdet sind und möglicherweise zu einer Gefahr für Bergsteiger auf ihrem Weg zum Lager 1 oder zurück zum Basislager werden könnten. Schon seit mehreren Jahren wird darüber diskutiert, ob das Basislager, das derzeit auf dem Khumbu-Gletscher errichtet wird, verlegt werden soll. Das Jahr 2024 war dafür einmal angedacht, vorerst bleibt aber alles beim Alten.

Die Saison verlagert sich

Ein viel grösserer Einschnitt könnte sein, dass sich am höchsten Berg der Welt die Expeditionen im Frühjahr auf die tibetische Nordseite verlagern. Gleichzeitig könnte auf der Südseite der Herbst mehr in den Fokus rücken. Heute meiden Expeditionen den Herbst noch, weil die Temperaturen niedriger sind und es windiger ist als im Vormonsun. Der langfristige Trend zeigt aber, dass die Temperaturen steigen und auch der Wind weniger wird.

Dass sich die Saison verlagern könnte, ist kein Hirngespinst. Im Karakorum ist das schon Tatsache. Noch vor zwanzig Jahren war dort im Juli und August Hochsaison. Mittlerweile hat sie sich wegen der gestiegenen Steinschlaggefahr aufgrund der höheren Temperaturen auf Juni und Juli vorverlagert. «Zur klassischen Zeit zu gehen, ist heute fast unverantwortlich», findet Lukas Furtenbach. Und der Nanga Parbat könnte schon bald ein Berg für den Herbst werden. Im Frühsommer liegt nämlich in der Löw-Rinne oberhalb von Lager 1 oft noch viel Schnee, der die Lawinengefahr erhöht.

Aber längst nicht alle Veränderungen haben ihre Ursache im weltweiten Temperaturanstieg. Auch saisonale Schwankungen verändern die Bedingungen am Berg. Als sie 2011 auf den Lhotse gestiegen sei, sei im Aufstiegscouloir so viel Schnee gelegen, dass der Weg hinauf zum Gipfel verglichen mit anderen Jahren technisch relativ einfach gewesen sei, erzählt Billi Bierling.

Andere vor und nach ihr erwischten es weniger günstig. Und genau so schätzt sie auch die Situation am Baruntse ein. An dem 7129 Meter hohen Berg gibt es in der Nähe des Gipfels eine Gletscherspalte. «Die Spalte ist mal zu und mal offen», sagt Billi Bierling. Je nachdem, wie viel Niederschlag der Monsun oder der Winter gebracht hat. Und schon gar nicht sei das Klima verantwortlich dafür, dass im vergangenen Jahr achtzehn Menschen am Mount Everest gestorben seien, fügt Lukas Furtenbach hinzu. «Da ist der Flaschensauerstoff zu Ende gegangen, und die Leute wurden am Berg alleingelassen.»


Auch die Politik verhindert Besteigungen

Einige Ziele sind für Abenteurer derzeit auch deshalb nicht zu erreichen, weil das politische Klima sich geändert hat. Die Everest-Nordseite und der Cho Oyu, wo die übliche Route von der tibetischen Nordseite zum Gipfel hinaufführt, wurden nach längerer Pause von den chinesischen Behörden erst für dieses Jahr wieder freigegeben.

Um den Elbrus (5642 Meter) machen die meisten Veranstalter derzeit einen grossen Bogen. Sie befürchten eine Eskalation der politischen Situation im Kaukasus. Für die Carstensz-Pyramide (4884 Meter), den höchsten Berg Ozeaniens und damit wie der Elbrus einer der Seven Summits, gibt es derzeit ebenfalls keine Erlaubnis. Der Berg liegt im Gebiet von mehreren Minengesellschaften, gegen die die einheimische Bevölkerung schon seit vielen Jahren aufbegehrt. Im Februar 2023 nahmen Rebellen einen neuseeländischen Piloten als Geisel.

Mittlerweile richtet sich die Wut der Menschen nicht mehr nur gegen die Minengesellschaften, sondern auch gegen die indonesische Regierung. Aufgrund der Unabhängigkeitsbestrebungen der Rebellen dürfte die Carstensz-Pyramide für längere Zeit nicht bestiegen werden können. Von einem regelrechten Stau der Seven-Summits-Aspiranten ist die Rede.

Und im fünften Jahr in Folge fällt auch die Saison am Nordpol aus. Zuerst wegen Covid, jetzt wegen der Logistik: Abenteurer, die beispielsweise den Explorers-Grand-Slam im Sinn haben, das Erreichen von Nord- und Südpol sowie dem Everest-Gipfel, werden üblicherweise von ukrainischen Piloten zum Ausgangspunkt gebracht, die aber mit russischen Maschinen fliegen müssten. Auch wenn es in der Region derzeit so wenig Eis wie noch nie gibt, dürfte das das noch viel grössere Problem sein.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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