Montag, November 25

Zwei Jahre nach Amtsantritt sieht es nicht nach einem baldigen Wechsel der italienischen Regierung aus. Im Gegenteil. Nicht einmal ein Korruptionsfall wie jüngst in Ligurien kann der Regierungschefin Giorgia Meloni etwas anhaben. Eine Zwischenbilanz.

Nur einmal hatte es kurz so ausgesehen, als könnte selbst Giorgia Meloni straucheln. Es war Ende Februar, als in Sardinien überraschend die Kandidatin des Linksbündnisses mit einem hauchdünnen Vorsprung die Regionalwahl gewann. «Der Wind dreht jetzt», sagte die Oppositionsführerin Elly Schlein in jener Wahlnacht. Viele Italiener dachten für einen kurzen Moment, dass auch in Rom ein vorzeitiger Regierungswechsel im Bereich des Möglichen liege – so wie es immer war in den letzten Jahrzehnten, als sich im Palazzo Chigi, dem Sitz des Ministerpräsidenten, die Politiker in hoher Kadenz ablösten.

Heute, ziemlich genau acht Monate später, reden die Kommentatoren wieder vom Wind, nur andersherum. Meloni habe immer noch «vento in poppa», Wind im Rücken, schreiben sie und verweisen auf das Wahlresultat in Ligurien. Dort hat am Montag Marco Bucci, der Stadtpräsident von Genua und Vertreter des Rechtsbündnisses, die Regionalwahl für sich entschieden – knapp zwar, aber immerhin.

Die Linke mit ihrem Kandidaten Andrea Orlando, dem früheren Justizminister in Rom, habe es verpasst, das leere Tor zu treffen, heisst es – auch eine beliebte Metapher hierzulande. Aber sie passt. Ein Korruptionsfall hatte die rechte Regierung in Ligurien zu Fall gebracht. Eine Wahl musste ausgeschrieben werden, und lange sah es so aus, als könnte die Opposition die norditalienische Region dorthin zurückführen, wo sie in der Vergangenheit politisch meist verortet war: ins Linkslager. Die Rechte, geschwächt durch die Korruptionsvorwürfe, wäre zu schlagen gewesen.

Doch es kam anders. 6:1 für Meloni steht es mittlerweile im Kampf um Italiens Regionen, seit die Regierungschefin an der Macht ist und Elly Schlein den sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und damit die Opposition anführt. Sechs Mal hat Melonis Rechtsbündnis seit April 2023 eine Regionalwahl für sich entschieden, nur einmal – in Sardinien – hat Schlein gewonnen. Giorgia Meloni, die Vorsitzende der Rechtsaussenpartei Fratelli d’Italia (FdI), sitzt fester im Sattel denn je.

Fast auf den Tag genau zwei Jahre regiert Melonis Koalition aus FdI, Lega und Forza Italia mittlerweile. In Anbetracht der durchschnittlichen Amtsdauer italienischer Regierungen von rund anderthalb Jahren ist das bemerkenswert. Wie hat sie das im notorisch ungeduldigen Italien bloss geschafft?

Begeisterungswelle? Ach wo!

Als am 23. Oktober 2022 Mario Draghi seiner Nachfolgerin das berühmte Glöcklein im Palazzo Chigi überreicht hatte als symbolisches Zeichen der Übergabe der Amtsgeschäfte, blickten viele ausländische Beobachter besorgt in den Süden. Meloni hatte im Wahlkampf wenig dafür getan, Bedenken wegen der postfaschistischen Wurzeln ihrer Partei zu zerstreuen. Immer wieder sorgen rechtsextreme und neofaschistische Umtriebe für Schlagzeilen. Doch bis zum heutigen Tag ist ihr das Wort «Antifaschismus» kaum über die Lippen gegangen – es galt lange als Ticket für einen Eintritt in die politische Klasse Italiens beziehungsweise als Voraussetzung für die Übernahme wichtiger Positionen im Staat.

Vergessen wird dabei aber oft, dass Meloni nicht von einer postfaschistischen Welle in die Regierung getragen wurde. Ihr Wahlsieg im September 2022 war vielmehr das Resultat einer Übermüdung der Wählerinnen und Wähler. Ernüchtert durch die Ergebnislosigkeit der Regierungsarbeit linker und rechter Populisten und die häufigen folgenlosen Wechsel im Palazzo Chigi, gaben sie ihre Stimmen vielmehr einer jungen Frau, die am besten zu ihrer Resignation passte: Giorgia Meloni. «Proviamo anche questa», versuchen wir es einmal mit der! So lautete der Ruf der Stunde. Mehr Begeisterung war da nicht.

Rund ein Viertel der Wählenden, nicht mehr und nicht weniger, folgte ihr. Es reichte für die Bildung einer Koalitionsregierung mit der Lega von Matteo Salvini und der Berlusconi-Partei Forza Italia. Während vor allem Salvinis Partei seither stark an Popularität eingebüsst hat, sind die Zustimmungswerte für Meloni seit Anbeginn erstaunlich stabil.

Die Regierungschefin ist die unbestrittene Leaderin im rechten Lager und weiss diese Position geschickt zu nutzen. Inzwischen gehen nicht wenige Beobachter davon aus, dass die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode 2027 im Amt bleiben könnte – es wäre eine seltene Ausnahme in der Geschichte der Republik. Meloni selbst hat jüngst bekräftigt, dass sie mit ihrer Regierung «Geschichte schreiben will».

Erfolgreich dort, wo sie extreme Positionen aufgibt

Vor einer Woche legte Meloni ihre Zwischenbilanz vor. Eine Powerpoint-Präsentation mit fast sechzig Seiten voller Zahlen und mit vielen Pfeilen, die alle, selbstverständlich, in die richtige Richtung weisen: nach oben. Zentrale Aussage: Das Wachstum des italienischen Bruttoinlandprodukts liegt höher als der EU-Durchschnitt und über dem Vorkrisenniveau von 2008. Alles gut, der Laden läuft.

Kritiker von Giorgia Meloni wurden selbstverständlich nicht müde, zum Zweijahrejubiläum auch alle Verfehlungen und Misserfolge aufzulisten, deren sich die Regierung schuldig gemacht haben soll. Unter ihnen sind etwa die nicht enden wollenden personellen Querelen im Kulturministerium, bestimmte Massnahmen und inhaltliche Eingriffe beim öffentlichrechtlichen Sender RAI, der kürzlich erfolgte Gerichtsentscheid zu den Aufnahmezentren für Migranten in Albanien oder die Opferhaltung, die sie jeweils einnimmt, wenn sich die Dinge nicht nach ihrem Wunsch entwickeln.

Eine treffende Feststellung hat kürzlich Claudio Cerasa gemacht, der Chefredaktor der bürgerlich-liberalen Zeitung «Il Foglio». Er schrieb, die Regierung Meloni sei überall dort erfolgreich, wo sie die extremistische Agenda verlassen habe. Das – trotz allem bescheidene – Wirtschaftswachstum etwa hänge zu einem grossen Teil von den Geldern ab, die das böse Europa im Rahmen des Wiederaufbaufonds zur Verfügung stelle; die – kleinen – Spielräume bei der Budgetierung stammten auch aus der verhassten Bekämpfung der Steuerhinterziehung; die Exporterfolge der italienischen Unternehmen wiederum stellten sich dort ein, wo die Globalisierung noch funktioniere und der von den Populisten geliebte Protektionismus schwach sei; und die Migrationspolitik schliesslich sei nicht das Resultat der früher propagierten «Seeblockaden», sondern das Ergebnis einer Reihe von Abkommen, die Italien und die EU mit Tunesien unterzeichnet haben.

Auf anderen Baustellen ist Giorgia Meloni weniger erfolgreich. Um die grossen Reformprojekte – unter ihnen jenes über die Staatsleitung – ist es ruhiger geworden. Und dort, wo Italien seit Jahren im Rückstand liegt, etwa bei der Entwicklung der Saläre oder bei der Abwanderung junger Talente ins Ausland, passiert wenig bis nichts. Eine erst gerade publizierte Studie hat gezeigt, dass der Trend zum Wegzug ins Ausland ungebrochen ist und dass nur eine kleine Minderheit von Ausgewanderten an eine Rückkehr denkt – ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Vertrauen weiter Bevölkerungskreise auch nach zwei Jahren Meloni-Regierung nicht zurückgekehrt ist.

Elly Schleins schwierige Partner

Dass die 47-jährige Regierungschefin trotzdem ziemlich unangefochten an der Spitze steht, hängt auch mit der Schwäche der Opposition zusammen. Wobei zu differenzieren ist: Schwach ist nicht die grösste Oppositionspartei, der PD, schwach sind vielmehr der Zusammenhalt und der Wille der verschiedenen Mitte-links-Parteien, eine gemeinsame Plattform zu bilden.

Ligurien bietet dafür gutes Anschauungsmaterial. Der PD von Elly Schlein hat es hier auf einen Wähleranteil von über 28 Prozent gebracht. Das ist gegenüber der letzten Regionalwahl eine Steigerung von fast 10 Prozentpunkten und gegenüber der Europawahl vom Juni ein Zuwachs von fast 2 Punkten. Der PD geht als stärkste Partei aus der Wahl an der ligurischen Küste hervor.

Harziger läuft es aber bei den potenziellen Partnern. Die Fünf-Sterne-Bewegung befindet sich im Krebsgang. Die Medien haben errechnet, dass sie in Ligurien seit der nationalen Wahl von 2022 rund 70 000 Wählerinnen und Wähler verloren hat. Sie liegt nun unter der 5-Prozent-Marke. Der Parteichef Giuseppe Conte ist im Dauerstreit mit dem Parteigründer Beppe Grillo und hat darüber hinaus auch einem weiteren potenziellen Partner, dem früheren Regierungschef Matteo Renzi und dessen Mitte-Partei, die rote Karte gezeigt. So kommt keine erbauliche Zusammenarbeit zustande.

Kurzum: Bis in Italien wirklich der Wind dreht, dürfte es noch ein Weilchen dauern. Giorgia Meloni wird es recht sein. Sie kann den nächsten zwei Jahren einigermassen gelassen entgegenblicken.

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