Mittwoch, Oktober 2

Der Bundesrat hält dem Druck der Linken stand und sieht von der Sistierung des indirekten Gegenvorschlags ab.

Das Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden kostet viel Herzblut, Engagement und vor allem: sehr viel Zeit. Eine Standaktion an einem nasskühlen Samstagmorgen ist für die staatspolitische Persönlichkeitsentwicklung zwar unbezahlbar. Aber eben: Die Kalibrierung der Work-Life-Balance ruht nie.

Genau hier, im toten Winkel des helvetischen Milizsystems, treten seit Jahren Firmen und Vereine mit einem verführerischen Angebot auf den Plan: Unterschriften und der damit verbundene Personal- und Zeitaufwand gegen Geld. Die Bezahlung dieser Leistung ist an sich nicht verwerflich.

Gewerkschaften und linke NGO beschäftigen und bezahlen scharenweise Leute, die sich im Rahmen von Abstimmungen engagieren. Der Einsatz für die direkte Demokratie wird als Arbeitszeit angerechnet – direkt oder indirekt auch fürs Unterschriftensammeln. Problematisch wird es erst, wenn betrogen wird.

Bewusst passiv

Nachdem die Tamedia-Zeitungen vor zwei Wochen zum wiederholten Mal über das zweifelhafte Gebaren von Firmen in der Westschweiz berichtet haben, ist die Fieberkurve in Bundesbern gestiegen. Die SP-Nationalrätin Nadine Masshardt hat am Donnerstag eine Motion eingereicht, die von den Initiativkomitees künftig mehr Transparenz fordert. «Offengelegt werden sollen insbesondere die Budgets, Erfolgsrechnung, die Anzahl gekaufter Unterschriften und die Herkunft der grossen Spenden», heisst es im Vorstoss. Begründet wird er mit den «jüngsten Enthüllungen». «Wir können nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen.» Genau das will aber der Bundesrat.

An seiner Sitzung vom Freitag hat er sich mit dem Bundeskanzler Viktor Rossi zwar darauf verständigt, präventive Massnahmen zu ergreifen, um Missbrauch zu vermeiden. Die Bundeskanzlei soll an einem runden Tisch mit den Parteien, Verbänden, Initiativkomitees und Sammelorganisationen «effiziente und pragmatische Standards» entwickeln, auf die sich alle involvierten Akteure verpflichten müssen. «Auf diese Weise könnte schnell Transparenz geschaffen werden darüber, woher Unterschriften stammen und von wem und auf welche Weise sie gesammelt wurden», schrieb die Bundeskanzlei am Freitag in einer Medienmitteilung. Sonst bleibt die Landesregierung indes bewusst passiv – aus guten Gründen.

Dem Bundesrat dürfte es nicht entgangen sein, dass gewisse Kreise aus den mutmasslichen Unterschriftenfälschungen politisches Kapital schlagen wollen. So geriet vor allem die Blackout-Initiative in den Fokus. Die bürgerliche Vorlage will, dass man in Zukunft wieder neue Kernkraftwerke bauen könnte. Der Bundesrat hat Ende August angekündigt, in den kommenden Monaten einen indirekten Gegenvorschlag zu präsentieren. Dem Energieminister Albert Rösti ist es gelungen, im Bundesrat eine Mehrheit für die Aufhebung des Neubauverbots zu finden. Es ist der erste Schritt der Regierung wieder hinaus aus dem 2017 beschlossenen Atomausstieg – Links-Grün und der Mitte-Präsident Gerhard Pfister toben.

Wenige Tage nach dem historischen Bundesratsentscheid machten die Tamedia-Zeitungen den grossen «Unterschriften-Bschiss» publik. Der Subtext, dass bei der Blackout-Initiative betrogen worden und sie aufgrund gefälschter Unterschriften «unrechtmässig» zustande gekommen sei, war von Beginn an gegeben.

Schon wenige Stunden später forderte die Schweizerische Energie-Stiftung (SES), eine links-grüne Anti-Atom-Vereinigung, den «sofortigen Marschhalt» des Bundesrats. Der Gegenentwurf sei «demokratisch nicht mehr haltbar», solange nicht klar sei, ob bei der Unterschriftensammlung betrogen worden sei. Doch der Bundesrat denkt erst gar nicht daran.

Er hält nun fest, «dass es bis heute keine belastbaren Indizien gibt, dass Initiativen unrechtmässig zustande gekommen wären». Diese Aussage wiederholte der zuständige Bundeskanzler mehrfach. Auch für die Blackout-Initiative gebe es bis dato keine Hinweise, sagte Rossi an einer Medienkonferenz.

Er erinnerte daran, dass es die von Medien aufgegriffenen Verdachtsfälle erst gar nicht bis zur Einreichung geschafft haben – weil bereits die Komitees oder die Gemeinden die Unregelmässigkeiten bemerkt und teilweise auch gemeldet haben. Für die Blackout-Initiative hatte die Bundeskanzlei im Frühjahr über 125 000 Unterschriften für gültig erklärt. Sie hätte also mindestens 25 000 Fälle von Fälschungen bei ihren Kontrollen übersehen müssen.

Die Energie-Stiftung «investiert»

Derart praktische Überlegungen haben derzeit einen schweren Stand. Was zählt, ist die Stimmung, die erzeugt werden soll. Auch Masshardt schreibt in ihrer Motion, dass es offen sei, ob die Initiativen «rechtmässig» zustande gekommen seien. Sie ziele damit nicht auf «eine einzelne Initiative», sagt sie auf Nachfrage. «Für das Vertrauen in die direkte Demokratie und in unsere Institutionen ist es entscheidend, dass zu hundert Prozent sichergestellt werden kann, dass sämtliche Initiativen rechtmässig zustande gekommen sind.» Wer will da Masshardt schon widersprechen?

Zu erwähnen bleibt, dass die Berner SP-Nationalrätin die Schweizerische Energie-Stiftung Schweiz präsidiert. Die SES übernehme in der laufenden Sammelphase für die Solarinitiative die Kosten für Gestaltungsarbeiten und für den Druck von etwa 9000 Unterschriftenbögen, die dem Mitgliedermagazin beigelegt werden. Das Ganze im Umfang von unter 5000 Franken, wie Masshardt erklärt. Natürlich müssten im Rahmen des Gesamtbudgets für die Solarinitiative auch die Gelder der SES offengelegt werden, sagt die Stiftungspräsidentin. 2017 – damals noch unter dem Präsidenten Beat Jans – hat die SES das Abstimmungskomitee für den Atomausstieg mit gut 210 000 Franken unterstützt. Direkte Demokratie ist kostbar – und selbst bei Linken kostspielig.

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