Dienstag, Oktober 8


Stilkritik

Talent, Altern, Gewicht, Courage – es gibt kaum ein Gebiet, auf dem Meryl Streep nicht als Vorbild taugt. Heute feiert die Schauspielerin ihren 75. Geburtstag.

Es ist sehr schwer, jemanden zu finden, der Meryl Streep nicht leiden kann. Beziehungsweise das Bild, das sie von sich durch ihre Rollen und ihre Auftritte in der Öffentlichkeit vermittelt. Man erlebt sie als ungekünstelte, humorvolle, grosszügige Frau, die sich auch nicht davor scheut, den Mund aufzumachen – so legte sie sich mit Ex-US-Präsident Donald Trump an und unterstützte den Streik der Drehbuchschreibenden in Hollywood. Aber auch was ihren Stil angeht, taugt sie als Vorbild.

Keine klassische Schönheit

Obwohl von grosser Schönheit, hatte sie nie das klassisch-symmetrische Hollywoodgesicht. An eine Operation dachte die mehrfache Oscar-Preisträgerin aber augenscheinlich nie. Und bewies so, dass man auch ohne Puppengesicht an tiefgründige und interessante Rollen gelangen kann – oder gerade deswegen.

Sie spielte alles, von der Tragödie («Sophies Entscheidung», 1982) über komplizierte Liebesgeschichten («Jenseits von Afrika», 1985), (Die Brücken am Fluss», 1995) hin zu Komödien («Der Tod steht ihr gut», 1982), («Der Teufel trägt Prada», 2006). Insgesamt 22-mal wurde sie während ihrer Karriere für den Oscar nominiert. Dreimal nahm sie die goldene Trophäe mit nach Hause, dazu drei Grammys und die Goldene Palme der Filmfestspiele in Cannes für ihr Lebenswerk.

Altern à la Meryl Streep

Auch das Altern geht sie anders an als viele Hollywoodgenossinnen, die für immer höchstens vierzig zu bleiben scheinen. Streep sieht aus wie eine 75-Jährige. Mit Falten, grauem Haaransatz und Lesebrille, die sie als Statement trägt. Ihr Alter hält sie auch nicht davon ab, auf dem roten Teppich die Körperzonen zu zeigen, vor denen klassische Frauenzeitschriften warnen, wenn man fortgeschrittenen Alters ist: Oberarme. Achselhöhlen. Décolleté. Meryl Streep altert nicht in Würde. Sie altert mit Freude.

Ebenso erfrischend ist ihr Lächeln, das immer ungekünstelter wird. Posierte Streep auf Fotos aus den 1980er Jahren noch deutlich, lacht sie heute einfach in die Kamera – ein grosser Kontrast zu all den Kussmündern und fotogen schräg gelegten Köpfen auf Instagram und Tiktok. Auch was ihr Gewicht angeht, scheint sie sich wenig um die nach wie vor geltenden Hollywood-Gesetze geschert zu haben. Obwohl sie in einigen Rollen sehr schlank auftritt, Size Zero trug sie nie.

Ihr Stil ist schwer zu beschreiben, Streep zeigte sich im Laufe ihres Lebens durchaus modemutig und experimentierfreudig, sie folgte verschiedenen Trends. Gern trug sie immer Blusen, Jacketts, (Sonnen-)Brillen, grosse Ethno-Ketten, Spitzen- und Patchworkteile. Ihre Lieblingsfrisur blieb der Seitenscheitel.

Meryl Streeps Stil-Evolution

Kein Rosenkrieg

Als Mutter scheint sie es ebenfalls ganz gut hinbekommen zu haben. Im Gegensatz zu vielen Nepo-Babys dieser Generation kommen ihre vier Kinder Henry Wolfe, Mary Willa («Mamie»), Grace Jane und Louisa Jacobson Gummer ohne allzu offensichtliches Namedropping zurecht, sie arbeiten als Schauspielerinnen und Model, der Sohn als Musiker. Vom Vater der vier, Don Gummer, einem Bildhauer, den sie 1978 heiratete, hat sie sich 2010 getrennt – natürlich ohne Rosenkrieg à la «Kramer gegen Kramer».

Selbst so viel Lebensklugheit (und Lebensglück) sorgten bisher nicht dafür, dass neidische, böse Zungen überhandnahmen. Und wenn all diese Grossartigkeit nur geschauspielert wäre, so wäre dies auch wieder eine phänomenale Leistung. Es bleibt zu hoffen, man bekommt Meryl Streep noch oft auf der Leinwand und dem Roten Teppich zu sehen. Am besten wäre es aber, sie träte gegen Donald Trump an – auch in der Rolle der US-Präsidentin würde sie mit Sicherheit glänzen.

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