Samstag, Februar 1

Illustration: Olivia Meyer, PD

Im Zweiten Weltkrieg führten die Nationalsozialisten und die Araber denselben Kampf: die Ausrottung der Juden. Die arabisch-deutsche Zusammenarbeit hielt nach dem Krieg an.

Als sich Adolf Hitler und Amin al-Husseini, der Mufti von Jerusalem, 1941 in Berlin gegenübersassen, war die Stimmung zunächst frostig. Der «Führer» weigerte sich, seinem Gast einen Kaffee oder einen Tee anzubieten, ohne den im arabischen Raum kein ernsthaftes Gespräch begonnen wird.

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Was Hitler von Arabern hielt, hatte er in «Mein Kampf» geschrieben: Wie viele andere Völker hielt er auch die Araber für «rassisch minderwertig», mit denen könne man nicht zusammenarbeiten.

Doch genau darum ging es bei diesem Treffen am 6. November 1941 in Berlin: um die Zusammenarbeit des NS-Regimes mit Amin al-Husseini, dem arabischen Führer von Palästina.

Mag sein, dass Hitler keinen Gefallen fand am traditionellen Kostüm des Mufti und seiner etwas gewöhnungsbedürftigen Kopfbedeckung, einem Fez. Jedenfalls war Hitler derart genervt, dass er sich eine Weile zurückzog, um sich zu beruhigen. So berichtete es später der Dolmetscher.

Bei einem Glas Limonade kamen sich die beiden ungleichen Gesprächspartner dann doch noch näher und kamen über ihre gemeinsamen Feinde ins Gespräch: die Juden und die Briten.

Das zunächst so holprige Treffen der Führer Palästinas und Deutschlands, mitten im Zweiten Weltkrieg, legte die Basis für eine deutsch-arabische Zusammenarbeit, die viele Jahre Bestand haben sollte – in Nazi-Kreisen auch weit über den Krieg hinaus. Spuren davon finden sich bis in die Gegenwart. Als in Syrien im vergangenen Dezember das Asad-Regime gestürzt wurde, entdeckte man in den befreiten Gefängnissen der syrischen Geheimdienste Hinweise auf Foltermethoden, die auf die Nazis zurückgehen dürften.

Damals in Berlin, als es dann endlich etwas zu trinken gab, versprach Hitler dem Mufti von Jerusalem, auch in Palästina die Juden zu eliminieren. Damit wollte er den britischen Teilungsplan für das Mandatsgebiet torpedieren. Dieser sah vor, in einem Teil Palästinas eine «jüdische Heimstätte» zu schaffen. Die wollte der Mufti nicht, und die wollte auch Hitler nicht.

Die Auslöschung der Juden in Palästina sollte nur der Anfang sein. Sobald der Russland-Feldzug abgeschlossen sei, werde man alle übrigen Juden im arabischen Raum vernichten, stellte Hitler dem Mufti in Aussicht. Erstmals sollte die angestrebte Endlösung auch ausserhalb Europas stattfinden.

Amin al-Husseini, der sich gerne als Obermufti ansprechen liess, wollte ebenfalls einen Beitrag leisten. Er kündigte an, auf dem Balkan und in Nordafrika muslimische SS-Einheiten zu bilden. Sie sollten den von Erwin Rommel geführten Afrikafeldzug unterstützen, wo die Wehrmacht auf heftigen Widerstand der britischen Armee traf.

Zufrieden schrieb Amin al-Husseini in sein Tagebuch, Hitler wolle, dass die Nationalsozialisten und die Araber denselben Kampf führten, nämlich die Ausrottung der Juden.

Die Geschichte an der Kriegsfront nahm schliesslich einen anderen Verlauf, in Russland, und auch in Nordafrika. Doch die Bande, die der Mufti bei seinem Besuch beim «Führer» in Berlin knüpfte, hielten über die Kapitulation des NS-Regimes hinaus. Um sich der Gerichtsbarkeit zu entziehen, suchten damals viele Nazi-Schergen Zuflucht im Ausland – Amin al-Husseini war ihnen behilflich.

Als Fluchtweg für die Kriegsverbrecher des dritten Reiches ist vor allem die sogenannte Rattenlinie bekannt. Sie führte auf verschlungenen Wegen über den Vatikan nach Südamerika. Über diese Route flüchteten etwa Josef Mengele, Lagerarzt in Auschwitz, oder Adolf Eichmann, der verantwortliche Organisator für die Judenvernichtung. Eine zweite, weniger bekannte Fluchtroute führte in den Nahen Osten – nach Ägypten und Syrien.

Diese Route wählten auch zwei der schlimmsten Massenmörder: Walter Rauff, der an der Ostfront Militärlastwagen zu mobilen Gaskammern umbauen liess; und Alois Brunner, Eichmanns Mann fürs Grobe, der immer dort zum Einsatz kam, wo die Vernichtung der Juden ins Stocken geriet.

In einem Zeitungsinterview brüstete sich Brunner später, er habe Wien judenfrei gemacht. Das war zwar übertrieben, doch auf den Bauernsohn aus dem österreichischen Burgenland konnte sich der Schreibtischtäter Eichmann verlassen. In der griechischen Küstenstadt Saloniki etwa, wo schon zu Jesu Zeiten eine der ersten jüdischen Gemeinden Europas entstand, liess Brunner in wenigen Monaten fast alle 50 000 Juden ermorden.

Walter Rauff und Alois Brunner wurden nie von einem Gericht zur Rechenschaft gezogen. Auf ihrer lebenslangen Flucht profitierten sie von Sonderinteressen verschiedener Geheimdienste oder von der Untätigkeit der deutschen Behörden. Dort sassen noch lange nach dem Krieg einflussreiche Veteranen des NS-Regimes an entscheidenden Stellen: im Nachrichtendienst, in der Strafverfolgung und sogar im Kanzleramt von Konrad Adenauer.

So blieben die zwei Kriegsverbrecher, die beide weit über einhunderttausend Tote zu verantworten haben, zeitlebens unbehelligt.

Wie war das möglich?

Nach Kriegsende stellten die Siegermächte an den Nürnberger Prozessen nur wenige Dutzend Angeklagte vor Gericht. In erster Linie handelte es sich um Parteikader der NSDAP. Alois Brunner lief während den Prozessen als freier Mann herum.

Unter falschem Namen hielt er sich in Deutschland und zeitweise in Österreich auf, mit Gelegenheitsarbeiten schlug er sich durch. Als Lastwagenfahrer stand er eine Weile sogar im Sold der US-Army.

In den Wirren der Nachkriegsjahre profitierte der Massenmörder von einem Namensvetter, der in der Gestapo sein Untergebener gewesen war: Anton Brunner. In Wien lastete die sowjetische Besatzungsmacht diesem Anton Brunner 45 000 Tote an – vermutlich zu Recht – und verurteilte ihn 1946 zum Tode am Strang. Lange gingen die deutschen Behörden und auch die amerikanische CIA fälschlicherweise davon aus, Alois Brunner sei längst tot. Sie verwechselten Brunner I mit Brunner II – so waren die beiden in der Gestapo auseinandergehalten worden.

Während Alois Brunner noch einige Jahre in seiner alten Heimat blieb, setzte sich Walter Rauff kurz nach Kriegsende in den Nahen Osten ab. Zuletzt hatte er das Einsatzkommando Ägypten kommandiert. Es war jene Einheit, die den in Berlin beschlossenen Plan hätte umsetzen sollen: die Juden in Palästina und den übrigen arabischen Ländern auszulöschen.

Der Plan scheiterte zwar, doch seine Kontakte in die arabische Welt blieben bestehen. 1946 flüchtete Walter Rauff nach Damaskus, auch mit der Hilfe von Amin al-Husseini. In Syrien führte der Nazi-Kriegsverbrecher den Geheimdienst in die Verhör- und Foltermethoden der Gestapo ein.

Auf der Suche nach Raketenbauern

In Ägypten waren Deutsche in jener Zeit ebenfalls gefragt. Der junge Staat, der sich gerade erst von den britischen Kolonialherren befreite, suchte dringend westliches Know-how, um das Land aufzubauen.

Auch hier half der Mufti von Jerusalem, als nach Kriegsende gegen hundert deutsche Ingenieure, Raketenbauer und Militärberater in Ägypten neue Arbeit fanden. Ob die Neuankömmlinge eine Vergangenheit in der Wehrmacht, der Gestapo oder der SS hatten, interessierte in Kairo niemanden.

Einzig für Alois Brunner fand Ägypten keine Verwendung.

Er wusste zwar, wie man Leute brutal verhaftet, schikaniert und schlägt. Doch Gamal Abdel Nasser suchte andere Fähigkeiten. Der neue ägyptische Machthaber war an Spezialisten interessiert, die wussten, wie man Raketen baut, mit denen er Israel vernichten konnte. Auf Schlägertypen wie Brunner konnte Nasser verzichten.

Nach Kairo aufgebrochen war Alois Brunner 1954, nachdem es für ihn in Deutschland brenzlig geworden war. Ein französisches Gericht hatte ihn in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Frankreich deshalb, weil ihn Eichmann nach seinen Einsätzen in Wien und Saloniki nach Paris und an die Côte d’Azur schickte. Dort jagte Brunner mit gnadenloser Verbissenheit französische Juden. Als die alliierten Truppen im Juli 1944 bereits vor den Toren von Paris standen, schickte Brunner in einem der letzten Transporte noch mehr als 1300 jüdische Kinder aus einem Heim nach Auschwitz in den Tod.

Um sich dem Zugriff der französischen Justiz zu entziehen, nutzte er sein Netzwerk von Nazi-Veteranen. Er beschaffte sich einen Pass unter dem Namen «Dr. Georg Fischer» und flüchtete über Italien nach Ägypten.

Deutsches Bier und Sauerkraut

Weil man in Kairo keine Verwendung für Brunner fand, schickte ihn Amin al-Husseini weiter nach Damaskus. Dort traf Brunner auf eine grosse deutsche Exil-Gemeinde. Er begann, Bier aus Deutschland zu importieren und Sauerkraut herzustellen, das er seinen Landsleuten verkaufte. Jetzt war er wieder ein gefragter Mann.

Ein zweites Standbein baute sich Alois Brunner im Waffenhandel auf. Ein Kreis von geflüchteten Alt-Nazis gründete in Damaskus die Orient Trading Company. Deren Geschäftsmodell war lukrativ: Sie importierten Waffen aus dem Ostblock und verkauften sie an afrikanische Rebellen weiter, etwa an die algerische Befreiungsfront FLN.

Mit 35 Prozent war auch Amin al-Husseini an der Firma beteiligt.

Frau und Tochter in Wien

Alois Brunner hatte seine Frau und seine Tochter in Wien zurückgelassen. Sie wohnten weiterhin in einem herrschaftlichen Haus, das Brunner im Krieg von einer deportierten jüdischen Familie konfisziert hatte. Seiner Frau überwies er regelmässig Geld. Das weckte den Verdacht des syrischen Geheimdienstes – Brunner wurde inhaftiert.

Im Gefängnis legte er seine Tarnung ab. Er sei nicht Dr. Georg Fischer, sondern Alois Brunner, Eichmanns engster Mitarbeiter und also ein Feind der Juden. Der Geheimdienstoffizier, der ihn verhörte, schüttelte ihm die Hand und hiess ihn willkommen. «Der Feind unseres Feindes ist unser Freund.»

Der syrische Geheimdienst stattete Brunner mit einem lukrativen Vertrag aus. Er erhielt ein ruhiges Büro am Stadtrand und ein monatliches Gehalt von 700 syrischen Pfund. Sein syrischer Verbindungsoffizier sprach Deutsch, er hatte in einer arabischen SS-Einheit gedient, seine zwei Töchter studierten inzwischen in Deutschland.

Brunners Aufgabe war überschaubar: Er sollte die deutsche Exil-Gemeinde in Damaskus ausspionieren. Er nutzte die Gunst der Stunde, indem er seinen Wohnpartner, mit dem er in der Rue Haddad zusammenlebte, beim syrischen Geheimdienst anschwärzte. Der pensionierte Deutschlehrer war ihm lästig geworden, weil er sich ständig über die vielen Frauenbesuche beschwert hatte.

Die Reaktion liess nicht lange auf sich warten. Nachts um drei Uhr holte der syrische Geheimdienst den Mitbewohner im Pyjama ab und verschleppte ihn in ein Foltergefängnis. Brunner frohlockte, endlich hatte er die Wohnung für sich allein und konnte so viele Prostituierte empfangen, wie er wollte.

Sechs Wochen später schleppte sich der Wohnpartner ins deutsche Generalkonsulat in Damaskus. Er war ein körperliches Wrack. Man hatte ihn verprügelt, seinen Kopf unter Wasser gedrückt, bis er fast erstickte, ihn an den Füssen aufgehängt und mit einer Peitsche auf die Fusssohlen geschlagen. Der deutsche Konsul erreichte immerhin, ihn ohne Gerichtsprozess nach Deutschland abzuschieben.

Eichmann wird nach Israel entführt

Im Mai 1960 gelang dem israelischen Auslandgeheimdienst Mossad eine der spektakulärsten Operationen seiner Geschichte. In Buenos Aires entführte eine Sondereinheit Adolf Eichmann und schaffte ihn ausser Landes. Israel machte dem Organisator der Endlösung den Prozess.

Die Nazi-Szene in Damaskus war entsetzt. Alois Brunner setzte alle Hebel in Bewegung, um seinem geschätzten Vorgesetzten beizustehen.

Als Erstes reiste er nach Kairo, wo er sich mit deutschen Gesinnungsgenossen und Vertretern des ägyptischen Militärnachrichtendienstes traf. Er schlug vor, reiche Juden mit dem Vorwurf zu erpressen, sie hätten die SS finanziell unterstützt. Mit dem erpressten Geld wollte er die Befreiung Eichmanns aus dem israelischen Gefängnis in der Nähe von Haifa finanzieren.

Seinen Verbindungsoffizier im syrischen Geheimdienst überzeugte er, eine Befreiungsaktion auf dem Seeweg zu planen. Als bereits ein Team zusammengestellt war, legte Ägypten das Veto ein: viel zu riskant. Brunner gab nicht auf. Seine nächste Idee: einen möglichst prominenten Vertreter des Judentums zu entführen, um ihn gegen Eichmann einzutauschen.

Brunners Wahl fiel auf Nahum Goldman, den Präsidenten des World Jewish Congress. Die Entführung sollte im November 1960 während eines Treffens mit Bundeskanzler Adenauer in Bonn stattfinden. Goldman hätte nach Algerien gebracht werden sollen, ins Rebellengebiet der FLN.

Doch der Plan scheiterte, weil sich das vorgesehene Kommando – eine Gruppe aus Alt-Nazis und arabischen Söldnern – bereits im Vorfeld zerstritten hatte.

Jetzt blieb Brunner nur noch eine letzte Möglichkeit, Adolf Eichmann vor der Todesstrafe zu retten: Er zeigte sich bereit, für seinen bewunderten Chef auszusagen.

Das meldete Alois Brunner Eichmanns Verteidiger per Telex. Da Brunner nicht nach Israel und Eichmanns Verteidiger nicht nach Syrien reisen konnte, schlug dieser vor, stattdessen einen Schweizer nach Damaskus zu entsenden.

Beim Schweizer handelte es sich um den Westschweizer Nazi-Banker François Genoud. Im Zweiten Weltkrieg hatte Genoud für die Abwehr spioniert, den Militärgeheimdienst der Wehrmacht. Mit der Nazi-Szene blieb er zeitlebens eng vernetzt. Genoud traf Brunner Mitte Dezember 1960 im Hotel Omayad in Damaskus. «Un type sympathique», diktierte Genoud später seinem französischen Biografen.

Ein Auge und drei Finger verloren

Das Todesurteil gegen Eichmann konnten weder Brunner noch Genoud verhindern. Die Strafe gegen den Kriegsverbrecher wurde am 1. Juni 1962 vollstreckt.

Zu diesem Zeitpunkt hätte Brunner bereits tot sein sollen. Mit seinen Aktivitäten für Eichmann hatte er den Mossad auf sich aufmerksam gemacht. Der Auslandgeheimdienst entschied, ihn zu liquidieren. Als Alois Brunner am 13. September 1961 auf der Hauptpost in Damaskus einen Brief abholte und ihn öffnete, explodierte er. Brunner überlebte, verlor aber das linke Auge.

Nach diesem Anschlag lebte der Kriegsverbrecher noch fast vierzig Jahre in Damaskus, von den deutschen Behörden unbehelligt. 1980 überlebte er einen zweiten Briefbombenanschlag der Israeli, diesmal verlor Alois Brunner drei Finger. Er starb Ende 2001, im Alter von 89 Jahren. Seine letzten Lebensjahre hatte er, körperlich schwer gezeichnet, unter elenden Bedingungen in einem Verlies des syrischen Geheimdienstes verbracht.

Warum aber forderten die deutschen Strafverfolger nicht energisch Brunners Auslieferung? Die Antwort lag vermutlich in einer Akte des Bundesnachrichtendienstes (BND). Doch ausgerechnet diese Akte zu Alois Brunner, 581 Seiten dick, wurde Mitte der 1990er Jahre vernichtet – offenbar hinter dem Rücken der BND-Spitze, wie der «Spiegel» schrieb. Der BND sprach von einem «bedauerlichen Zwischenfall».

Doch das Rätsel lässt sich auch ohne die BND-Akte entschlüsseln. Dazu muss ein letzter Protagonist eingeführt werden, ohne den sich die Geschichte nicht erzählen lässt: Reinhard Gehlen.

Im Krieg diente Gehlen als Generalmajor in der Wehrmacht, zuletzt als Kommandant Fremde Heere Ost, zuständig für die Spionage gegen die sowjetische Armee. In den letzten Monaten des Krieges legte sich Gehlen heimlich ein riesiges Privatarchiv an – wohlwissend, dass es bald von unschätzbarem Wert sein würde. Kurz nach Kriegsende übertrug er sein Archiv auf Mikrofilm und vergrub den kostbaren Schatz in den österreichischen Bergen, verteilt in verschiedene Kisten.

Als Gehlen nach der deutschen Kapitulation in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet, bot er den USA einen Deal an: Freiheit gegen Information. Schliesslich verfügte er über einen riesigen Berg an «intelligence» zum neuen Feind der Amerikaner, den sie selber kaum kannten: die Sowjetunion.

Nach monatelangen Verhören in Washington, wohin Gehlen überführt worden war, gingen die USA auf den Deal ein – wohl nach dem Motto: «Der ehemalige Feind unseres neuen Feindes ist unser Freund.»

Für Gehlen bedeutete es zugleich die «Entnazifizierung».

Er stellte den Amerikanern nicht nur sein exklusives Wissen über Stalins Sowjetarmee zur Verfügung. Der ehemalige Nazi wurde von der Vorgängerorganisation der CIA dazu auserkoren, in Deutschland einen neuen Auslandnachrichtendienst aufzubauen – den späteren BND.

Zurück aus den USA, machte sich Gehlen 1946 an die Arbeit. Um an Informationen zur Sowjetunion und zu anderen kommunistischen Ländern zu gelangen, schien ihm der Nahe Osten der geeignetste Ort. Dort wollte er die deutsch-arabische Achse nutzen, die während des NS-Regimes aufgebaut worden war. Dazu gehörte auch Walter Rauff. Als der Erfinder der mobilen Gaskammern Zuflucht in Syrien fand, half ihm nicht nur der Mufti von Jerusalem. Rauff konnte auch auf die Unterstützung seines Nazi-Kameraden Reinhard Gehlen zählen.

Der Kriegsverbrecher Rauff war einer von vielen ehemaligen Nazis, die in den Nachkriegsjahren für die Vorgängerorganisation des BND angeworben wurden. Ob auch Alois Brunner dazugehörte, kann nicht abschliessend beurteilt werden – seine 581 Seiten dicke Akte wurde vom BND ja «versehentlich» vernichtet.

Fest steht: Jahrzehntelang wusste man in Deutschland, dass Brunner in Damaskus untergetaucht war. Aber erst 1984 stellte Deutschland ein Auslieferungsgesuch. Besondere Dringlichkeit war damit nicht verbunden. Als im Jahr darauf Aussenminister Hans-Dietrich Genscher in Damaskus auf Besuch beim syrischen Machthaber Hafez al-Asad war, sprach er das Thema nicht an.

Alois Brunner hatte Hafez al-Asad bereits kennengelernt, bevor sich der Luftwaffengeneral 1971 an die Macht putschte. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern hielt sich Asad bis ans Lebensende an der Macht. Dabei war ihm jedes Mittel recht. Ein weitverzweigtes System von Geheimdiensten, als Mukhabarat bekannt, durchdrang die Gesellschaft. Folter in den Gefängnissen, Fassbomben auf Wohngebiete, Giftgas gegen Zivilisten – der Diktator kannte keine Skrupel.

Wie viel Alois Brunner dazu beigetragen hat, ist nicht klar. Berichte, wonach er den «deutschen Stuhl», ein besonders brutales Folterinstrument, nach Syrien gebracht haben soll, scheinen unwahrscheinlich. Brunner war als Grobian bekannt, zum Foltern genügte ihm eine Peitsche.

Zwar hielt das Asad-Regime bis zuletzt seine schützende Hand über den österreichischen Kriegsverbrecher. Doch als dieser begann, ausländischen Journalisten Interviews zu geben, wurde er zur Last. Seine Wohnung an der Rue Haddad, wo er auf dem Dach Kaninchen gezüchtet hatte, musste er aufgeben. Er wurde andernorts in Hausarrest gesetzt, um ihn vor den Blicken der Weltöffentlichkeit zu entziehen. Im Verlies des syrischen Geheimdienstes schliesslich, wo Brunner die letzten Jahre bis zu seinem Tod 2001 eingesperrt war, gab es nicht einmal mehr Tageslicht.

Und was wurde aus den übrigen Protagonisten?

Walter Rauff verliess Syrien bereits 1949 nach einem Militärputsch. Er schlug die klassische «Rattenlinie» ein und flüchtete über Italien nach Südamerika. In Punta Arenas, der südlichsten Stadt Chiles, betrieb er eine Fischfabrik. Eine Weile war er als freier Mitarbeiter für den BND tätig. Unter dem Decknamen «Enrico Gomez» wurde ihm eine monatliche Pauschale von 2000 Mark ausbezahlt.

Reinhard Gehlen blieb bis zu seiner Pensionierung am 1. Mai 1968 Präsident des BND. Drei Jahre später veröffentlichte er seine Memoiren, die zum Bestseller wurden.

Amin al-Husseini lehnte 1947 den Teilungsplan der Uno für Palästina ab. Palästinenser, die bereit waren, mit den Juden und der Uno zu verhandeln, liess der Mufti ermorden. Yasir Arafat gilt als sein politischer Ziehsohn. In seinen Anfangsjahren hielt der PLO-Chef an Husseinis Doktrin fest, es könne nur ein judenfreies Palästina geben.

Hauptquellen: Danny Orbach, «Fugitives – A History of Nazi Mercenaries during the Cold War», Pegasus Books, 2022; diverse Beiträge in «Einsicht»/Fritz-Bauer-Institut; «Die geheimen Akten über Alois Brunner» auf fragdenstaat.de; Georg M. Hafner / Esther Schapira, «Die Akte Alois Brunner», Campus-Verlag, 2000; «Die Asads und ihr Nazi» in «Reportagen» #33/2017.

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