Der Schweizer Schokolade-Gigant Lindt & Sprüngli hat in den USA eine Sammelklage am Hals. Der Grund: zu viel Schwermetall in Excellence-Produkten. Mit seiner Verteidigungsstrategie zerlegt das Unternehmen sein eigenes Qualitätsversprechen.
Die Maîtres Chocolatiers giessen die Schokolade für jeden Goldhasen, jedes Praliné und jede Lindor-Kugel eigenhändig in die Form. Zumindest in der Werbung von Lindt & Sprüngli, auch einfach als Lindt bekannt. Aber bei mindestens zwei Schokoladen haben die Maîtres möglicherweise nicht so genau hingeschaut.
Denn in je einer Tafel der Linien «Excellence 85% Kakao» und «Excellence 70% Kakao» haben kalifornische Konsumentenschützer einen hohen Anteil an zwei giftigen Schwermetallen gemessen: Cadmium und Blei. Die vom Bundesstaat Kalifornien festgelegten Grenzwerte wurden demnach teilweise deutlich überschritten.
Das war im Jahr 2022. Kurz darauf lancierten amerikanische Verbraucher eine Sammelklage gegen den Schokolade-Giganten aus Kilchberg am Zürichsee. Der Vorwurf: Die Konsumenten seien von der Firma mit falschen Qualitätsversprechen in die Irre geführt worden.
Hätten sie gewusst, dass die Produkte schwermetallbelastet seien, hätten sie diese nicht gekauft – oder nicht so viel dafür bezahlt. Tatsächlich preist Lindt seine Schokoladen in den höchsten Tönen an. Unter anderem zeichneten sie sich dadurch aus, dass die Rohstoffe «akribisch selektioniert» würden.
Laut kalifornischem Recht kann man zwar Produkte mit erhöhtem Cadmium-Gehalt verkaufen, muss aber Warnhinweise anbringen. Diese fehlten auf den Excellence-Schokoladen.
Lindt wollte die Sammelklage vor einem Gericht in New York stoppen. Ohne Erfolg. Der in der Folge öffentlich gewordene Gerichtsentscheid vom September, welcher der «NZZ am Sonntag» vorliegt, birgt Zündstoff.
Milliardenkonzern Lindt & Sprüngli
Denn Lindt zerlegt zu seiner Verteidigung die eigenen Marketing-Botschaften regelrecht. So machte die Firma geltend, der auf der Verpackung aufgedruckte Satz «fachmännisch gefertigt aus den besten Zutaten» sei bloss «puffery» – auf Deutsch übersetzt: marktschreierisches Anpreisen. Dasselbe gelte für den Begriff «Excellence».
Folglich, so die Lindt-Anwälte weiter, handle es sich «um übertriebene Werbung und um Angeberei, auf die sich kein vernünftiger Konsument verlasse».
Mit anderen Worten: Das Hervorheben der Lindt-Qualität sei eine durchschaubare Marketing-Maskerade. Wer darauf hereinfalle, sei selbst schuld.
Es ist klar, dass es sich dabei um Prozesstaktik handelt. Die ist aber bemerkenswert. Lindt verdankt seinen Erfolg einem aussergewöhnlich geschickten Marketing. Die Firma schafft einen seltenen Spagat: Die Schokolade ist ein Industrieprodukt. Man findet sie nicht in Confiserien, sondern in Supermärkten und am Kiosk. Konsumentinnen und Konsumenten sind dennoch bereit, dafür einen Premiumpreis zu zahlen.
So konnten die in letzter Zeit massiv gestiegenen Kakaopreise Lindt wenig anhaben. Die Firma wälzt die höheren Kosten grösstenteils auf die Kunden über. Diese haben sie hingenommen, weil Lindt eine so starke Marke ist. Vergangenes Jahr wuchs das Unternehmen um 4,6 Prozent auf 5,2 Milliarden Franken Umsatz. Der Gewinn machte einen Sprung um 10 Prozent auf 813 Millionen.
Nun fühlen sich viele Konsumenten über den Tisch gezogen. Insbesondere in den sozialen Netzwerken fliegen Lindt die Aussagen der eigenen Anwälte um die Ohren.
Für den Schokoladehersteller ist alles ein grosses Missverständnis. Lindt schreibt: «Die Kläger behaupten, dass sie Werbeaussagen zur Qualität von Lindt-Produkten so interpretierten, dass dunkle Schokolade frei von Schwermetallen sei.» Und weiter: «In unserem Rechtsgutachten wurde darauf hingewiesen, dass Wörter wie ‹exzellent› nach US-Recht nicht automatisch suggerieren, dass ein Produkt schwermetallfrei ist.»
Tatsächlich ist bekannt, dass Kakaopflanzen anfällig sind für Schwermetalle. Insbesondere Cadmium, das die Nieren schädigt und als krebserregend gilt, wird von den Kakaobohnen besonders gut gespeichert. Lindt weist denn auch aus, dass in seinen Produkten «Spuren von Cadmium» enthalten sein könnten.
Der Edelkakao ist das Problem
Die Crux: Der Edelkakao aus Südamerika wächst oft auf vulkanischem Boden, der von Natur aus Cadmium enthält. Doch dieser Kakao ist wichtig für den Geschmack. Er lässt sich nicht einfach mit Kakao aus weniger betroffenen Weltgegenden – etwa Westafrika oder Madagaskar – ersetzen.
Kommt hinzu: Je höher der Kakaogehalt einer Schokolade, desto eher ist sie schwermetallbelastet. Das macht dunkle Schokolade – beispielsweise die Excellence-Linie von Lindt – besonders anfällig. In der Schweiz wie in der EU wird der Grenzwert für Cadmium deshalb nach Sorte festgelegt: Bei Milchschokolade ist die zulässige Menge tiefer, bei dunkler Schokolade höher.
Doch wie toxisch ist dunkle Schokolade nun? Immerhin gilt sie als die «gesunde» Variante des Genussmittels. Roger Wehrli, Direktor des Verbands Chocosuisse, gibt Entwarnung: «Für Konsumenten gibt es keinen Grund zur Sorge: Gesetzliche Grenzwerte stellen sicher, dass alle im Handel erhältlichen Produkte unbedenklich sind.»
Ist die Aufregung also übertrieben, und werden die Aussagen der Lindt-Anwälte böswillig falsch interpretiert? So einfach ist es nicht. Es kann zwar sein, dass die Anwälte aus Unvermögen eine maximal ungeschickte Formulierung wählten.
Denkbar ist aber auch, dass die Klage bei Lindt so viel Nervosität auslöst, dass man bereit ist, die eigenen Marketing-Botschaften zu opfern. In der amerikanischen Lebensmittelbranche wird die Entwicklung jedenfalls mit Spannung verfolgt.
Noch muss die Sammelklage von einem Gericht als solche anerkannt werden. Kommt’s zum Prozess, könnte es aber teuer werden. Lindt dürfte dann versuchen, mit den Klägern einen Vergleich zu finden. Das hätte wohl auch Folgen für die Snack- und Süssigkeitenindustrie in den USA. Sie müsste wohl deutlich mehr Geld ins Qualitätsmanagement investieren.
Lindt weist jedenfalls sämtliche Anschuldigungen von sich. «Insbesondere, dass die dunkle Schokolade gegen gesetzliche Vorschriften verstösst oder bedenklich sei.» Die Qualitäts- und Sicherheitsverfahren von Lindt & Sprüngli würden sicherstellen, dass alle Produkte sämtliche Sicherheitsstandards und Kennzeichnungsanforderungen einhielten.
Weiter will sich das Unternehmen nicht äussern, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt. Somit bleibt die Frage offen, ob die betroffenen Schokoladen auch hierzulande in den Verkauf gelangten.
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