Sonntag, November 24

Proteine essen und schlank werden`? Ganz so einfach ist es nicht, aber die Aussage hat einen wahren Kern. Warum Proteine beim Abnehmen helfen und auf was man dabei achten muss.

Dieser Beitrag ist Teil der NZZ-Serie «Ich nehme ab», die von Januar bis Mitte April 2023 erschienen ist. In den Texten beschreibt der Wissenschaftsredaktor und Mediziner Alan Niederer einen Selbstversuch und vermittelt wichtige Informationen zu den Themen Übergewicht und Abnehmen.

Mit Proteinen abnehmen? Die wichtigsten Fakten und Zusammenhänge

Proteine als Schlankmacher? Das klingt zwar etwas reisserisch, hat aber einen wahren Kern. Proteine erleichtern das Abnehmen, weil sie sehr stark sättigend sind. Dadurch hören wir früher mit dem Essen auf. Somit führt eine eiweissreiche Ernährung dazu, dass wir – ohne es zu merken – weniger anderes essen: also weniger Kohlenhydrate und Fett.

Beim Abnehmen spielen also nicht nur die Kalorien eine Rolle. Wichtig ist auch, woher sie stammen – nämlich von Eiweissen, Kohlenhydraten, Fetten und vom Alkohol. Das ändert aber nichts daran, dass wir nur dann abnehmen, wenn wir weniger Kalorien aufnehmen, als unser Körper verbraucht.

Dass sich unsere Sättigung stark an der Proteinaufnahme orientiert, dürfte praktische Gründe haben. So hat der Körper kein «Interesse», möglichst viele Proteine aufzunehmen. Denn anders als Fett und Kohlenhydrate kann er Eiweissstoffe – ausser im Muskel – nicht speichern. Aus Sicht der Evolution, die auf das nackte Überleben und das Nachwuchshaben angelegt ist, ist es daher sinnvoller, im Körper eine Energiereserve in Form von Fett anzulegen. Denn wer weiss schon, wann die nächste Mahlzeit kommt . . .

Andererseits muss der Körper aber auch sicherstellen, dass wir nicht zu wenig Proteine aufnehmen. Denn die Eiweissstoffe sind unsere wichtigsten Bau- und Betriebsstoffe. Nicht nur die Muskeln bestehen daraus, auch das Gerüst der Zellen, das Bindegewebe (Kollagen), das Blut, die Knochen, das Immunsystem (Antikörper) u. v. m. Zudem werden Proteine im Stoffwechsel als Biokatalysatoren (Enzyme) und Hormone gebraucht.

Die Aufnahme der Proteine wird durch den sogenannten Proteinhunger oder Proteineffekt sichergestellt. In der Wissenschaft ist das Konzept seit 2005 unter dem Namen Protein-Hebelwirkung bekannt (Protein Leverage Hypothesis). Grob vereinfacht besagt es, dass wir so lange essen, bis wir mit unserer Nahrung ausreichend Proteine aufgenommen haben. Enthält unser Essen nicht genügend Proteine, essen wir mehr und länger. Damit steigt die Gefahr, dass wir uns überessen und zunehmen.

Der Proteinhunger dürfte ein Grund sein, weshalb sich viele mit der sogenannten FdH-Diät («Friss die Hälfte») schwer tun. Denn isst man nur die halbe Portion Proteine, muss man ständig gegen Hunger ankämpfen. Wer abnehmen will, sollte deshalb in erster Linie keine eiweissarme Ernährungsform wählen.

Wenig Proteine – dafür aber viel Fett und Kohlenhydrate – kriegt man zum Beispiel, wenn man sich vor allem mit industriell gefertigten Produkten wie Chips, Tiefkühlpizza, Schokoriegel oder Süssgetränken ernährt. Diese Nahrungsmittel stehen deshalb in der Lebensmittelpyramide der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung ganz oben. Das ist keine Auszeichnung, sondern bedeutet, dass man sie nicht täglich konsumieren sollte, und nur in kleinen Mengen.

Die Lebensmittelpyramide

Proteine sind also unsere Helden. Wer dabei aber nur an Steaks, Fisch, Eier und Milchprodukte denkt, ignoriert die pflanzlichen Helden. Denn auch da gibt es veritable Proteinbomben.

Für mich – und die meisten Menschen – reichen diese natürlichen Proteinquellen völlig aus, um den täglichen Eiweissbedarf zu decken. Ich verzichte deshalb auf die überall angebotenen Proteinpulver und Protein-Shakes.

Pflanzliche Lebensmittel mit hohem Proteinanteil:

  • Bohnen und Hülsenfrüchte: z. B. Sojabohnen (Tofu), Kidneybohnen, Spalterbsen, Mungobohnen, Linsen und Kichererbsen (20 bis 35 Gramm Eiweiss pro 100 Gramm).
  • Getreide und Ähnliches: z. B. Amaranth, Dinkel, Quinoa, Bulgur, Hafer (Haferflocken), Hirse (10 bis 15 Gramm Eiweiss pro 100 Gramm).
  • Samen und Kerne: z. B. Hanfsamen, Sonnenblumen- und Kürbiskerne, Sesam, Lein- und Chia-Samen (20 bis 30 Gramm Protein pro 100 Gramm). Man kann sie z. B. übers Müesli oder über den Salat streuen.
  • Nüsse: z. B. Erdnüsse, Mandeln, Haselnüsse, Walnüsse, Pistazien (15 bis 25 Gramm Eiweiss pro 100 Gramm). Sie eignen sich besonders gut als kleine Proteinquellen für zwischendurch.

Eine Auswahl an pflanzlichen Proteinquellen (links), die den Vergleich zum Lachs (rechts) nicht scheuen müssen.

PS: Noch ein Wort zum Lachs: In Zucht- und Wildlachs stecken 20 bis 25 Gramm Protein pro 100 Gramm. Weil beim Zuchtlachs der Fettanteil aber zehnmal so hoch ist, nimmt man mit diesem Produkt mehr Kalorien auf als mit Wildlachs. Dies als Beispiel dafür, dass vermeintlich gleiche Produkte manchmal doch nicht gleich sind.

Meine Erfahrungen im Experiment (Woche 3)

Ehrlich gesagt bin ich schon etwas verblüfft, wie gut es bei meinem Experiment läuft. Auch diese Woche habe ich wieder ein Kilogramm abgenommen. Ich liege damit über dem Ziel von einem halben Kilogramm pro Woche. Mir soll es recht sein. Solange ich nicht darben muss. Bis jetzt ist das nicht der Fall. Meine Essensportionen sind ordentlich, so dass ich nicht ständig Hunger habe. Auch nicht nachts. Da schlafe ich mehr oder weniger durch.

Im letzten Blog habe ich geschrieben, was ich an meiner Ernährung geändert habe. Der erste und vielleicht wichtigste Punkt: Ich achte darauf, dass mein Essen im Vergleich zu früher mehr Eiweissstoffe (Proteine) enthält.

Wie oben angedeutet, opfert der Körper sein Fettgewebe nur ungern. Deshalb baut er beim Abnehmen – also beim Hungern – Fett- wie auch Muskelgewebe ab. Und das in einem Verhältnis von etwa 3 zu 1. Das heisst: Wenn ich nach meiner Abspeckkur zehn Kilogramm leichter bin, könnten auch gut zwei Kilogramm Muskeln weg sein.

Dieses Phänomen von der rasch schwindenden Muskulatur kennen Ärzte von ihren schwerkranken, bettlägerigen Patienten, die fast nichts mehr essen. Das Thema ist aber auch für stark übergewichtige Frauen und Männer relevant, die sich auf der Intensivstation behandeln lassen müssen. Könnte man diese Zeit nicht nutzen, damit die Patienten ein wenig abnehmen? So dachten früher viele Ärzte und setzten die Patienten auf eine kalorienreduzierte Diät. Mit der Folge, dass diese in kurzer Zeit so viele Muskeln verloren, dass sie nach überstandener Krankheit kaum noch aus dem Bett aufstehen konnten.

Das gilt es zu verhindern. Auch beim gewollten Abnehmen. Den Kampf um das wertvolle Muskelgewebe führe ich mit ausreichend Proteinen in der Nahrung und – ebenso wichtig – mit regelmässigem Muskeltraining. Nur Proteine zu essen, reicht nicht. Man muss schon einen Reiz im Muskelgewebe setzen. Damit der Organismus weiss, dass das Gewebe wirklich benötigt wird und nicht abgebaut werden sollte. Aus diesem Grund gehe ich zum ersten Mal in meinem Leben regelmässig zum Krafttraining in ein Fitnessstudio.

Meine Resultate im Experiment (Woche 3)

Aus Alans Blog (21. 1. 2023)

Aus Alans Blog (21. 1. 2023)

Mitarbeit an diesem Projekt – Medizinische Unterstützung: Prof. Dr. Marc Donath, Universitätsspital Basel (Stoffwechselspezialist), Prof. Dr. Arno Schmidt-Trucksäss, Universität Basel (Sportmediziner), Dr. Matthias Hepprich, Kantonsspital Olten (Stoffwechselspezialist), Jolanda Arnold BSc, Kantonsspital Olten (Ernährungsberaterin), journalistisch-technische Unterstützung: Frank Brunner, Nicolas Fröhner, Franco Gervasi, Reto Gratwohl, Alex Kräuchi, Marit Langschwager, Severin Pomsel, Annick Ramp, Roman Sigrist, Sven Titz.


«Ich nehme ab» – ein Selbstexperiment in der NZZ

Die halbe Schweiz hat Übergewicht. Die meisten Menschen sind nicht adipös, aber doch eindeutig zu schwer. Dieses «gewöhnliche» Übergewicht wird punkto Gesundheitsrisiken unterschätzt. Wenn überhaupt, wird es bisher vor allem mit Lifestyle-Veränderungen angegangen. Die Kurzformel lautet: weniger essen, mehr bewegen. Welchen Beitrag aber können neuere Medikamente zum Abnehmen leisten? Diesen und weiteren Fragen rund um das Thema Übergewicht und Abnehmen geht der Wissenschaftsredaktor und Mediziner Alan Niederer in einem Selbstexperiment nach.

Exit mobile version