Donald Trump behauptet, das Blutvergiessen in der Ukraine im Nu beenden zu können. Welche Erfolgschancen hat er? Die Wahrscheinlichkeit von Friedensgesprächen ist zwar gestiegen, aber der Teufel steckt im Detail.
Knapp drei Jahre nach der russischen Invasion in der Ukraine und nach schätzungsweise einer Viertelmillion Todesopfer kristallisiert sich eine neue Ausgangslage heraus. Die politische Rhetorik hat sich geändert: Immer mehr westliche Politiker sprechen von der Notwendigkeit, den Krieg zu beenden. Am einflussreichsten ist die Stimme des künftigen amerikanischen Präsidenten Donald Trump, der in elf Tagen sein Amt antritt. Er hat im Wahlkampf damit geprahlt, innert 24 Stunden eine Lösung erzwingen zu können. Neuerdings räumt er ein, dass die Friedenssuche länger dauern wird.
Noch liegen erst bruchstückhafte Ideen für eine Friedensregelung vor. Trump hat mit der Berufung des früheren Generals Keith Kellogg zu seinem Ukraine-Sondergesandten zwar ein deutliches Signal gegeben. Kellogg ist Mitautor eines Friedensplans, der ein rasches Einfrieren der Kämpfe vorsieht. Aber Trump lässt sich vorläufig nicht in die Karten blicken und schweigt sich über Details seiner Verhandlungsstrategie aus.
In dieser Situation lohnt es sich, den Fokus nicht nur auf die vagen Friedensprojekte zu richten. Ergiebiger ist die Frage, was in einem Friedensvertrag überhaupt geregelt werden müsste und welche Herausforderungen sich dabei stellen. Diplomaten pflegen bei komplexen Konflikten die Streitfragen auf verschiedene Dossiers oder «Körbe» zu verteilen. Mindestens sechs solche «Körbe» sind in diesem Fall zu berücksichtigen:
- Waffenstillstand
- Humanitäres
- Territorialfragen
- Sicherheitsgarantien
- Sanktionen und Reparationen
- Strategische Stabilität in Europa
Die geringste Herausforderung sind die humanitären Fragen, darunter der Austausch von Kriegsgefangenen. Darüber führen die beiden Kriegsparteien bereits seit längerer Zeit Verhandlungen und erzielen immer wieder Vereinbarungen. Bei den anderen Punkten bestehen jedoch grosse, zum Teil unüberbrückbare Gegensätze.
Waffenstillstand
Sowohl Russland als auch die Ukraine zeigen sich grundsätzlich bereit zu einer Einstellung der Kampfhandlungen. Sie knüpfen dies aber an völlig gegensätzliche Vorbedingungen. Moskau verlangt von Kiew Zugeständnisse, die auf eine Kapitulation hinauslaufen: Die Ukrainer sollen sich aus den vier von Russland annektierten, aber erst teilweise besetzten Provinzen Donezk, Luhansk, Saporischja und Cherson zurückziehen sowie offiziell auf das Ziel eines Nato-Beitritts verzichten. Erst dann will sich das Putin-Regime überhaupt an den Verhandlungstisch setzen.
Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski stellt Vorbedingungen. Die in seiner «Friedensformel» von 2022 erhobene Forderung nach einem vollständigen Rückzug der russischen Truppen hat er zwar fallengelassen. Aber er befürchtet mit gutem Grund, dass die Russen einen Waffenstillstand missbrauchen könnten: Sie könnten neue Kräfte sammeln und später eine weitere Invasion lancieren. Als ersten Schritt verlangt Selenski deshalb Sicherheitsgarantien des Westens, die dies verhindern sollen.
Die Zeit scheint somit noch nicht reif für ein Ende der Kampfhandlungen. Trump beabsichtigt offenbar, starken Druck auf beide Kriegsparteien auszuüben, um sie zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Folgt er dem Plan seines Sondergesandten Kellogg, würde er Kiew mit dem Entzug der Militärhilfe drohen und umgekehrt dem Kreml damit, die Ukrainer weiter aufzurüsten. Ob dieses Doppelspiel gelingt, wirkt höchst ungewiss. Selbst wenn es zu einer vorläufigen Feuerpause käme, wäre der Krieg erst eingefroren, aber der Frieden nicht gesichert. Von entscheidender Bedeutung sind deshalb die übrigen Verhandlungsdossiers.
Territorialfragen
Russland hält 18 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets völkerrechtswidrig besetzt. Bei knapp der Hälfte davon handelt es sich um Gebiete, die erst nach der Invasion vom Februar 2022 unter russische Kontrolle fielen. Die ukrainische Führung pocht auf ihre Rückgabe, gibt aber zu erkennen, dass sie nicht mehr damit rechnet, dies auf militärischem Weg erreichen zu können. Auch in der Bevölkerung hat sich das Meinungsbild verschoben. In Umfragen ist der Anteil jener, die jegliche territoriale Zugeständnisse ablehnen, gesunken.
Russland gibt sich allerdings mit den besetzten Gebieten nicht zufrieden. Mit der Annexion der erwähnten vier Provinzen hat es nur ein Minimalziel formuliert. Da Putin der Ukraine eine eigene nationale Identität abspricht und sie als künstliches Gebilde hinstellt, muss davon ausgegangen werden, dass er eine vollständige Unterwerfung anstrebt. Sein früherer Ministerpräsident Dmitri Medwedew präsentierte im vergangenen Jahr die Karte einer völlig zerstückelten Ukraine und einen Sieben-Punkte-Plan, gemäss dem sich die Ukraine selber auflösen und der Russischen Föderation anschliessen würde.
Ein diplomatischer Kompromiss in diesen territorialen Fragen ist schwer vorstellbar. Am wahrscheinlichsten ist, dass bei einem Waffenstillstand dieser Streit ungeklärt bleibt und beide Seiten hoffen, ihre Positionen zu einem späteren Zeitpunkt durchzusetzen.
Sicherheitsgarantien
Eine grosse Kluft trennt Moskau und Kiew auch in der Frage westlicher Sicherheitsgarantien. Da Putin zahlreiche völkerrechtliche Abkommen gebrochen hat, haben die Ukrainer kein Vertrauen mehr in Vereinbarungen mit ihm. Sie verlangen bindende Zusicherungen, dass westliche Staaten dem Land militärisch zu Hilfe kämen, sollten die Russen einen Waffenstillstand erneut brechen.
Am glaubwürdigsten wäre eine solche Sicherheitsgarantie in Form eines Nato-Beitritts der Rest-Ukraine. Für deren Gebiet gälte damit automatisch die Beistandsklausel der transatlantischen Allianz – ähnlich wie einst der Westteil des geteilten Deutschland in das Bündnis aufgenommen worden war, noch bevor es Klarheit über die künftigen Grenzen gab. Ein Beitritt könnte mit der vertraglichen Zusicherung an Russland verbunden werden, dass die Nato in Friedenszeiten keinerlei Truppen in der Ukraine stationieren würde.
Die USA und weitere Mitglieder lehnen einen Nato-Beitritt der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt jedoch ab. Sie befürchten, in einen offenen Krieg mit Russland hineingezogen zu werden. Sie geben damit zu verstehen, dass sie wenig Vertrauen in ein Waffenstillstandsabkommen haben und das Risiko einer neuen Offensive Moskaus sehen. Hinzu kommt, dass Moskau einen ukrainischen Nato-Beitritt strikt ablehnt. Aussenminister Sergei Lawrow hat kürzlich auch die Idee aus dem Umfeld Trumps, den Nato-Beitritt um zwanzig Jahre zu verschieben, zurückgewiesen.
So stellt sich die Frage, ob Sicherheitsgarantien in anderer Form ausgestaltet werden könnten. Trump denkt offenbar an eine europäische Schutztruppe, zu der die USA keinen Beitrag leisten würden. Sein künftiger Vizepräsident, J. D. Vance, hat vage von einer demilitarisierten Zone entlang der jetzigen Front gesprochen, die gegen mögliche russische Angriffe verteidigt werden müsste. Selenski und auch sein Verbündeter Polen halten jedoch nichts von einer Schutztruppe ohne Beteiligung der Amerikaner, da nur diese dem Projekt die nötige militärische Glaubwürdigkeit geben könnten.
Ohnehin kollidieren solche Ideen mit der harten Haltung des Kremls, der die Stationierung westlicher Truppen auf dem Gebiet der Ukraine ablehnt. Putin verweist regelmässig auf die Friedensverhandlungen in Istanbul im Frühling 2022. In dem dort präsentierten Vertragsentwurf bedingte sich Moskau das Recht aus, jegliche militärische Hilfe zugunsten der Ukraine mit dem Veto zu blockieren.
Ebenso möchte Russland in einem Friedensabkommen eine weitgehende Entwaffnung des Nachbarlandes durchsetzen, mit vertraglichen Obergrenzen für die Grösse der ukrainischen Armee. Letztlich strebt der Kreml eine schutzlose Rumpf-Ukraine an, die erpressbar wäre und unter den Einfluss Moskaus fiele.
Sanktionen und Reparationen
Daneben stellen sich auch wichtige nichtmilitärische Fragen. Russland verlangt, dass in einem Friedensvertrag alle Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden. Die Ukraine und ihre Unterstützer wollen dieses Druckmittel aber nicht aus der Hand geben, solange ukrainisches Territorium besetzt bleibt. Zugleich fordert Kiew Reparationen für die von Russland verschuldeten Kriegsschäden. Die im Westen blockierten russischen Vermögenswerte in Höhe von etwa 300 Milliarden Dollar sind eine naheliegende Quelle zur Finanzierung des Wiederaufbaus. Auch in diesem Bereich sind die gegensätzlichen Positionen kaum überbrückbar.
Strategische Stabilität in Europa
Oft verdrängt wird die Tatsache, dass sich Russland im Krieg mit dem gesamten Westen sieht, nicht allein mit der Ukraine. Selbst im Falle einer Waffenruhe entlang der russisch-ukrainischen Front wäre die Feindschaft zwischen Ost und West nicht überwunden. Dem Kreml geht es nicht primär um Territorialgewinne in der Ukraine, sondern um eine grundlegende Änderung der Sicherheitsordnung in Europa. Seine Forderungen laufen darauf hinaus, die USA als Sicherheitsgarant des Kontinents zu verdrängen und die Erweiterung der Nato nach Osteuropa rückgängig zu machen.
Moskau schwebt offensichtlich die Schaffung einer russischen Einflusszone in Osteuropa vor, in der Russland auch Spielraum für weitere Militärinterventionen hätte. Gefährdet sind vor allem die früheren Sowjetrepubliken im Baltikum sowie die Moldau. Wie der Westen diese unverhohlene Grossmachtpolitik in die Schranken weisen will, ist derzeit völlig offen, zumal die USA ihr Engagement innerhalb der Nato verringern möchten und die westeuropäischen Armeen ausgehöhlt sind.
Die militärische Entwicklung entscheidet
Ein echter Frieden scheint vor diesem Hintergrund unerreichbar. Das schliesst nicht aus, dass sich die diplomatischen Bemühungen in diesem Jahr verstärken und westliche Politiker zumindest den Anschein eines Friedensprozesses entstehen lassen. Entscheidend ist vor allem die militärische Entwicklung. Ein Waffenstillstand wird dann wahrscheinlicher, wenn Russland zur Einsicht gelangt, seine Ziele nicht mit vertretbarem militärischem Einsatz erreichen zu können. Angesichts der ukrainischen Schwäche an vielen Frontabschnitten bedingte dies jedoch eine deutliche Steigerung der westlichen Militärhilfe, wofür derzeit der politische Wille fehlt.
Realistischerweise muss deshalb mit zwei Szenarien gerechnet werden, die beide schlecht für Europas Sicherheit wären: Das eine wäre ein Pseudofrieden, bei dem die beiden Kriegsparteien in einen prekären Waffenstillstand einwilligen, aber die meisten übrigen Streitfragen ungeklärt bleiben. Das andere wäre die Fortsetzung des russischen Angriffskrieges, begleitet von fruchtloser diplomatischer Hektik und einer zunehmenden Schwächung der Ukraine.
Positivere Überraschungen lassen sich dabei nicht ausschliessen, etwa eine heftige Wirtschaftskrise in Russland, die das Putin-Regime zu einer Neubeurteilung der strategischen Prioritäten zwingt. Aber dabei handelt es sich vorläufig nur um westliches Wunschdenken.