Donnerstag, Oktober 3

Deglobalisierung und eine schwache Binnenwirtschaft trüben das Umfeld in China. Wie reagieren die dort am stärksten exponierten Schweizer Unternehmen? Ihre Devise: Ausharren und sich pragmatisch anpassen.

In China läuft es seit einiger Zeit alles andere als rund. Die Werkbank der Welt, das Zugpferd einer globalisierten Wirtschaft, die für viele Wohlstand geschaffen hat, lahmt. Weil das riesige Land in vielen Bereichen der grösste Absatzmarkt ist, hat dies weitreichende Auswirkungen auf die Unternehmen.

Belege der Krise gibt es genug. Chinas Wirtschaft wächst nur noch langsam, denn der Immobilienmarkt stagniert, die ausländischen Direktinvestitionen befinden sich auf einem 30-Jahre-Tief. Die Verschuldung des Staats und der lokalen Regierungen nimmt zu. Westliche Ratingagenturen konstatieren eine Verschlechterung der Bonität des Landes. In der Wirtschaft bauen sich Überkapazitäten auf, was die Erholung verzögert.

Auch die allseits erwartete Wachstumsbeschleunigung nach der Pandemie hat sich als Trugschluss entpuppt. Bestenfalls kann das für dieses Jahr budgetierte Wachstum von 5% erreicht werden. Die im März um 15 bzw. 16% geringeren Exporte in die EU bzw. in die USA versprühen wenig Optimismus.

Neue Spielregeln

Weil die meisten Schweizer Unternehmen international ausgerichtet sind und auch den chinesischen Markt bedienen wollen, hat die Chinaflaute spürbare Konsequenzen. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Gesellschaften viele Aktivitäten nach China verlagert. Entweder weil sie dort die besten Produktionsbedingungen vorfanden oder weil sich in China ihre wichtigsten Kunden und Partner befinden. Die Belohnung dafür waren überdurchschnittliches Wachstum und bessere Margen.

Durch den intensivierten Handelskrieg zwischen den USA und China haben sich die Spielregeln schlagartig verändert. Strafzölle erschweren und verteuern den Export von Gütern aus China, vor allem in die USA. Die vor Ort produzierenden westlichen Firmen mussten möglichst rasch ihre Lieferketten neu flechten und alternative, ausserhalb Chinas liegende Standorte aufbauen. Das ist kostspielig und kann nicht über Nacht geschehen. Wie lang eine solche Transformation dauern kann, zeigen die Absichten des Schweizer Computerperipherieherstellers Logitech. Vor gut fünf Jahren fabrizierte er noch alle Produkte in China. Trotz intensivierter Verlagerung dürften es auch jetzt noch zwei Drittel sein.

Abhängigkeit hält sich in Grenzen

Das verlangsamte Wirtschaftswachstum in China hat dazu geführt, dass die Umsatzanteile der Schweizer Unternehmen in den jüngsten Jahren gesunken sind (vgl. Grafik). Genaue Zahlen sind selten erhältlich. Meist werden nur die Anteile der gesamten Region Apac (Asien, Australien, Ozeanien) publiziert. Unklar ist meist auch, ob der Umsatz in Hongkong und Taiwan zum Chinaanteil hinzugezählt wird. Deshalb müssen sich die Analysten mit Schätzungen behelfen.

Einigermassen gesichert ist lediglich, dass der Chinaanteil bei den meisten Gesellschaften in jüngster Vergangenheit gesunken ist. Während Swatch Group beispielsweise 2020 noch 45% der Einnahmen in China erwirtschaftete, waren es im vergangenen Jahr 33,3%. Weil die Unternehmen ihre Chinastrategie wegen des Handelskriegs adjustieren, würde es nicht überraschen, wenn das Chinaexposure noch etwas weiter zurückginge.

Nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Produktionsstätte spielt China für einige Schweizer Unternehmen indes eine wichtige Rolle. Ausser Logitech gehören Schaffner (gut 30%), Carlo Gavazzi (25 bis 35%), Schindler (25%), Huber + Suhner (über 20%) und Sika (21%) zu den Gesellschaften, die einen beträchtlichen Teil ihrer Produkte in China herstellen.

The Market hat mit einigen stark in China tätigen Industrieunternehmen gesprochen. Je nach Struktur und Markt, in dem sie tätig sind, stehen sie unterschiedlichen Herausforderungen gegenüber. Was sie jedoch eint, ist der Pragmatismus in der Adjustierung ihrer Chinastrategie.

Burckhardt Compression ist in China glücklich geworden

Der Chinaanteil von 35%, mit dem Burckhardt Compression die Rangliste anführt, stimme ungefähr, bestätigt Rolf Brändli, der Finanzchef des Winterthurer Herstellers von Kolbenkompressoren. Über die Jahre sei er stabil geblieben.

Voll auf die Karte China setzte das Unternehmen 2016, als es eine Mehrheit am chinesischen Konkurrenten Shenyang Yuanda Compressors erwarb. Anfang 2021 wurde die Restbeteiligung von 40% des chinesischen Marktführers übernommen. Mittlerweile sind rund tausend Personen oder knapp ein Drittel der Belegschaft in China tätig.

Das Unternehmen hatte das Glück, dass es vor zwei Jahren quasi zum Nulltarif eine neue Fabrik errichten konnte. Das neue Werk sei topmodern und flächenmässig sogar grösser als das Hauptwerk in Winterthur und habe noch Kapazitätsreserven, sagt Brändli. «Netto hat uns das nichts gekostet, weil wir etwa gleich viel für die Rückgabe des Grundstücks am alten Standort bekamen, wo in Zukunft Wohnhäuser stehen werden.» Der Umzug während des Lockdowns habe reibungslos geklappt. Nie sei es zu einem Unterbruch der Produktion gekommen.

Das Unternehmen ist froh, über Reserven zu verfügen, denn die Nachfrage in seinem Geschäft ist rege. Vor allem die Solarindustrie unterstützt den Auftragseingang, meint Brändli. Für die Produktion von Ethylen-Vinyl-Acetat (EVA), das für die Verkapselung von Photovoltaikzellen benötigt wird, kommt niemand um Burckhardt Compression herum. Solche Hyperkompressoren gebe es in China nicht, weshalb sie von der Schweiz nach China exportiert würden.

In China wird eine separate, günstigere Kompressorenlinie gefertigt, die auch im Ausland Abnehmer finden würde. «Eigentlich sind wir in der Lage, mehr chinesische Kompressoren zu exportieren, das Potenzial ist da», sagt Brändli. Nur die Einfuhr in die USA sei aufgrund der Steuern und Zölle oft nicht wirtschaftlich. Deshalb unterhält das Unternehmen in den USA und in Südkorea eigene kleinere Fabriken.

Laut dem Finanzchef sei schon vor Jahren damit begonnen worden, in China für den lokalen Markt zu produzieren. Das Wachstumspotenzial sei gegeben, vor allem für Neumaschinen, die in der Photovoltaik und im Zusammenhang mit der Energietransformation benötigt würden. Weltweit gibt es rund 75 000 bis 80 000 Kompressoren, wie Burckhardt Compression sie herstellt. Die USA sind nach wie vor das Land mit der höchsten installierten Basis. «Auch wenn die relative Bedeutung von China in Zukunft abnehmen könnte, weil andere Regionen wie die USA und Europa derzeit schneller wachsen, bleibt China für uns wichtig», fasst Brändli zusammen.

Lem weicht nach Malaysia aus

Grössere Anpassungen musste die in der Herstellung von Elektrokomponenten tätige Industriegruppe Lem Holding vornehmen. «Früher verkauften wir 40% in China, heute sind es noch 31%», erklärt Finanzchef Andrea Borla.

Zum einen hat das mit den schwachen Endmärkten zu tun, zum anderen mit der Anpassung der Chinastrategie. Während der Pandemie, als die Lieferkette stockte und Lem Komponenten fehlten, habe man in China in bestimmten Bereichen Marktanteile verloren, erzählt Borla. In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2023/24 (April 2023 bis Dezember 2023) sank der Umsatz in China um 20,5% (–10,6% in Lokalwährung). Das war auch der Grund, weshalb Lem die Prognose für das Geschäftsjahr nach unten anpassen musste.

In Zukunft will das Unternehmen nur noch ein Drittel seiner Sensoren in China herstellen, rund 800 Personen oder fast die Hälfte der Belegschaft arbeiten dort. Von den rund 50 Mio. Fr. an in den USA erzieltem Umsatz werden bisher 80 bis 90% aus China exportiert. Laut Borla würden die Strafzölle von 25% vom Kunden übernommen.

Doch künftig soll nur noch das lokal produziert werden, was auch lokal abgesetzt werden kann. Deshalb hat das Unternehmen in Malaysia eine Fabrik gebaut, um die Chinaabhängigkeit zu reduzieren. Im vergangenen Oktober hätten sie einziehen können. Im November sei die erste Produktionslinie installiert worden, mittlerweile laufen deren drei. Im Endausbau sollen in Penang bis zu fünfzig Linien stehen. «In naher Zukunft wollen wir den US-Markt aus Malaysia beliefern», erklärt Borla. Dazu müsse aber auch das Zuliefernetz lokalisiert werden, ein Prozess, der drei bis fünf Jahre in Anspruch nehme.

Unzufrieden mit China ist Lem, die schon viele Jahre dort aktiv ist, jedoch nicht. Laut Borla habe es nie Probleme gegeben, auch in Sachen Administration und Zahlungsgebaren laufe alles bestens. Zudem müsse das Unternehmen vor Ort sein, weil sich in China die grössten Märkte für Elektromobilität (60%) und Solarinverter (80%) befinden. Die chinesische Konkurrenz sei zwar besser geworden, konstatiert Borla. Doch über die nächsten zehn Jahre rechnet er weiterhin mit attraktiven Wachstumsraten in China.

OC Oerlikon will Spinnereigeschäft loswerden

Noch erwirtschaftet die Industriegruppe OC Oerlikon gut 30% ihrer Einnahmen in China, der Anteil war aber auch schon höher. 2022 bestritt die Region Asien-Pazifik 55% der Gruppeneinnahmen, 2023 waren es noch 48%. «In China herrscht ein anspruchsvolles Marktumfeld», sagte Finanzchef Philipp Müller an der Generalversammlung Ende März. Damit meint er in erster Linie die Sparte Polymer Processing Solutions (PPS), das stark zyklische Geschäft mit Filamentspinnmaschinen.

Dort läuft es seit Jahren schlecht. 2023 war das vierte Jahr in Folge mit einem Rückgang. Der Bestellungseingang sank um 40%, der Umsatz um 23%, und die bereinigte Ebitda-Marge reduzierte sich auf 14,5% (16,6). Die Nachfrage bleibt schwach, Kunden zehren von ihren Vorräten. Restrukturierungsmassnahmen – der Bereich Teknoweb wurde eingestellt, das Geschäft mit Intralogistiklösungen für grosse Spinnereien verkauft – reichten nicht aus, um die Sparte auf den Erfolgspfad zurückzubringen.

Die PPS-Sparte, mit der OC Oerlikon 44% der Einnahmen generiert, werde auch dieses Jahr Einbussen erleiden, warnte das Management schon im Februar. Für 2024 sind ein Umsatzrückgang um 25% sowie eine Marge von 11% budgetiert.

Kein Wunder will sich das Unternehmen von diesem Geschäft trennen. Gemäss Firmenangaben werden alle Optionen geprüft, also ein Verkauf, ein Teilverkauf und ein Spin-off. Offiziell heisst es, man wolle sich dafür ein bis drei Jahre Zeit nehmen. Jetzt, unter Zeitdruck und am zyklischen Tiefpunkt, verkaufen zu müssen, wäre unattraktiv. Die Analysten von Baader schätzen den Wert von PPS auf 500 Mio. bis 1 Mrd. Fr.

Ohne PPS würde sich das Chinaexposure von OC Oerlikon drastisch reduzieren. In der verbleibenden Sparte Oberflächentechnik (Surface Solutions) kamen im vergangenen Jahr nur 11% des Umsatzes aus China, bei PPS seien es leicht über 60% gewesen, heisst es.

Inficon produziert in China für China

Schweizer Halbleiterzulieferer wie VAT, Comet und Inficon waren schon immer stark auf Asien und vor allem China ausgerichtet, denn in dieser Region befinden sich die wichtigsten Märkte. Die branchenweite Flaute im Halbleitermarkt bedeutete aber auch für sie, dass sich ihr Umsatzanteil in China verringerte. Bei VAT fiel er im vergangenen Jahr von 40 auf 25,3%, bei Comet auf 27% (31).

Vergleichsweise stabil blieb er bei Inficon. Das Unternehmen ist schon seit rund dreissig Jahren dort vertreten und unterhält sechs Standorte. Laut Konzernchef Oliver Wyrsch liegt der Anteil in China meist bei rund einem Viertel. In Schanghai betreibe Inficon seit mehr als zwanzig Jahren eine kleinere Fabrik. Stets seien dort die eher einfacheren Produkte mit wenig Fertigungstiefe hergestellt worden, «das geistige Eigentum bleibt in der Schweiz», sagt Wyrsch. China diente als Montagestandort. Die Fabrik ist umgewidmet worden für chinesische Kunden.

Auf einen Handelskrieg zwischen den USA und China war das Unternehmen vorbereitet, weil es seit Jahren neue Regulierungen verfolge und entsprechend implementiere. «Die strengere US-Regulierung war ein Schlag in den Magen von China», sagt Wyrsch. Seit Jahren hätten sie dieselben Geschäftspartner in China und gute Geschäftsbeziehungen. Im Vergleich mit den Amerikanern gehe es den europäischen Unternehmen in China besser.

Doch das Geschäften ist auch für Inficon schwieriger geworden. Die Bürokratie habe zugenommen, Prozesse seien mühsamer geworden, weil bei Exporten alles detaillierter angegeben werden müsse. Das sei zwar alles «machbar, aber natürlich nicht gut für unsere Margen», fügt der Konzernchef hinzu.

Operationell kann Wyrsch nicht klagen. Vor allem das zweite und das vierte Quartal 2023 seien in China sehr gut gelaufen, sagt er. Das habe jedoch mehr mit der guten Verfügbarkeit von Komponenten sowie dem Timing grösserer Projekte zu tun gehabt.

Schon vor drei Jahren habe Inficon damit begonnen, vermehrt nur noch das in China zu produzieren, was auch lokal abgesetzt werden könne. Der Ausbau der Produktionskapazitäten in Malaysia sei eine taktische Verlagerung gewesen, um den Rest der Welt zu beliefern. Ab Anfang 2025 könnten von dort aus Lecksuchgeräte geliefert werden.

Wer auch immer der nächste US-Präsident wird, Wyrsch hat sich darauf eingestellt, dass es in Sachen Freihandel nicht besser wird.

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