Die Bilder sollten besser erforscht werden, verlangte vor einem Jahr ein unabhängiger Experte. Warum ist es seither so still geworden?

Bald ein Jahr ist es her, dass der Historiker Raphael Gross einen Bericht voller unangenehmer Befunde publizierte. Es ging um die Kunstsammlung des Zürcher Waffenproduzenten Emil Bührle, die seit 2021 das Herzstück des Kunsthaus-Erweiterungsbaus bildet.

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Bührle, dessen Gemälde heute einer Stiftung gehören, hatte viele seiner Werke in der Zeit des Nationalsozialismus erstanden. Dabei profitierte er auch von der Verfolgung jüdischer Kunstbesitzer, die damals reihenweise enteignet, zum Verkauf gedrängt oder durch die politischen Umstände dazu gezwungen wurden.

Wie viele Bührle-Bilder historisch belastet sind und was das für die Sammlung bedeutet – darüber wird seit Jahrzehnten gestritten. Mit dem Einzug der Sammlung in ein öffentliches Museum ist aus dem Streit eine erinnerungspolitische Debatte nationalen Ausmasses geworden.

Gross’ Bericht sollte hier Klarheit bringen. Der in Zürich geborene Leiter des Deutschen Historischen Museums in Berlin prüfte, wie professionell die bisherige Forschung zur Herkunft der Bilder war – und wo es Lücken gab.

Sein Befund: «Bei einer grossen Anzahl von Werken wurden die Provenienzen bisher nicht oder nicht ausreichend erforscht.» In vielen Fällen seien die Forschungsergebnisse «nicht oder allenfalls nur teilweise nachvollziehbar».

Für die Stadt und das Kunsthaus ein unbequemer Befund. Noch 2016 hatte Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) gesagt: «Die Sammlung Bührle gilt als eine der am besten erforschten Sammlungen weltweit.»

Nun stellte der Historiker Gross klar: «Die Sammlung ist historisch besonders belastet, und zwar in einem Ausmass, das in der Schweiz wohl einmalig ist.» Und weiter: «Ohne jüdische Sammler wäre die Sammlung Bührle so nie zustande gekommen.»

Der Expertenbericht endete mit der dringenden Empfehlung, die Herkunft der Gemälde gründlich zu untersuchen. Rund ein Drittel hat laut Gross mutmasslich jüdische Vorbesitzer.

Politik verliert die Geduld

Die Träger des Zürcher Kunsthauses – Kunstgesellschaft, Stadt und Kanton Zürich – versprachen daraufhin in einer Medienmitteilung vom Juli 2024 «zukunftsfähige Lösungen» und «Gespräche nach der Sommerpause». Die Öffentlichkeit werde man informieren, sobald es Ergebnisse gebe.

Seither ist es still geworden um die Bührle-Bilder im Kunsthaus. Es herrsche «das grosse Schweigen», schrieb das jüdische Wochenmagazin «Tachles» vor kurzem.

Unterbrochen wurde es nur einmal: als bekanntwurde, dass eines der umstrittensten Werke – «La Sultane» von Édouard Manet – im Kunsthaus bleiben wird. Die Bührle-Stiftung hatte sich mit den Nachkommen eines jüdischen Vorbesitzers geeinigt, gegen Zahlung eines Betrags in unbekannter Höhe.

Zur geforderten vollständigen Provenienzforschung aber herrschte weiterhin Schweigen. Bis an diesem Montagmorgen, als die kantonale Politik die Geduld mit der Stadt und dem Kunsthaus verlor.

Anlass war ein Vorstoss im Kantonsparlament, in dem die Ratslinke eine rasche lückenlose Aufarbeitung gemäss Gross’ Empfehlung forderte. Mit 87 zu 83 Stimmen wurde er angenommen. GLP, EVP, Grüne und SP votierten dafür.

«Es geht nicht, dass die Nachfahren jüdischer Besitzer immer weiter vertröstet werden», sagte Sibylle Marti (SP). «Die Bührle-Stiftung und die Kunstgesellschaft müssen endlich in die Gänge kommen.»

Die Bilder im Kunsthaus seien eine «kontaminierte Sammlung» in einem «kontaminierten Museum» – und nur mit einer umfassenden Provenienzforschung könne sich daran etwas ändern.

Weiter ging Livia Knüsel (Grüne). «Es dürften Werke im Kunsthaus hängen, die als Fluchtgut zu klassifizieren sind», sagte sie. Genau das verbiete jedoch der Subventionsvertrag zwischen der Stadt und der Kunstgesellschaft.

Wie andere Vertreterinnen der Linken schloss Knüsel nicht aus, dereinst ein Abhängen der Bilder zu fordern – je nach Ergebnis der Aufarbeitung.

«Einzelfälle» oder «kontaminierte Sammlung»?

Übertrieben fand das Rochus Burtscher (SVP), der die Kunstgesellschaft und die Bührle-Stiftung verteidigte. «Gibt es Bilder mit möglichen Unsicherheiten? Ja. Aber: Es handelt sich um Einzelfälle, nicht um ein systematisches Versagen», sagte er. Eine «dritte, vierte, fünfte Expertise» werde da nicht viel Neues zutage fördern.

«Macht doch nicht ein solches Aufsehen!», sagte er an die Kunsthaus-Kritiker gerichtet.

Alexander Jäger (FDP) störte derweil etwas anderes: dass unklar sei, wer die Kosten für die «extrem teure» Provenienzforschung tragen solle. Und dass das Kantonsparlament den Involvierten hier ohnehin keine Vorgaben machen dürfe.

Tatsächlich ist der Kanton Zürich «an der Seitenlinie», was das Kunsthaus betrifft. So formulierte es gleich darauf die zuständige Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP). Zwar stelle man zwei Mitglieder im Vorstand der Trägerstiftung, und diese würden «alles unternehmen, um den Prozess voranzubringen». Am Ende trage jedoch die Stadt Zürich die direkte Verantwortung für das Museum.

Fehr selbst machte kein Hehl daraus, dass sie sich eine weitere Aufarbeitung und ein rascheres Tempo wünscht. Es gebe eine «historische Verantwortung gegenüber der jüdischen Bevölkerung», sagte sie. «Es geht um legitime Ansprüche von Familien, denen Kunst unter dramatischen Umständen geraubt wurde.»

Eine «kontaminierte Sammlung» sei zudem ein Reputationsrisiko für jedes Museum. Gross’ Bericht bezeichnete Fehr als «Steilpass», um daran etwas zu ändern.

Von der NZZ um Stellungnahme gebeten, schreibt das Kunsthaus, dass in den vergangenen Monaten «ausführliche Gespräche» zwischen der Kunstgesellschaft und der Bührle-Stiftung stattgefunden hätten. Diese seien «weit fortgeschritten».

Die Stadt Zürich ihrerseits ist nicht an diesen Gesprächen beteiligt, wie das zuständige Präsidialdepartement auf Anfrage schreibt. Man begrüsse jedoch weitere Provenienzforschung zur Sammlung Bührle.

Der Bericht von Raphael Gross halte klar fest, dass die bisherigen Erkenntnisse nicht ausreichten, «um die hohen Standards zu erfüllen, die seit 2023 im Subventionsvertrag der Stadt mit dem Kunsthaus festgehalten sind». Der Fokus weiterer Forschung müsse nun auf der Klärung jüdischen Vorbesitzes liegen.

Bei der Bührle-Stiftung hingegen sieht man keinen Bedarf für einen neuen Anlauf bei der Provenienzforschung. Der Stiftungsrat Victor Schmid sagt der NZZ: «Es gibt aufgrund der heutigen Quellenlage keine Veranlassung, weitere Werke in der Sammlung als NS-verfolgungsbedingt entzogen einzuschätzen.»

Man habe die Werke während zwanzig Jahren einer umfassenden Überprüfung unterzogen. Für weitere Forschungen zur Herkunft der Bilder sei das Kunsthaus zuständig. So sei es im entsprechenden Leihvertrag festgehalten. Dennoch gehe die Stiftung neuen Hinweisen jeweils umgehend nach.

Zum Bericht Gross wie zu den Verhandlungen mit der Kunstgesellschaft äussert sich Schmid nicht. Allgemein hält er fest: «Einen Grund, an unseren Forschungsergebnissen zu zweifeln, sehen wir nicht.»

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