Donnerstag, November 14

Zwei Schiffe der Deutschen Marine sind auf monatelanger Fahrt im Indopazifik. Die militärdiplomatische Mission hat auch einen praktischen Nutzen.

Seit Stunden pflügt die «Baden-Württemberg» durch die Javasee nordwärts in Richtung Südchinesisches Meer. Vier Dieselmotoren und eine Gasturbine treiben die deutsche Fregatte mit knapp 50 Kilometern pro Stunde voran.

Wir befinden uns wenige Grad südlich des Äquators. Entsprechend schnell bricht die Nacht herein. Es ist fast Leermond, nur die Sterne geben etwas Licht. Das Meer scheint noch unendlicher, jetzt, wo es in ein schales Blau getaucht ist. Am Horizont erscheinen einige helle Punkte – Fischer, die mit Scheinwerfern Tintenfische anlocken.

Auf der Brücke des Kriegsschiffes schimmern nur die Anzeigen: Kurs, Geschwindigkeit, zurückgelegte Distanz, Position. Die Bildschirme mit den Seekarten und dem Radarbild sind aufs Minimum gedimmt. Ein Offizier knipst eine rote Stirnlampe an, als er in einem Ordner etwas nachschlägt.

Nichts darf blenden. Die Besatzung beobachtet konzentriert die See vor dem dahinbrausenden Stahlkoloss. Der Schiffsverkehr ist dicht: Kleine, aus Holz gebaute Fischerboote sind kaum sichtbar, auch nicht auf dem Radar. Da braucht es ein gutes Auge. Der wachhabende Offizier greift immer wieder zum Feldstecher.

Einmal rund um die Welt

Sieben Monate ist die «Baden-Württemberg» im Rahmen des Indo-Pacific Deployment 2024 der Deutschen Marine rund um die Welt unterwegs. Begleitet wird sie vom Einsatzgruppenversorger «Frankfurt am Main», der gleichzeitig eine schwimmende Tankstelle, Munitionslager, Warenhaus und Spital ist.

Mit der Schnellfahrt der Fregatte kann das 20 000 Tonnen schwere Versorgungsschiff allerdings nicht mithalten. Es folgt mit Abstand in gemächlicherem Tempo.

Dafür, dass es der Fregatte eilt, gibt es einen Grund: Die Fahrt von Jakarta nach Singapur führt über mehrere hundert Seemeilen durch indonesische Hoheitsgewässer. Und da haben ausländische Kriegsschiffe lediglich das Recht auf friedliche Durchfahrt. Manöver jeglicher Art sind verboten.

Das heisst auch, dass die beiden Helikopter der Marineflieger im Hangar bleiben müssen. Doch bei einem der Sea Lynx haben die Techniker eine Turbine ausgewechselt. Die Maschine soll so bald als möglich im Flug getestet werden.

Deutschland setzt sich für das Seerecht ein

Was ein Kriegsschiff wie die «Baden-Württemberg» wo auf dem Meer machen darf, ist in der Uno-Seerechtskonvention von 1982 festgelegt. Doch dieses Seerecht ist im indopazifischen Raum unter Druck. Vor allem China erhebt Ansprüche, die mit dem Seerecht nicht vereinbar sind. Peking setzt sich über gewisse Regeln einfach hinweg.

Das zeigt sich besonders deutlich im Südchinesischen Meer und in der Taiwanstrasse – beide Gewässer haben die deutschen Schiffe auf ihrem Indo-Pacific Deployment durchfahren.

Besondere Aufmerksamkeit erhielt der Transit der «Baden-Württemberg» und der «Frankfurt am Main» im September durch die Taiwanstrasse. Peking behauptet, dieses Gewässer sei unter seiner Rechtsprechung. Nach Seerecht ist die an der engsten Stelle 130 Kilometer breite Seestrasse aber für zivile wie militärische Schiffe aller Nationen uneingeschränkt befahrbar.

Das wäre auch noch so, wenn Peking die Insel Taiwan kontrollieren würde. Dennoch protestiert Peking jeweils laut, wenn Kriegsschiffe anderer Länder durch dieses Gewässer fahren.

Da bekannt war, dass die deutschen Schiffe nach Incheon in Südkorea Manila in den Philippinen anlaufen würden, lag die Durchfahrt durch die Taiwanstrasse auf der Hand. Doch seit über zwanzig Jahren hatte kein deutsches Kriegsschiff mehr diese Route gewählt. Die Verantwortlichen wollten sich im Vorfeld nicht festlegen. Man werde situativ entscheiden, hiess es.

Als die beiden Schiffe dann in die Taiwanstrasse einfuhren, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius: «Internationale Gewässer sind internationale Gewässer. Es ist der kürzeste und angesichts der Wetterlage auch der sicherste Weg. Also fahren wir durch.»

Vor Ort setzte die Deutsche Marine ein deutliches Zeichen: Sie sandte konstant ein Positionssignal – im Internet konnte man die Fahrt in Echtzeit mitverfolgen. Das sogenannte AIS-Signal ist für Schiffe ab einer gewissen Grösse obligatorisch; Kriegsschiffe dürfen es allerdings ausschalten.

China zeigt, dass es der Platzhirsch ist

«In dem engen, dicht befahrenen Gewässer wollten wir als Verband aus Gründen der navigatorischen Sicherheit gut sichtbar sein», sagt Flotillenadmiral Axel Schulz, der die strategische Führung des Indo-Pacific Deployment innehatte: «Wir üben die freie Befahrbarkeit internationaler Gewässer und der hohen See aus.»

Deutschland sei eine Handelsnation, erklärt der Admiral: «Wir sind auf freie Handelswege angewiesen. Davon hängt unser Wohlstand ab.» Welche Auswirkungen es habe, wenn internationale Seewege blockiert seien, habe man 2021 gesehen, als das Containerschiff «Ever Given» im Suezkanal festgesteckt sei. Zwar war die wichtige Seeroute nur sechs Tage blockiert, dennoch kam es zu Lieferverzögerungen.

Am häufigsten durch die Taiwanstrasse fahren die Amerikaner. In der jüngeren Vergangenheit taten dies auch Australien, Kanada, Neuseeland, Japan, das Vereinigte Königreich, die Niederlande und Frankreich. Was Deutschland machte, war kein Einzelfall.

Vertreter der US Navy beklagen sich immer wieder, dass die Marine der Volksbefreiungsarmee amerikanische Schiffe abdränge, zu wenig Abstand einhalte. Sie werfen den Chinesen vor, sich «unprofessionell» zu verhalten. Hat die Deutsche Marine Vergleichbares erlebt? «Nein, wir wurden zwar durchweg beschattet, doch bedrohliches Verhalten haben wir nicht erfahren», sagt Flottilenadmiral Schulz. Auf Nachfrage fügt er an: «Ich persönlich hätte aus Sicherheitsgründen mehr Abstand gehalten.»

Das ist wohl eine diplomatische Art, auszudrücken, dass es doch eng wurde. Auch wird zwischen den Zeilen deutlich, dass die Chinesen mit einer deutlichen Überzahl an Schiffen klargemacht haben, wer der Platzhirsch ist. Mehr Details will Schulz nicht preisgeben. Für die Deutsche Marine ist die Fahrt durch die Taiwanstrasse abgeschlossen.

Seegrenzen sind nur auf Karten sichtbar

Plötzlich verlangsamt die «Baden-Württemberg» die Fahrt. Das 7000 Tonnen schwere Schiff gleitet fast geräuschlos vor sich hin. Das Meer ist blau, flach, unendlich. Dass sie die indonesischen Territorialgewässer verlassen hat, weiss die Crew nur dank den digitalen Seekarten, die auf grossen Bildschirmen auf der Brücke eingespielt werden.

Auf dem Deck am Heck der Fregatte geht eine Helikoptercrew durch die Checkliste, startet die Turbine. Langsam erhöht sie die Drehzahl, das Heulen wird lauter. Dann: Abbruch der Übung. Ein Schalter funktioniert nicht. Genau dafür ist der Testflug da: um sicherzustellen, dass der Helikopter auch einwandfrei funktioniert.

Keine halbe Stunde später haben die Mechaniker den Schalter ausgewechselt. Beim zweiten Test ist alles in Ordnung, sachte hebt der Helikopter ab. Kurz später ist alles überprüft, die Piloten haben wieder volles Vertrauen in ihre Maschine. Im rasanten Tiefflug rattern sie mehrmals an der Brücke der Fregatte vorbei. Admiral Schulz winkt ihnen zu und meint: «Piloten wollen halt auch ihren Spass.»

Üben, üben, üben – auch mit anderen Marinen

Plötzlich schrillt ein Alarm: «Mann über Bord!» Die 150 Meter lange «Baden-Württemberg» verlangsamt sich, beginnt einen weiten Bogen zu fahren. An der Bordwand geht ein grosses Tor auf, von wo per Winde ein Schnellboot samt Mannschaft ausgesetzt wird.

Das sogenannte Buster-Boot braust zu der Puppe in Lebensgrösse, die im Wasser treibt. Ein Rettungsschwimmer springt ins Wasser, holt die Puppe ins Boot. «Status 1 Alpha», knattert es aus dem Funkgerät – die Erstdiagnose des Sanitäters. Somit weiss der Schiffsarzt, worauf er sich einzustellen hat, wenn der Patient kurz darauf an Bord kommt.

Der Kommandant der «Baden-Württemberg», Fregattenkapitän Sascha Huth, beobachtet die Aktionen seiner Mannschaft genau. Kurz, knapp gibt er seine Anweisungen. Barsch, wenn etwas nicht seinen Ansprüchen entspricht. Doch alles in allem ist er zufrieden. Die Sollzeit von weniger als zehn Minuten wurde erreicht.

Man dürfe sich aber nicht täuschen lassen, wenn hier bei Sonnenschein und fast spiegelglatter See alles reibungslos laufe, sagt Huth, der seit über 25 Jahren bei der Marine ist: «Bei Wind und Wetter und vor allem Dunkelheit ist es allein schon eine Herausforderung, den über Bord gegangenen Mann nicht aus den Augen zu verlieren.» Damit es im Ernstfall auch klappt, gibt es nur eins: üben, üben, üben.

Wenn Deutsche einem Mexikaner das Leben retten

Geübt wird während des Indo-Pacific Deployment ständig. Häufig gemeinsam mit Marinen der Länder, die man besucht. Als persönlichen Höhepunkt bezeichnen sowohl Schulz als auch Huth das Manöver Rimpac. Diese multinationale Grossübung unter Führung der USA ist das grösste Flottenmanöver der Welt: 29 Länder nahmen mit 40 Schiffen, 3 U-Booten , 170 Flugzeugen und 25 000 Seeleuten im Juli rund um Hawaii daran teil. Unter ihnen auch die Deutschen.

Bereits auf der Hinfahrt nach Hawaii von San Diego an der Westküste der USA fuhren die beiden deutschen Schiffe gemeinsam mit sechs Einheiten aus den USA, Kanada, Mexiko und Peru. Admiral Schulz kommandierte die insgesamt acht Schiffe – ein Flottenverband, der seinem Status angemessen war.

Denn die beiden deutschen Schiffe allein würden im Normalfall von einem weniger ranghohen Offizier kommandiert. Doch eine Mission wie das Indo-Pacific Deployment hat auch eine starke militärdiplomatische Komponente. Repräsentanz ist wichtig, besonders in Ostasien. Darum schickte Deutschland einen Admiral auf die weite Reise.

Das Indo-Pacific Deployment biete die Gelegenheit, mit Marinen zu üben, mit denen man sonst nicht regelmässig zusammenarbeite, sagt Schulz: «Man kann viel voneinander lernen und begegnet sich auf Augenhöhe.»

Und manchmal wird aus der Übung unerwartet ein Ernstfall. Bei der Überfahrt zwischen San Diego und Hawaii kam auf einmal die Meldung, dass ein mexikanischer Seemann kurz vor einem Blinddarmdurchbruch stehe. Eine lebensgefährliche Situation, denn der nächste Hafen lag mehrere Tage Fahrt entfernt, zu weit auch für jeden Helikopter.

Da kam die «Frankfurt am Main» ins Spiel, beziehungsweise ihr integriertes Marineeinsatzrettungszentrum. Dieses entspricht einem Regionalspital mit zwei Operationssälen und einer kleinen Intensivstation. Dort arbeiten neben dem Schiffsarzt, der auf allen Kriegsschiffen an Bord ist, ein Chirurg, ein Anästhesist und spezialisierte Pflegekräfte. Dieses Team kann auch auf See Operationen durchführen.

Ein Helikopter der mexikanischen Marine brachte den Patienten an Bord. «90 Minuten nach dem Notruf lag der Soldat auf dem Operationstisch», sagt Schulz mit sichtbarem Stolz. Das sei gelebte internationale Kooperation. Der Soldat habe kurz darauf auf sein Schiff zurückkehren können.

Exit mobile version