Samstag, März 15

Mit harten, journalistisch geführten Interviews können sich öffentlichrechtliche Sender von Trash-Shows abheben. In Deutschland und in Österreich hat man das begriffen – in der Schweiz noch nicht.

Die TV-Talkshow – ein prägendes Genre öffentlichrechtlicher Sender – wandelt sich zurzeit vielerorts, indem man munter auf das Urmuster zurückgreift. Denn der Dialog zwischen zwei Menschen feiert ein Comeback, nachdem diese Form lange Zeit als zu wenig dynamisch gegolten hatte. Deshalb bevorzugte man Diskussionsrunden mit mehreren, möglichst unterschiedlichen Teilnehmern, die mehr Farbe, Differenzierungen und verwegene Kamerafahrten ermöglichen sollten. Doch diese austarierten Konstellationen führten vielfach zu weitgehend überraschungsfreien, aussageschwachen Sendungen, bei denen sich das Publikum kaum eingebunden fühlte.

Mit diesem Format sorgte Larry King beim Spartensender CNN international für Furore. Seine Sendung lief zwischen 1985 und 2010, die breiten Hosenträger waren sein Markenzeichen. King wurde in vielen Ländern zum Vorbild von Moderatoren. Zu seinem Nachfolger wurde der britische Boulevardjournalist Piers Morgan erkoren. Doch bereits nach drei Jahren und immer tieferen Einschaltquoten wurde Morgan 2014 gecancelt und nicht durch eine vergleichbare CNN-Talkshow ersetzt. Als Charlie Rose 2017 wegen eines #MeToo-Falls in den USA vom Bildschirm verschwand, schien es, als sei die beste Zeit dieser Sendeform vorbei.

In Richtung One-on-One

Dies hat sich in jüngster Zeit geändert. Den ersten grossen Schritt in Richtung One-on-One machte ausgerechnet Markus Lanz im ZDF. Zwar lädt Lanz weiterhin mehrere Personen in seine Sendung ein. Doch er profilierte sich im Rahmen dieses Konzepts mit längeren, intensiv geführten Interviews mit jeweils nur einem seiner Gäste. Und so wurde seine dreimal pro Woche ausgestrahlte Sendung trotz dem tief in der Nacht angesetzten Ausstrahlungstermin zur meistbeachteten politischen Talkshow Deutschlands.

Sandra Maischberger präsentiert seit einiger Zeit ein ähnliches Konzept. Bereits in den 1990er Jahren hatte sie sich beim kleinen Nachrichtensender NTV mit täglichen, brillant geführten Einzelinterviews ausgezeichnet. Danach versuchte sie sich in der ARD während langer Jahre mit Gesprächsrunden, viele fernab der Politik, meist zu Gesellschaftsthemen, für die sie Direktbetroffene mitsamt ihren persönlichen Schicksalen und Emotionen ins Studio holte.

In ihrer neuen Sendung «Maischberger» bietet sie nun ähnlich wie Markus Lanz ein Mischprogramm an. Zuerst unterhält sie sich mit drei Personen über tagesaktuelle Themen, und zwar jeweils mit zwei Journalistinnen oder Journalisten sowie einem weithin bekannten Gesicht aus der Kultur- oder Unterhaltungsbranche. Dann wechselt sie ihren Sitzplatz, um sich mehrheitlich mit einer einzigen Person aus der Politik ins Streitgespräch zu begeben, wo sie ihre wahre Stärke ausspielen kann. Dieser neue Ansatz scheint hervorragend zu funktionieren.

Und nun auch Caren Miosga. Seit Anfang Jahr mischt sie nach dem sonntäglichen «Tatort», also auf dem prestigereichsten ARD-Talk-Sendeplatz, das während Jahrzehnten unveränderte Konzept auf. Sie führt eingangs ebenfalls ein längeres Einzelinterview mit einem prominenten Gast – in den ersten drei Sendungen waren dies Friedrich Merz, Wolodimir Selenski und Robert Habeck –, um anschliessend die angesprochenen Themen mit weiteren Teilnehmern fortzuführen. Damit liefert sie mehr Erkenntnisse, als es ihre Vorgängerinnen Sabine Christiansen und Anne Will mit ihren politisch proportional ausgewählten Gesprächsrunden tun konnten.

Bei «Hart, aber fair» hingegen holt man neuerdings Leute aus dem Volk vor die Kameras, um so die übliche Diskussionsdynamik aufzumischen, damit es im Studio stellenweise richtig menschelt. Nur «Maybritt Illner» macht im ZDF im alten Stil weiter und wirkt dabei etwas aus der Zeit gefallen.

Beim ORF führt Armin Wolf seit 22 Jahren in der Sendung «ZIB 2» mit allen relevanten österreichischen Politikern und Wirtschaftsführern zumeist knallharte Interviews. Armin Wolf ist jeweils nicht nur extrem gut vorbereitet und schlagfertig, sondern hat zudem das Privileg, die Länge der Sendung wegen der späten Sendezeit je nach Verlauf des Gesprächs selbst zu bestimmen. So dauern die Interviews zwischen 9 und 22 Minuten – und liefern zuverlässig rekordhohe Einschaltquoten. Dies unterstreicht die Attraktivität dieses intimen TV-Formats selbst in unserer immer schneller getakteten Zeit, wenn es auf diesem hohen Niveau angeboten wird.

Voraussehbar mit tiefem Energielevel

Und in der SRG? Vor Jahren hatte Jonas Projer in der «Arena» mit dem «Prüfstand» einen Zweier-Talk eingeführt. Doch der dauerte jeweils nur einige wenige Minuten und verunmöglichte ein vertiefendes Gespräch. Sandro Brotz hat dieses Element übernommen. Dominiert wird die Sendung jedoch weiterhin durch politisch ausgewogene Gesprächsteilnehmer-Runden mit zumeist voraussehbaren Statements.

Der «Club» ist mit sechs Teilnehmern eine reine Diskussionsrunde, bei der die Moderatorin Barbara Lüthi vor allem darauf achtet, dass alle Anwesenden gleich viel Sprechzeit erhalten. Der Erkenntniswert dieser Sendungen ist oft gering, das Energielevel im Studio ist meist sehr tief, so dass die Quoten seit Jahren wegbrechen. Daneben liefert die SRG mit «Gredig direkt» einen Soft-Talk mit häufigen Teilnehmern aus dem Inventar der Boulevardpresse. Eine Erneuerung in Richtung One-on-One-Formate zu zentralen Themen, wie sie die deutschsprachige Konkurrenz oder die BBC mit dem herausragenden «hard talk» anbieten, fehlt also im Programm des Schweizer Gebührensenders.

Das öffentlichrechtliche Fernsehen steht heute überall in der Kritik und muss um seine privilegierte Position kämpfen. Das Format des harten, journalistisch geführten Interviews ist eine der wenigen Möglichkeiten, sich von der privaten Konkurrenz mit ihren Trash-Shows deutlich abzuheben. In Deutschland und in Österreich hat man dies begriffen und lässt den profilierten Talkern viel Freiraum, sich in Einzelinterviews mutig vorzuwagen, selbst gegen die Mächtigen im Land. Der SRG, die ebenfalls vor einer grossen Bewährungsprobe steht, würde es guttun, wenn sie sich ebenfalls auf diese Urform des TV-Interviews besinnen würde, um damit ernsthaft zu beweisen, dass sie gewillt ist, unerlässliche Leistungen für das Medienangebot des Landes zu erbringen.

Roger Schawinski, promovierter Ökonom, entwickelte beim Schweizer Fernsehen in den 1970er Jahren den «Kassensturz». Später leitete er Sat. 1 und gründete mit Radio 24 und mit Tele Züri das erste Privatradio und das erste Privatfernsehen der Schweiz.

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