Den Kollateralschaden des intensivierten Handelsstreits zwischen den USA und China haben global aufgestellte Gesellschaften zu tragen. Unter den Schweizer Industrieunternehmen sind einige stark exponiert und müssen reagieren.
«Die Tage der globalen Wertschöpfungsketten sind vorbei.» Dieser extremen Aussage dürften die meisten global ausgerichteten Unternehmen zustimmen, auch wenn sie es nicht so offen sagen wie der Mediensprecher der Medizintechnikgesellschaft Ypsomed. Doch wohl oder übel müssen sie sich mit den neuen Spielregeln arrangieren, die der verhärtete Handelsstreit zwischen den USA und China mit sich gebracht hat.
Die letztwöchige Ankündigung des künftigen US-Präsidenten Donald Trump, schon am Tag seiner Amtseinführung (20. Januar 2025) auf Einfuhren aus Kanada und Mexiko Strafzölle von 25% einzuführen und diejenigen von China mit zusätzlichen 10% – die Rede ist von insgesamt 60% – zu belasten, hat zahlreiche Unternehmen (erneut) in Alarmbereitschaft versetzt. Denn wenn sich die Spielregeln im internationalen Handel plötzlich ändern, muss eine neue Balance gefunden werden in Bezug darauf, wo Produkte hergestellt und wo sie verkauft werden.
Rad der Globalisierung wird zurückgedreht
Lange profitierten die Unternehmen von den Früchten der Globalisierung. Die Produktion wurde in die Weltregionen verlegt, in denen die besten Bedingungen herrschten. Meistens fiel die Wahl auf China. Anschliessend wurden die Produkte dorthin ausgeführt, wo sich die Märkte mit den lukrativsten Bedingungen befanden. Immer günstiger produzieren und die attraktivsten Kundensegmente bedienen, lautete das Erfolgsmodell der vergangenen Dekaden.
Den ersten Dämpfer bekam dieses Konzept während der Pandemie, als die zuvor optimierten und immer enger getakteten Lieferketten schlagartig zusammenbrachen. Die Vorteile wurden zu Nachteilen. Die Abhängigkeit von einigen wenigen Lieferanten sowie die geografischen Klumpenrisiken wirkten sich nun verheerend aus.
Die Unternehmen zogen ihre Lehren daraus: Sie diversifizierten die Wertschöpfungsketten, und der geografische Fussabdruck wurde verbreitert, auch wenn das in der Regel den Aufbau ineffizienter Strukturen bedeutete und zulasten der Gewinnmargen ging.
Wer schon damals rasch auf die veränderten Bedingungen reagiert und seine Produktion lokalisiert hat, das heisst, seine Produkte vermehrt dort herstellt, wo sie auch konsumiert werden, ist in der neuen, von Protektionismus und Strafzöllen geprägten Welt im Vorteil.
Logitech schafft Tatsachen
Unter den Schweizer Gesellschaften am umfassendsten hat wohl Logitech die Fertigung umstellen müssen. Der Hersteller von Computerperipheriegeräten liess den während Trumps erster Amtszeit (2016 bis 2020) geäusserten Androhungen von Strafzöllen aus China rasch Taten folgen. Während 2018 noch alle Produkte in China gefertigt wurden, sind es mittlerweile nur noch 40%. Für Logitech ist das nicht nur ein gewaltiger logistischer Schritt, sondern beweist auch, wie flexibel und agil sie auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren kann.
Die eigene Fabrik in Suzhou sowie ein Netz von chinesischen Auftragsfertigern sind zwar noch immer das Fundament des in mehr als hundert Ländern tätigen Konzerns. Zusammen mit den chinesischen Auftragsfertigern kommen laut UBS nach wie vor 75 bis 85% des Volumens aus China.
Rund die Hälfte der eigenen Kapazitäten in China hat Logitech indes in andere asiatische Länder (Vietnam, Malaysia) und nach Mexiko verlagert. Doch im grössten Absatzmarkt USA (36%) – wie auch in Europa – steht keine entsprechende lokale Produktion gegenüber. Die UBS-Analysten gehen davon aus, dass rund 30% des in den USA verkauften Volumens aus China stammen, künftig also höheren Einfuhrkosten ausgesetzt seit könnten.
Ypsomed erweitert Fussabdruck
Noch nirgends in Sachen Lokalisierung in diesen beiden Märkten ist das Burgdorfer Medtech-Unternehmen Ypsomed. Es fabriziert weder in den USA noch in China, obwohl gut ein Drittel des Umsatzes aus diesen zwei Ländern kommt. Doch das soll sich ändern. «Wir verspüren einen starken Drang, unseren Fussabdruck in den USA und in China zu erweitern», erklärt der Mediensprecher. Als Argument werden die Nähe zum Kunden sowie die Nachhaltigkeit genannt, weil so die Transportwege verkürzt werden könnten. Zweifellos sprechen aber auch handelspolitische Gründe für eine breitere Aufstellung der Produktion.
Seit mehr als fünfzehn Jahren verkauft Ypsomed Produkte nach China. Doch erst im April 2023 folgte der Spatenstich für das erste chinesische Werk in Changzhou. Knapp ein Jahr später war es fertig. Derzeit wird es in Betrieb genommen, ab Anfang 2025 soll die Produktion starten und der chinesische Markt mit Injektionssystemen beliefert werden. Die Erwartungen sind hoch. Bereits sei ein doppelt so grosses, angrenzendes Gelände gesichert worden, um die Produktion zu erweitern, sagte Konzernchef Simon Michel vor zwei Wochen.
Ab 2027 will Ypsomed auch in den USA ein eigenes Werk haben. Der definitive Standortentscheid (Michel: «in der südlichen Region der amerikanischen Ostküste») soll im ersten Quartal 2025 fallen. Auch hier gelte der Grundsatz «Local for Local», also eine lokale Produktion für die Befriedigung der lokalen Nachfrage zu haben.
Heikler für Luxusgüterhersteller
Während Produktionsverlagerungen bei Industrieunternehmen eher rational und finanziell getrieben sind, ist die Situation für Hersteller von Luxusgütern einiges komplexer. Die Uhrenmarken von Swatch Group sind eng mit der Schweizer Herstellung verbunden. «Wir sind und leben Swiss Made», heisst es. Sogar die Uhren der amerikanischen Tochtergesellschaft Harry Winston werden in Genf fabriziert. Lediglich ihre Schmuckstücke würden in den USA produziert.
Gleich sieht es bei Richemont aus. Jede ihrer Luxusmarken ist eng mit dem jeweiligen Ort verbunden, wo sie ihre Wurzeln haben. Deshalb kann der Produktionsstandort nicht in eine andere Region verschoben werden. Das «Made in X» ist untrennbarer Teil einer Luxusmarke.
Recht weit mit der Lokalisierung sind Forbo und Clariant. Im Bereich Bodenbeläge und Bauklebstoffe betreibt Forbo in den USA drei Werke, die einen guten Teil des lokalen Absatzes abdecken. Auch in China gibt es ein Werk sowie eine Fabrik, die Transportbänder für den asiatischen Markt herstellt.
Der Chemiekonzern Clariant gibt zwar nicht den genauen Umsatzanteil für die USA und China bekannt, sondern wie viele andere Gesellschaften auch nur für die Regionen (Americas/Asien-Pazifik). Hingegen wird nach Sparten quantifiziert, wie hoch der Anteil der Lokalisierung dort ist. Mit 14 Standorten in den USA bzw. 26 in Asien, wobei einige als Gemeinschaftsunternehmen geführt, decken sich Absatz und Produktion bei Clariant sehr gut.
Kein Verlass auf Freihandelsabkommen
Beim Hörgerätehersteller Sonova ist das weniger der Fall. Die anspruchsvollsten Hörgeräte wurden schon immer in der Schweiz gefertigt, für einfachere Modelle gibt es mittlerweile in China und in Vietnam Produktionsstätten. Etwa jeder zehnte Mitarbeitende von Sonova ist in China domiziliert.
In Sachen Produktion sind die USA noch ein weisser Fleck, obwohl dies der wichtigste Absatzmarkt der Gruppe ist. Lediglich die Herstellung der Innenohrimplantate (Cochlea Implants) befindet sich in Kalifornien, weil dort die 2009 übernommene Advanced Bionics beheimatet ist.
Diesen Februar hat Sonova in Mexiko neue Betriebsstätten eröffnet, um den amerikanischen Markt direkter zu beliefern. Diese beabsichtigte geografische Risikodiversifikation wird nun durch die handelspolitischen Ideen der neuen US-Regierung zu Fall gebracht. Das Unternehmen zeigt sich trotzdem zuversichtlich, ausreichend Optionen zu haben, «die Kapazitäten den geänderten Bedürfnissen anzupassen und die Produktion zu verschieben».
Landis + Gyr hat Szenario schon einmal durchgespielt
Auch für Landis + Gyr ist Mexiko ein strategisch wichtiger Produktionsstandort. Seit Jahren beliefert sie von dort ihren wichtigsten Markt USA mit Stromzählern. Einen Plan B durchgespielt hat das Unternehmen schon während Trumps erster Amtszeit, als ähnliche Handelseinschränkungen diskutiert wurden. Laut einem Mediensprecher seien damals im nahe gelegenen US-Gliedstaat Texas Hallen gemietet worden, um die Produktion in die USA zu verlagern. Dieses Mal seien sie besser vorbereitet, weil viel in die Automation investiert worden sei und sich Maschinen einfacher über die Grenze verlagern liessen als Mitarbeitende.
Mit fast noch grösseren Problemen in Mexiko haben die Automobilhersteller und ihre Zulieferer zu kämpfen. Im Sog der Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko hat sich der südliche Nachbar der USA zur bevorzugten Fertigungsstrasse Amerikas entwickelt. Vor allem die drei grossen US-Hersteller General Motors, Ford Motor und Stellantis haben dort ihre Werke stehen, in die sie Milliarden investiert haben. Aber auch deutsche Autohersteller betreiben in Mexiko grosse Werke.
Die Zulieferer müssen sich in der Nähe der Autofabriken befinden. Mehr als 300 bis 600 km Entfernung werden in dieser Branche nicht toleriert. Das erklärt, weshalb zum Beispiel Autoneum weltweit über 64 Werke betreibt. Bestandteil jedes Zuliefervertrags ist, woher die Teile geliefert werden. Würden US-Autohersteller aus Mexiko in die USA ziehen, könnte auch Autoneum ihre Fertigung verlagern: «Wir folgen den OEM dorthin, wo sie produzieren», sagt der Autoneum-Mediensprecher. Als sich in den vergangenen Jahren die britische Automobilbranche redimensionierte, hat auch Autoneum dort die Kapazitäten runtergefahren bzw. Fabriken geschlossen.
Solch riesige Kapazitäten zu verlagern, ist weder einfach noch billig. Deshalb wird ein solcher Entscheid nicht auf Basis von Ankündigungen und Spekulationen getroffen. «Wir warten ab, was konkret kommt», heisst es bei Autoneum, und das dürfte auch bei anderen Schweizer Industrieunternehmen die Devise sein.
Produzieren, wo der Kunde ist
Geografisch balancierter wollen die Winterthurer auch in Asien sein. Das ist allein schon deshalb sinnvoll, weil Asien – und China im Besonderen – der wichtigste Markt in der Automobilbranche geworden ist. Laut S&P Global Mobility werde in einigen Jahren gut ein Drittel aller Fahrzeuge und sogar 42% der mit Elektromotoren angetriebenen Autos in China gefertigt. Weil ein Teil davon aber Billigautos sind, «die nie unsere Produkte enthalten werden» (Autoneum-Sprecher), ist der adressierbare Markt für westliche Unternehmen kleiner.
In einigen Jahren will Autoneum rund 20% des Umsatzes in Asien erwirtschaften (derzeit 8%). Im vergangenen Monat wurde dafür eine Mehrheitsbeteiligung am chinesischen Zulieferer Jiangsu Huanyu für 75 Mio. Fr. gekauft. Die 2001 gegründete Gesellschaft beschäftigt in vierzehn Fabriken rund 1100 Mitarbeitende und erwirtschaftete 2023 einen Umsatz von umgerechnet 130 Mio. Fr. Für die Restbeteiligung von 30% besitzt Autoneum eine Kaufoption, die 2028 eingelöst werden kann.
Fazit: Die politisch erzwungene Lokalisierung macht das Geschäftsmodell der Industrieunternehmen vielleicht risikoärmer und resilienter, aber auch weniger rentabel. Das kann bedauert werden, scheint aber im derzeitigen Umfeld eine unausweichliche Anforderung zu sein.