Sonntag, November 24

Vögel rund ums Haus anlocken, die besten Beobachtungsgebiete aufsuchen und den schrägsten Vogel der Schweiz ausfindig machen: eine Einführung ins Birdwatching von Livio Rey, Biologe an der Vogelwarte Sempach.

Warum ist jetzt ein besonders guter Zeitpunkt, um in der Schweiz Vögel zu beobachten?

Mitte Mai sind neben den Brutvögeln viele Zugvögel zu sehen. Kurzstreckenzieher wie der Hausrotschwanz, der Weissstorch und der Star sind im Februar und März aus ihrem Wintergebiet im Mittelmeerraum zum Brüten in die Schweiz zurückgekehrt. Im Mai sind zudem die letzten Brutvögel zurückgeflogen, die im tropischen Afrika überwintert haben. Etwa der Neuntöter, der Mauersegler und die Schwalb. Jetzt sind viele durchziehende Vögel zu sehen: Der Alpenstrandläufer, der Kampfläufer und andere Zugvögel legen eine Zwischenlandung bei uns ein, bevor sie weiter in den Norden nach Skandinavien oder Sibirien fliegen.

Wohin muss ich gehen, um Vögel gut beobachten zu können?

Sie müssen nicht weit reisen, um in der Natur etwas zu entdecken. Es reicht, die Augen aufzumachen und aufmerksam zu sein. Öffnen Sie am Morgen das Fenster. Gehen Sie in den Garten. Oder spazieren Sie durch einen Stadtpark. Mit einem geschärften Blick werden Sie Mitte Mai in einem grünen Quartier bis zu 30 Vogelarten sichten können.

Welche Vögel kann ich als ungeübter Beobachter leicht entdecken?

Den Mauersegler – ein faszinierender Flieger. Nachdem er seinen Brutplatz verlassen hat, befindet er sich bis zu zehn Monate lang ununterbrochen in der Luft. Er ist mit dem Kolibri verwandt, aber nicht so farbenprächtig. Sein Gefieder ist russschwarz, seine Kehle weiss. Sie erkennen ihn gut an seinen sichelförmigen Flügeln und seinem auffallenden Flug, bei dem sich rasante Flügelschläge mit kürzeren Gleitphasen abwechseln. Charakteristisch sind auch seine durchdringenden «Sriih-sriih»-Rufe. Höre ich diese, wähne ich mich sogleich in den Ferien am Mittelmeer.

«Der Spatz ist ein attraktiv aussehender Vogel. Aber wie so oft wird das, was häufig vorkommt, weniger geschätzt.»

Welche Vogelart sehe ich im Weiteren rund ums Haus?

Einen sehr geselligen Vogel, von dem viele den Eindruck haben, sie kennten ihn, doch die wenigsten können ihn wirklich beschreiben: den Haussperling, im Volksmund auch «Hausspatz» oder «Spatz» genannt.

Den höre ich morgens immerzu tschilpen.

Das ist gut möglich, denn er ist ein ruffreudiger Singvogel. Kein guter Sänger, aber vokalstark. Sein Tschilpen kann man sich gut merken. Sie erkennen die Weibchen an ihrem graubraunen Gefieder am Bauch und den schönen kontrastreichen schwarzen Streifen auf dem Rücken. Die Männchen haben einen auffällig grauen Scheitel und graue Wangen. Der Spatz ist ein attraktiv aussehender Vogel. Aber wie so oft wird das, was häufig vorkommt, weniger geschätzt.

Ist der Spatz denn am häufigsten zu sehen?

Nein, aber er erscheint uns allgegenwärtig, weil er sich überall dort aufhält, wo wir Menschen sind. Er ist ein Kulturfolger und findet in unserer Nähe immer genügend Nahrung. Deshalb kommt er uns in Strassencafés und Pärken geradezu frech nah. Der häufigste Brutvogel in der Schweiz ist der Buchfink, der mit etwa einer Million Brutpaaren fast doppelt so häufig ist wie der Spatz. Sie treffen den Buchfinken überall an, wo es Bäume hat. Buchfink-Weibchen sind unscheinbar beigegrau, haben aber zwei ausgeprägte weisse Flügelbinden. Die Männchen haben eine weinrote Unterseite und einen graublauen Scheitel und Nacken.

Gibt es einen Vogel, der sozusagen überall in der Schweiz gesehen werden kann?

Ja, der Hausrotschwanz ist am weitesten verbreitet: Das Männchen ist fast durchgehend schwarz gefärbt, trägt aber an seinem langen, oft vibrierenden Schwanz seine namengebende rostrote Färbung. Er bewohnte ursprünglich die Berge, brütet mittlerweile aber auch häufig in Siedlungen. Als schlanker Felsenbrüter nistet er in Felsspalten sowie in Mauernischen, Dachbalken und kleinen Öffnungen von Giebeldächern. Er ist ein Frühaufsteher und eröffnet das Vogelkonzert lange vor Sonnenaufgang mit seinem gepressten, knirschenden Gesang.

Zwischen 10 und 16 Uhr höre oder sehe ich in der Stadt kaum Vögel. Warum ist das so?

Um die Mittagszeit ist die Aktivität der Vögel tatsächlich am geringsten. Die Vögel legen dann häufig einmal eine Singpause ein oder suchen nach Nahrung. Das ist aber nicht nur in Siedlungsgebieten so, sondern überall. Also auch im Kulturland, im Wald, in den Bergen und in Feuchtgebieten.

Wann ist dann der beste Zeitpunkt, um viele Vögel zu beobachten?

Vögel können das ganze Jahr über beobachtet werden. Im April und Mai sind viele Zugvögel unterwegs, und viele Vögel singen, um ihr Revier zu verteidigen oder Weibchen anzulocken. Das ist wohl die spannendste Zeit.

«Regen in der zweiten Nachthälfte kommt uns beim Beobachten von Vögeln entgegen.»

Sieht man an einem sonnigen Tag mehr Vögel als an einem bewölkten oder regnerischen?

Nein. Wenn es nicht gerade stark regnet, macht ein Regen den Vögeln auch nichts aus. Regen in der zweiten Nachthälfte kommt uns beim Beobachten von Vögeln sogar entgegen. Die meisten Zugvögel fliegen nachts, da sie sich an den Sternen orientieren. Regnet es stark, müssen sie hinunter und sind beim Rasten leichter auszumachen. Was Vögel gar nicht mögen, ist starker Wind, insbesondere Bise. Bläst sie, gehen Vögel in Bäumen, Sträuchern und Büschen in Deckung und sind für uns schier unsichtbar.

Viele Vogelarten sind menschenscheu. Wie nähere ich mich einem Vogel, ohne dass er wegfliegt?

Scheue Vögel sollte man in Ruhe lassen und sie mit Fernglas und Spektiv bestaunen, ohne sich zu nähern. In der Stadt sind sich viele Vögel aber an Menschen gewöhnt. Wenn man nicht direkt auf die Vögel zugeht, sondern an ihnen vorbeigeht, ohne stehen zu bleiben, nehmen sie Menschen oft weniger als Gefahr wahr.

Erhöhe ich die Chance, dass ein Vogel zu mir hüpft, wenn ich reglos wie eine Wachsfigur am Gartentisch sitze?

Mit ihren guten Augen nehmen Vögel Sie auch dann wahr. Aber da sich die meisten Vogelarten in Siedlungsgebieten stark an den Menschen gewöhnt haben, nähern sie sich wahrscheinlich mit einer gewissen Neugierde, wenn Sie sich kaum bewegen.

Wie steht die Vogelwarte zur Vogelfütterung?

Futter bereitstellen ermöglicht Ihnen, Vögel aus der Nähe zu beobachten. Deshalb ist gegen ein massvolles Füttern nichts einzuwenden, sofern wir uns auch für die Biodiversität und das Bewahren von Vögeln einsetzen. Denn am Futterhaus tauchen fast ausschliesslich häufige Vogelarten auf. Am besten fördert man die Biodiversität vor der Haustür mit einem naturnahen Garten mit einheimischen Büschen, Sträuchern und Blumenwiesen, mit wilden Ecken, Ast- und Laubhaufen sowie schattenspendenden Bäumen. In einen solchen Garten kommt auch der farbenprächtige Stieglitz mit seinem exotisch wirkenden roten Gesicht und seinem gelben Flügelstreif zu Besuch. Nicht so in einen Schottergarten. Ausserdem leben in einem naturnahen Garten Eidechsen, Blindschleichen und – ganz wichtig – Insekten. Diese liefern den Jungvögeln Proteine, die es im Vogelfutter nicht gibt. Die Jungvögel brauchen es aber zwingend, um zu wachsen. Doch Insekten kommen nur in Ihren Garten, wenn es Blumen mit Nektar hat und einheimische Pflanzen, in denen sie ihre Larven ablegen können.

Wohin reise ich am Wochenende, um aussergewöhnlichere Vögel zu beobachten?

Am spannendsten sind Orte, an denen verschiedenartige Lebensräume zusammenkommen. Im Gebiet Fanel / Chablais de Cudrefin / La Sauge am östlichen Ufer des Neuenburgersees etwa, wo Wasser, Wald, extensiv betriebenes Kulturland, Schilf und Ried ineinander übergehen, wurden schon über 300 Vogelarten beobachtet. Das Gebiet ist eines der vogelreichsten schweizweit.

Um diese Vögel ausfindig zu machen, benötigt man gehörig Glück.

Mit etwas Erfahrung kann man an einem Frühlingstag in einem Feuchtgebiet gut 70 Vogelarten beobachten. Im Gebiet Fanel / Chablais de Cudrefin / La Sauge gibt es auch Brutkolonien, etwa von der Flussseeschwalbe. Mit ihrem schwungvollen Flug, dem weissen Gefieder mit schwarzem Kopf und rotem Schnabel ist sie sehr elegant. Für die selteneren Arten braucht es aber tatsächlich auch Glück.

Welche Ausrüstung ist unabdingbar, um mehr Vögel zu sehen?

Ohne ein Fernglas würde ich nicht mit dem Vögelbeobachten beginnen.

Worauf muss ein Birdwatcher beim Kauf eines Fernglases achten?

Ich empfehle, sich in einem Fachgeschäft beraten zu lassen. Achten können Sie zudem auf drei Dinge: erstens das Gewicht. Je nachdem kann ein Fernglas ganz schön schwer sein. Zweitens empfehle ich eine Vergrösserung um das Acht- bis Zehnfache. Darunter sieht man zu wenig, darüber braucht es eine ausgesprochen ruhige Hand, damit das Bild nicht verwackelt. Drittens benötigt der Feldstecher einen genügend grossen Objektivdurchmesser, damit auch bei schlechten Beobachtungsbedingungen genügend Licht eintritt und das Bild heller wird. Für Ferngläser von Topmarken bezahlt man durchaus 1500 Franken und mehr. Die lohnen sich; die meisten Geräte sind robust und halten lange. Bei sehr häufigem Gebrauch würde ich von einem Feldstecher unter 1000 Franken absehen.

«Wenn man etwas Erfahrung hat, sieht man den Eisvogel erstaunlich häufig. Für eine ‹Trophäe› vielleicht sogar zu häufig.»

Etliche Vogelbeobachter tragen Westen mit vielen Taschen oder gar Tarnanzugmuster. Braucht’s das?

Das ist Geschmackssache und individuell. Ich trage keine Jacke in einer knalligen Farbe, für gewöhnlich reicht funktionelle Kleidung in gedeckten Farben.

Welcher Vogel gilt unter Vogelbeobachtern als «Trophäe»?

Für den Einstieg ist es oft der Eisvogel. Mit seiner schillernden blauen Oberseite und seiner schillernden orangen Unterseite gehört er auch zu den farbenprächtigsten Vögeln der Schweiz. Er sitzt gerne auf Ästen über Fliessgewässern und fliegt pfeilschnell und geradlinig knapp über die Wasseroberfläche. Wenn man etwas Erfahrung hat, sieht man den Eisvogel erstaunlich häufig.

Welcher Vogel ist denn für eingefleischte Vogelgucker ein exquisiter Vogel?

Greif- oder Watvögel, die in der Arktis brüten und bei uns auf der Durchreise sind, bereiten vielen Freude. Persönlich möchte ich gerne einmal ein Auerhuhn sehen. Für ein Huhn ist es sehr gross, und die Männchen balzen in regelrechten Arenen um die Weibchen. Das ist beeindruckend. Allerdings ist das Auerhuhn ein sehr scheuer Bergwaldbewohner, äusserst störungsanfällig und stark bedroht. Darum bin ich es nie extra suchen gegangen, hoffe aber, dass ich eines Tages Glück habe.

Sehen Vogelbeobachter, was andere Menschen nicht sehen?

Ich denke schon. Man ist sehr achtsam auf die Umgebung. Das betrifft übrigens nicht nur das Sehen, sondern auch das Hören.

Gibt es eine Vogelart, die Sie persönlich nicht mögen?

(Er überlegt lange.) Es gibt natürlich Vögel, die mich mehr faszinieren als andere. Falken begeistern mich deutlich mehr als etwa die Nilgans, die mit ihrem dunklen Augenfleck und ihren hellen Augen streng wirkt und sich zur Brutzeit gegenüber anderen Arten äusserst aggressiv verhält.

Welches ist der schrägste Vogel der Schweiz?

Der Wiedehopf. Sein Flug ist flatternd und unstet, dann sieht er ein bisschen aus wie ein Schmetterling. Er gibt lustig klingende «Hupupupu»-Rufe von sich, und mit seiner auffällig gefächerten Federhaube wirkt er komisch. Zu sehen ist er vor allem im Walliser Rhonetal, im Rheintal sowie in Weinanbaugebieten am Genfer- und am Bielersee. Während der Zugzeit kann er aber praktisch überall auftauchen.

Was haben Sie aufgrund Ihrer Vogelbeobachtungen über das Menschsein gelernt?

Dass sich früh aufstehen immer lohnt. Und auch, dass man mehr entdeckt und erlebt, wenn man frei von zu grossen oder spezifischen Erwartungen ist.

Infos zum Besucherzentrum der Vogelwarte Sempach: www.vogelwarte.ch.


Drei Hotspots für Vogelbeobachter

Neeracherried

Junge Weissstörche im Flachwasser

Im Naturzentrum von Birdlife lernen Sie in einer interaktiven Ausstellung Tiere und Pflanzen aus dem Ried kennen. Naturpfade und Stege führen zu zwei Beobachtungshütten mit Sicht auf Flachteiche und Riede.

Derzeit zu sehen: Jungvögel von Kiebitz und Weissstorch sind mit etwas Glück auszumachen. Lachmöwen und Turmfalken erwarten Jungtiere. Zudem sind Rohrweihen, verschiedene Entenarten und Baumfalken zu sehen. Manchmal auch Bekassinen, Bruchwasserläufer, Kampfläufer und Grünschenkel. Zu hören sind jetzt der Kuckuck und die Nachtigall.

Anreise: Postauto-Haltestelle «Riedt bei Neerach».
Auto: Parkplätze beim Naturzentrum.
Infos: www.birdlife.ch.


Klingnauer Stausee

Rundwanderung zum Eisvogel

Rundwanderung Klingnauer Stausee

Ein sieben Kilometer langer, asphaltierter Uferweg umrundet den künstlichen See und führt zu Beobachtungsplattformen, einem Beobachtungsturm und dem Naturzentrum von Birdlife.

Derzeit zu sehen: Der Flussläufer. Klingnau ist ein Hotspot für das Sichten von Eisvögeln. Zu hören sind jetzt die Nachtigall, der Kuckuck, der Drosselrohrsänger und abends mit viel Fortune die heimlich im Schilf lebende Zwergdommel, deren Ruf so klingt, als belle ein Hund.

Anreise: Ab Bahnhof Döttingen zu Fuss in 20 Minuten. Oder mit Bus 148 oder Bus 149 bis Kleindöttingen, Burlen.
Auto: Kostenpflichtige Parkplätze bei der Aarebrücke auf Kleindöttinger Seite.
Infos: www.birdlife.ch.


Fanel / Chablais de Cudrefin / La Sauge

Die heimlich lebende Bartmeise im Schilf

Fanel / Chablais de Cudrefin / La Sauge

Das Gebiet Fanel / Chablais de Cudrefin / La Sauge ist Teil der Grande Cariçaie, des grössten Schweizer Schilfgebiets, am Neuenburgersee. Ein Naturlehrpfad führt vom Birdlife-Zentrum über Pfade und Stege durch das Sumpfgebiet. Von Besucherplattformen und Beobachtungstürmen aus lassen sich Vögel beobachten.

Derzeit zu sehen: Rotschenkel, Grünschenkel, Kampfläufer, der Waldvogel Pirol, Rohrschwirl und die Bartmeise, die nur in grossen Schilfflächen vorkommt und deren Ruf klingt wie ein Peitschenschlag.

Anreise: Vom Bahnhof Ins fährt am Wochenende ein Bus zu Cudrefin / La Sauge.
Auto: Kostenpflichtige Parkplätze beim Birdlife-Naturschutzzentrum La Sauge.
Infos: www.birdlife.ch.


Neues Nachschlagewerk:
Gut geschaut ist halb bestimmt

In der Schweiz wurden schon über 430 verschiedene Vogelarten beobachtet. Livio Rey hat 170 häufige Arten in einem handlichen Nachschlagewerk zusammengetragen. In einer kurzen Einleitung legt der Biologe und Mediensprecher der Vogelwarte Sempach dar, wie man spezifische Merkmale eines Vogels bestimmt. Dazu helfen die Höhenverbreitung, Verbreitungskarten und Jahreskalender. Illustrationen zeigen die Schönheit und die detailreiche Einzigartigkeit eines jeden Vogels. Und jede Art wird in einer klaren und prägnanten Sprache beschrieben. Das macht «Schweizer Vögel» auch für Einsteigerinnen und Einsteiger leicht verständlich und empfehlenswert.

Livio Rey: Schweizer Vögel. Die häufigsten Arten bestimmen. Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2022. 192 S.

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