Freitag, Oktober 25

Vor sechs Jahren kamen die gentechnisch veränderten Zwillinge Lulu und Nana zur Welt. Bis heute fehlt eine wissenschaftliche Publikation zum Versuch. Diese will der Chinese He Jiankui nun liefern, aber nur unter einer bestimmten Bedingung.

Ihre Existenz hat die Menschheit in Aufruhr versetzt: Lulu und Nana waren die ersten gentechnisch veränderten Babys, die das Licht der Welt erblickten. Das war im Herbst 2018. Soeben wurden die Zwillinge sechs Jahre alt. Wo die beiden Mädchen heute sind und wie es ihnen geht, ist nicht bekannt.

Von ihrem Erschaffer, dem chinesischen Biophysiker He Jiankui, ist hingegen wieder mehr zu hören. He sass in China wegen «illegaler medizinischer Praktiken» eine dreijährige Gefängnisstrafe ab. Seit 2022 versucht er wieder als Wissenschafter Fuss zu fassen. Seine Bestrebungen in Wuhan und danach in Hainan, im Süden Chinas, ein Labor zu gründen, sind jedoch gescheitert, wie Medien berichtet haben. Nun hat He auf X bekanntgegeben, dass er in Peking erneut ein Labor eingerichtet hat.

Offenbar möchte der Biophysiker zu dieser Gelegenheit mit einem Paukenschlag das globale Interesse wieder auf sich ziehen. Im September schrieb er ebenfalls auf X: «Ich bin bereit, meine beiden Arbeiten aus dem Jahr 2018 über die weltweit ersten genmanipulierten Babys zu publizieren, allerdings muss dies entweder in ‹Nature› oder ‹Science› geschehen. Es handelt sich um einen der grössten medizinischen Durchbrüche der Geschichte, er verdient die Ehre, in ‹Nature› oder ‹Science› veröffentlicht zu werden.»

Nur die renommiertesten Journals kommen für He infrage. Seine damaligen Experimente mögen historisch gewesen sein. Doch rechtfertigt das eine Veröffentlichung der Arbeiten in diesen beiden Zeitschriften? Sind die Daten so wichtig, dass sie die Welt sehen muss?

Das Problem: He hat nicht einfach nur medizinisches Neuland betreten. Sein Vorgehen war aus ethischer Sicht höchst problematisch. So war das Risiko, dem He die Zwillinge aussetzte, laut Fachleuten viel zu hoch im Vergleich zum potenziellen Nutzen des Experiments. Ihre Eltern waren zudem schlecht informiert und wurden offenbar mit zweifelhaftem Anreiz – der einzigartigen Chance auf eine künstliche Befruchtung – zur Teilnahme am Versuch bewegt.

Niemals in «Nature» oder «Science»

Kiran Musunuru, ein Kardiologe und Spezialist für Gen-Editierung der University of Pennsylvania, ist davon überzeugt, dass «Nature» oder «Science» die Studien von He niemals veröffentlichen werden. Und das sei auch richtig. «Die Zeitschriften wollen schlechtes Verhalten nicht auch noch belohnen und so Anreize für andere unethische Projekte schaffen», sagt er.

Doch der amerikanische Forscher bedauert, dass die Daten nicht zugänglich sind. Man müsse öffentlich darüber diskutieren können, sagt er. Schliesslich ist zu befürchten, dass jemand an einem Ort mit laschen Regulierungen ein ähnliches Experiment wagen könnte – und dabei die Fehler, die He unterlaufen sind, wiederholt.

Für Musunuru kommt es nicht überraschend, dass sie He allein in den besten Journals publizieren will und sie nicht ganz einfach auf seiner Website teilt. «Ihm ging es nie wirklich darum, anderen Menschen zu helfen. Was ihn interessiert, ist sein eigener Ruhm.»

Geheime Experimente ans Licht gebracht

Schon vor sechs Jahren, als noch niemand von den geneditierten Babys wusste, wollte He seine Arbeiten in führenden Journals veröffentlichen. Dann aber hat die Zeitschrift «MIT Technology Review» seine geheimen Experimente aufgedeckt. Später hat dasselbe Magazin auch die Publikationsversuche von He rekonstruiert.

Die beiden Zwillinge mit den Pseudonymen Lulu und Nana kamen im Oktober 2018 zur Welt. Ein Forschungsteam unter der Leitung von He hatte ihre DNA in einem sehr frühen embryonalen Stadium mit dem Gentechnikverfahren Crispr verändert. Das Ziel war, vererbbare Mutation in ein Gen namens CCR5 einzuschleusen. Damit sollten die Mädchen – und mögliche Nachkommen von ihnen – resistent gegen das HI-Virus werden, denn Menschen mit Aids sind in China noch immer stigmatisiert.

Mitte November 2018 reichte He seine Forschung zur Begutachtung bei «Nature» ein. Doch dafür musste er sie in einem öffentlichen Register für klinische Versuche beschreiben. Diese Angaben fanden Journalisten der «MIT Technology Review» und publizierten sie in einem Artikel, der weltweites Echo auslöste. He war gezwungen, seine Versuche übereilt in Youtube-Videos und an einer Konferenz zu präsentieren, wobei die Reaktionen überwiegend negativ ausfielen.

28 Nov 2018 -  International Summit on Human Genome Editing - He Jiankui presentation and Q&A

«Nature» wies daraufhin das von He erhaltene Manuskript als unpublizierbar zurück. Dann versuchte es der chinesische Forscher bei der angesehenen Medizin-Zeitschrift «Jama». Dort gelangte die Arbeit tatsächlich in den Review-Prozess – und man erwog offenbar, sie in einer untypischen Form zu veröffentlichen, zum Beispiel als «zurückgewiesenes Manuskript». Doch schliesslich kam es auch bei «Jama» zu keiner Publikation.

Anspielung auf Nazi-Arzt Mengele

Selbst bei der Plattform bioRxiv, die noch nicht begutachtete Vorabdrucke von Studien veröffentlicht, meldeten sich die Forscher von Hes Team. Ein Manuskript reichten sie dann aber nicht ein. Chancen zur Publikation hätte sowieso kaum bestanden: «Wenn wir eine Arbeit erhalten, bei der bereits klar ist, dass sie auf unethische Weise zustande gekommen ist, lehnen wir sie ab», sagt Richard Sever, einer der Mitbegründer von bioRxiv und bis heute Editor der Plattform. Es sei nicht möglich, Ausnahmen zu machen. «Das würde all die Richtlinien und die Bemühungen von Ethikkommissionen verhöhnen.»

Kritikern, die diese Haltung von Fachzeitschriften und von bioRxiv als Zensur werteten, antwortete Sever damals auf Twitter mit einer Anspielung auf den Nazi-Arzt Josef Mengele, der schreckliche Menschenversuche durchgeführt hatte: «Irgendwo muss man eine Grenze ziehen. Wollen Sie das wirklich? ‹Lieber Dr. Mengele, vielen Dank für Ihre Einreichung. Ihre Arbeit wird in Kürze online sein.›»

Und so sind bis heute nur die Auszüge von Hes Studien öffentlich bekannt, die der Biophysiker im November 2018 an der besagten Konferenz zeigte. Offen bleibe, sagt Sever, ob sonst jemand – also kein wissenschaftliches Journal – bereit sei, Hes Daten zu veröffentlichen.

Genau darauf hofft der Kardiologe Kiran Musunuru. Er ist einer der wenigen, der die beiden Manuskripte von He über die Crispr-Babys in voller Länge gesehen hat. Das chinesische Forschungsteam stellte die Arbeiten im Herbst 2018 der Nachrichtenagentur AP zur Verfügung. Diese wiederum gab Kopien davon unter strenger Vertraulichkeit an einige Wissenschafter weiter, um deren Einschätzung zu erhalten. Einer davon war Musunuru.

Zwillinge könnten anfälliger für Krebs sein

«Als ich die Daten vor mir hatte, war mir innert Sekunden klar, dass beim Versuch vieles schieflief», erzählt er. So stellte Musunuru fest, dass bei den Mädchen genetischer Mosaizismus auftrat: Einige Körperstellen der Zwillinge enthalten die von He beabsichtigten Genveränderungen, andere Stellen zeigen beim entsprechenden Gen unerwünschte Veränderungen, wieder andere gar keine. Das bedeutet laut dem amerikanischen Forscher, dass Lulu und Nana womöglich gar nicht wie versprochen vor HIV geschützt sind.

Zudem entdeckte Musunuru sogenannte Off-Target-Effekte. Das sind ungewollte Veränderungen, die nicht im Ziel-Gen, sondern in anderen DNA-Abschnitten aufgetreten sind.

Das seien die beiden auffälligsten Fehler, die passiert seien, so Musunuru: «Was sie für die Gesundheit der Mädchen bedeuten, ist völlig unklar.» Am meisten Sorgen bereitet ihm, dass sie damit wahrscheinlich anfälliger für Krebs sind. Es bleibe zu hoffen, dass die Zwillinge medizinisch gut überwacht würden, sagt er.

Dass es die Mädchen gibt, davon ist Musunuru «zu hundert Prozent überzeugt». All diese Daten, die auf verschiedene Pannen hinwiesen, seien bei einer Fälschung nicht zu erwarten. Der Kardiologe geht sogar davon aus, dass He gar nicht bewusst ist, auf welche Probleme seine Manuskripte hinweisen.

Obwohl Musunuru die ersten Unstimmigkeiten schnell aufgefallen sind, brauchte er ein Jahr, um im Detail zu verstehen, was alles schiefgegangen ist. «Deshalb ist es so wichtig, dass die Daten öffentlich sind», sagt er. Auch andere sollten daraus lernen können. Der Forscher befürchtet aber, dass aus Angst vor Urheberrechtsklagen niemand bereit sein wird, die Manuskripte zu publizieren. Er selbst hat versucht, in seinem Buch «The Crispr Generation» einige Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen.

«Am besten wäre es, He würde die Studien eigenhändig veröffentlichen und dabei zugeben, dass es bei seinen Versuchen Probleme gab», sagt Musunuru. Aber damit sei leider nicht zu rechnen.

Die Antwort des Chinesen auf eine Anfrage der NZZ erhärtet diesen Verdacht. Mit der Kritik seiner Kollegen konfrontiert, reagiert He mit einem einzigen Satz: «Die sind bloss neidisch auf meine wissenschaftliche Leistung.»

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