Roadtrip für die Nase

Tomatenblätter und nasser Beton statt der ewiggleiche Tannenbaumduft: Immer mehr Nischen- und Luxusparfümerien kreieren Parfums eigens fürs Auto.

Sie kann einem fast ein wenig leidtun, die kleine Tanne. Seit den fünfziger Jahren schon baumelt (kommt daher das Wort?) sie von unseren Autorückspiegeln und verbreitet ihren Duft: aus Kiefernöl wurde Vanille, Lavendel oder der beliebte, nicht ganz definierbare Geruch nach «Neuwagen». Damit soll sie ausgeschütteten Kaffee, vergessene Knabbereien, Angstschweiss und noch Schlimmeres übertönen – die olfaktorischen Tiefpunkte eines Autolebens eben.

Doch nun wird dem Duftbaum sein Fensterplatz streitig gemacht. Marken wie Diptyque, Rituals und Jo Malone bieten ihre beliebtesten Parfums seit einiger Zeit auch als auffüllbare Duftspender an, die man an die Lüftungsöffnung im Auto klemmt. Sie riechen nach Feigenbaum, Lotusblüte oder hölzernem Salbei und Meersalz. Die luxuriöseste Version verkauft die Mailänder Marke Acqua di Parma: Ihr Duftspender ist in eine runde, Logo-geprägte Lederhülle eingefasst und kostet beim ersten Kauf 223 Franken.

«Ein Lifestyle-Objekt für Ihre Reisen», so beschreibt ihn Acqua di Parma. Statt ein unglamouröser, zweckbestimmter Tankstellenkauf zu sein, weiten solche Duftspender die Idee des perfekt kuratierten Lebensraumes aufs Auto aus. «Ich liebe Autos, und ich liebe Autodesign. Wenn es gut gemacht ist, handelt es sich dabei um Handwerk und extreme Schönheit», sagt Richard Christiansen, Gründer des kalifornischen Lifestyle-Labels Flamingo Estate, in einer E-Mail, und ergänzt: «Warum also sollte man diese Erfahrung schmälern, indem man ein Auto wie ein billiges Hotel riechen lässt?»

Der Ferrari von Mutter Natur

Flamingo Estate hat 2024 seinen ersten Lufterfrischer fürs Auto lanciert: eine runde Karte, bedruckt mit der geschwungenen, rot-weissen Illustration eines Tomatenstrauchs. Sie rieche nach den Blättern der Pflanze, «erdig», «simpel» und «aufregend», so Christiansen. Eine Tomate sei für ihn ein bisschen wie «der Ferrari von Mutter Natur». Daher rührt auch der grösste Unterschied zum herkömmlichen Duftbaum: Das Parfum ist frei von synthetischen Stoffen, was gerade bei Autodüften ein seltenes Attribut ist.

Eine Ausnahme ist die wachsende Kategorie der ätherischen Öle, die Aromatherapie auf das Auto ausweiten – je nach Fahrtemperament ein interessanter Ansatz. Obwohl der Anbieter Saje auf seiner Website eine Warnung ausspricht: Man solle Öle meiden, die eine allzu beruhigende Wirkung hätten. Stichwort Sekundenschlaf.

«’85 Diesel» statt «Neuwagen»

Wie soll ein Auto also riechen? Wie neu, wie die Person hinter dem Steuer, möglichst natürlich oder therapeutisch? Auch die Autoindustrie selbst hat sich des Themas angenommen: Wo es früher vor allem darum ging, unliebsame Gerüche nach Klebstoffen und Lack zu neutralisieren, bieten Hersteller wie Citroën und Fiat manche Modelle bereits mit integrierten Duftzerstäubern an.

Doch kreativ kann man vor allem da sein, wo man nicht die grosse Masse ansprechen muss. Für das New Yorker Parfum-Label D. S. & Durga wirkte etwa das Autofahren selbst als Inspiration; Seine aufhängbaren Lufterfrischer tragen Namen wie «’85 Diesel» und «Concrete After Lightning».

Wer den Duft des Sommers wie ein Proust-Madeleine verzehren möchte, hängt sich die Lufterfrischer vom Retro-inspirierten Sonnenschutz-Label Vacation an den Rückspiegel. Sie riechen wie Sonnencrème, Selbstbräuner und Babyöl der Marke, ohne dass man gleich eine ganze Flasche davon aus Versehen auf dem Rücksitz ausleeren muss.

Und das Filmstudio A24 – berühmt geworden durch Produktionen wie «Midsommar» und «Euphoria» – hat mit dem New Yorker Parfum-Label Joya Studio eine Kollektion von Autodüften lanciert, die nach verschiedenen Filmgenres riechen. «Horror» hat Duftnoten wie Mandarine, Wildleder und Zimtrinde, während romantische Komödien nach Sandelholz, Kardamom und getrockneten Rosen riechen sollen. Hat jemand Autokino gesagt?

Exit mobile version