Mittwoch, November 20

Die Slowakei wendet sich seit der Rückkehr Robert Ficos an die Macht stärker Russland und China zu. Aussenminister Juraj Blanar erklärt im Gespräch, warum er weitere Unterstützung für die Ukraine ablehnt und dass Bratislava weiterhin auf russisches Gas setzt.

Herr Blanar, seit die Regierung von Robert Fico vor einem Jahr an die Macht gekommen ist, gibt es eine Wende in der Ukraine-Politik der Slowakei. Die Militärhilfe wurde gestoppt, und Sie sehen in der westlichen Unterstützung für Kiew die Torpedierung eines Friedensprozesses. Wie kann der Konflikt Ihrer Meinung nach gelöst werden?

Unsere Position ist sehr klar. Schon vor der Wahl vor einem Jahr haben wir erklärt, dass es keine militärische Lösung für diesen Krieg geben kann. Die slowakische Regierung liefert der Ukraine deshalb keine Waffen mehr. Wir leisten aber humanitäre Hilfe, zum Beispiel zur Entminung. Wir wollen einen Friedensprozess: Ohne diplomatische Verhandlungen kann kein nachhaltiger, gerechter Friede erreicht werden. Die westlichen Verbündeten der Ukraine glauben, dass Russland besiegt werden kann. Wie soll eine Atommacht besiegt werden? Das ist nicht möglich.

Heisst das, Kiew muss die russische Aggression einfach hinnehmen?

Lassen Sie mich klarstellen: Der russische Angriff ist eine Verletzung des Völkerrechts. Wir unterstützen die Ukraine als unabhängigen Staat in ihren international anerkannten Grenzen. Wie wir das erreichen, ist die grosse Herausforderung – aber es kann nur einen diplomatischen und keinen militärischen Weg geben.

Für einen diplomatischen Weg braucht es aber Russland. Sie haben als einer von wenigen europäischen Vertretern seit der Grossinvasion Ihren russischen Amtskollegen Sergei Lawrow vor einigen Monaten getroffen. Sehen Sie Gesprächsbereitschaft in Moskau?

Ich hoffe darauf. Nach der Wahl Donald Trumps zeigte sich Wladimir Putin bereit, das Gespräch mit den USA wieder aufzunehmen, auch über die Ukraine. Das ist ein positives Zeichen. Diplomatie ist Dialog – auch mit denjenigen, die das internationale Recht brechen. Auch der amerikanische Aussenminister Antony Blinken sprach mit Lawrow am Rande des G-20-Treffens im Frühling. Für die Slowakei kommt die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen dazu. Wir müssen mit Moskau im Gespräch bleiben, sonst sind wir in grosser Gefahr. Deshalb habe ich Lawrow am Antalya-Forum in der Türkei getroffen. Dabei habe ich die Völkerrechtsverletzung in der Ukraine kritisiert und ihn zu Friedensverhandlungen aufgerufen. Ich habe auch an der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock in der Schweiz teilgenommen, obwohl Russland darüber nicht glücklich war. Auch da wurde übrigens beschlossen, dass bei einer nächsten Friedenskonferenz die Russen am Tisch sitzen sollen.

Wie können solche Verhandlungen aussehen? Wird die Ukraine auf Gebiete verzichten müssen?

Das wird die Zeit zeigen. Es gilt, die Positionen der Ukraine, Russlands, des Westens, aber auch des «globalen Südens» zu berücksichtigen. Letztgenannter ist wichtig für den Prozess. Nachhaltiger Frieden kann nur mit breiter Unterstützung von Sicherheitsmassnahmen für die Ukraine erreicht werden. Ich mache keine Aussage zur Frage von Gebietsabtretungen. Das ist Sache der Ukraine, Russlands und der USA. Wir stehen zur territorialen Unversehrtheit. Andernfalls ist das Völkerrecht wertlos.

Eine Sicherheitsgarantie wäre der Nato-Beitritt der Ukraine. Das lehnt Ihre Regierung aber ab.

Wir unterstützen einen EU-Beitritt der Ukraine, sofern Kiew die entsprechenden Kriterien erfüllt. Natürlich braucht das Land eine starke Garantie, deshalb muss diese auch über das westliche Bündnis hinaus getragen werden – auch von China, Indien, Brasilien, Südafrika.

Die Slowakei ist eines der wenigen europäischen Länder, die nach wie vor stark von russischem Erdgas abhängig sind. Die Ukraine will allerdings den Ende Jahr auslaufenden Transitvertrag für die Lieferung nicht mehr verlängern. Der wichtigste slowakische Energieversorger SPP hat letzte Woche einen Pilotvertrag abgeschlossen, um Gas aus Aserbaidschan zu beziehen. Ist das der erste Schritt zum Ausstieg aus russischem Gas?

Wir versuchen zu diversifizieren. Wir brauchen verlässliche, nachhaltige und kostengünstige Energielieferungen. Deshalb wollen wir kein Flüssiggas aus den USA, das vier Mal so teuer ist – das würde die slowakische Wirtschaft vor ein grosses Problem stellen. Wir wollen mit der Ukraine und Russland aushandeln, wie auch nach dem Jahresende russisches Gas in die Slowakei gelangen kann. Wir haben das im Sommer schon mit dem Rohöl gemacht: Nachdem Kiew Sanktionen gegen Lukoil verhängt hatte, übernahm die ungarische MOL-Gruppe den Transport des Öls durch die Ukraine. Wir haben in unseren Speichern derzeit Gas im Umfang von 95 Prozent eines Jahresverbrauchs eingelagert. Wir arbeiten an einer Lösung – Energie aus Aserbaidschan kann ein Teil davon sein. Aber Europa braucht nach wie vor Gas aus Russland, sonst verlieren wir an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und China.

Ministerpräsident Fico und Sie waren soeben mit einer grossen Delegation in China und haben zahlreiche Abkommen unterzeichnet, während viele andere europäische Länder auf Distanz gehen zu Peking. Soll die Slowakei neben Ungarn zu einem zweiten europäischen Hub für chinesische Investitionen werden?

Auch als EU- und Nato-Mitglied machen wir eine souveräne Aussenpolitik und wollen dabei die Wirtschaftsdiplomatie stärken. Dafür arbeiten wir auch mit den Ländern des «globalen Südens» zusammen. Nicht nur mit China, auch mit Südkorea und Japan haben wir Handelsabkommen geschlossen. Aber natürlich hoffen wir auf chinesische Investitionen, wenn sie für die Slowakei sinnvoll sind. Wir sind gemessen an den hergestellten Fahrzeugen pro Kopf der grösste Automobilhersteller der Welt und müssen die Produktion auf Elektromobilität umstellen. Dafür brauchen wir Batterien. Wenn die EU Zusatzzölle auf chinesische Batterien einführt, ist die einzige Lösung, diese bei uns im Land fertigen zu lassen. Wir sind gegen solche Zölle und gegen einen Handelskrieg mit China.

Die EU-Kommission erwägt angeblich, wegen umstrittener Reformen des Strafrechts oder der öffentlichrechtlichen Medien, Gelder für die Slowakei einzufrieren. Wie ist die Beziehung mit Brüssel?

Es gab Kritik im jährlichen Bericht zur Rechtsstaatlichkeit, aber wir sind mit der Kommission im Dialog und haben dargelegt, dass es dafür keinen Grund gibt. Dieser Bericht basiert unter anderem auf falschen Medienartikeln. Die Strafrechtsreform wurde vom Verfassungsgericht weitestgehend gebilligt. Wir müssen aber ausführlicher erklären, was wir tun, um Missverständnisse künftig zu verhindern. Es ist vor allem die slowakische Opposition, die im EU-Parlament zur Blockierung von Geldern aufruft.

Der slowakische EU-Kommissar Maros Sefcovic ist zuständig für die Verhandlungen mit der Schweiz. Sind diese für Ihre Regierung von Bedeutung?

Sehr bedeutend, wir sehen die Schweiz als wichtige Partnerin der EU. Maros Sefcovic ist der am zweitlängsten dienende Kommissar überhaupt. Sie können sicher sein, dass er diese Verhandlungen erfolgreich abschliessen wird.

Ein treuer Weggefährte Robert Ficos

Juraj Blanar, Aussenminister der Slowakei

Der 58-jährige Juraj Blanar ist Chefdiplomat seines Landes, seit die Regierung von Robert Fico vor gut einem Jahr die Macht übernommen hat. Zuvor sass er viele Jahre für dessen linkspopulistische Partei Smer im Parlament. Der Ingenieur ist auch einer von fünf Vizepräsidenten der Regierungspartei und war vor seiner politischen Karriere in einem Bauunternehmen in seiner Heimatstadt Zilina tätig.

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