Samstag, November 23

Der mexikanische Politiker und Dozent sieht besonders drei Themen, welche die Beziehungen zu Donald Trump belasten werden. Er gilt als eine der gewichtigsten politischen Stimmen des Landes.

Herr Castañeda, laut dem «Economist» wird Mexiko Trumps zweite Amtszeit besonders zu spüren bekommen. Präsidentin Claudia Sheinbaum erklärt jedoch, dass sie keine Probleme für die bilateralen Beziehungen sieht. Wer hat recht?

Sheinbaum muss das sagen, auch wenn wir hier in Mexiko anders denken. Ich glaube, dass Mexiko neben der Ukraine am meisten negativ von Trumps Wiederwahl beeinträchtigt wird. Bei drei Themen werden wir grosse Probleme mit ihm bekommen: Migration, Drogen und Handel.

Trump droht mit Strafzöllen von 25 Prozent, wenn Mexiko nichts gegen die über die amerikanische Grenze drängenden Migranten und Drogen unternimmt.

Bereits 2019 hatte Trump damit gedroht. Und Mexikos Regierung hatte beim Thema Migration sofort nachgegeben, ohne in den USA nach Verbündeten gegen diese Drohung zu suchen. Dabei war das amerikanische Repräsentantenhaus damals unter demokratischer Kontrolle.

Jetzt werden voraussichtlich beide Kammern des amerikanischen Kongresses von Trumps Republikanern kontrolliert werden. Falls Mexiko sich wehren will, werden wir dort kaum Verbündete finden.

Was kann Mexiko gegen den Migrantenstrom und die Droge Fentanyl, die jedes Jahr rund 75 000 Amerikaner tötet, tun?

Das dezentralisierte Geschäftsmodell erschwert die Bekämpfung von Fentanyl. Es gibt viele kleine Labore, die leicht zu tarnen oder zu verlegen sind, und es gibt viele Schmuggler, die jeweils kleine Mengen in die USA bringen. Alle Strassenverbindungen in die USA zu kontrollieren, zudem den Paketverkehr via UPS oder Fedex und die mexikanischen Häfen, wo Substanzen zur Produktion der Droge ankommen – dies ist von Mexiko personell und finanziell kaum zu stemmen.

Bei der Migration erledigt Mexiko bereits die schmutzige Arbeit für die Amerikaner. Rund 35 000 Soldaten jagen Migranten regelrecht auf mexikanischem Territorium und an den Grenzen, wo Orte wie Tapachula oder Villahermosa in Migrantenlager verwandelt wurden. Dazu kommt die Gewalt, die Migranten in Mexiko sowieso erleben. Sie werden geschlagen, erpresst, vergewaltigt oder ermordet.

Könnte Trump tatsächlich wie angedroht die Grenze schliessen?

Komplett schliessen nicht, aber temporär und punktuell schon. Das ist eine alte Taktik der USA, Richard Nixon hat sie 1969 angewandt, und Joe Biden unterbrach Ende 2023 die Eisenbahnlinie bei Sonora, um Mexiko zu härterem Vorgehen gegen Migranten zu zwingen. Und Mexiko kam Bidens Wunsch sofort nach.

Trump droht mit der Ausschaffung von Millionen illegal eingereister Migranten. Wie würde Mexiko reagieren?

In den USA leben rund sechs Millionen Mexikaner ohne Papiere. Wenn Trump eine Million davon ausschafft, wäre das schon viel. Denn es gibt dafür enorme logistische, politische und juristische Hürden. Aber die Ausgeschafften müssten wir zurücknehmen, es sind ja unsere Landsleute.

Ein Riesenproblem wäre dagegen, wenn Trump illegale eingereiste Migranten aus Venezuela, Kuba, Haiti, Nicaragua oder El Salvador nach Mexiko ausschafft. Für ihn wäre das am einfachsten, zumal einige dieser Länder keine Ausgeschafften zurücknehmen. Und im Fall Haiti wäre eine Rückführung unmenschlich. Aber diese Leute sind ja nicht unsere Staatsbürger!

Trump bezeichnet Mexikaner als Vergewaltiger und Mörder. Schmerzt Sie diese Rhetorik?

Das tut weh. Aber wir haben uns daran gewöhnt, dass alle zwanzig oder dreissig Jahre eine Rhetorik gegen Migranten, Latinos und speziell gegen Mexikaner aufkommt. Und es wird nicht das letzte Mal sein.

Was kann Mexiko gegen die Drogenbanden unternehmen?

Da gibt es nur schlechte Optionen. Ein Krieg gegen die Kartelle wird viele Tote fordern. Aber die Duldung der Banden, wie sie Sheinbaums Vorgänger López Obrador praktizierte, ist kontraproduktiv. Weder reduziert sie die Gewalt noch den Druck der USA. Und mit den Kartellen zu vereinbaren, dass sie auf Gewalt und den Fentanyl-Handel verzichten, dafür aber mit den anderen Drogen weiter handeln dürfen, ist auch keine gute Lösung.

Eine vierte Option wäre, die USA um Hilfe zu bitten. Aber ein Blick nach Kolumbien, wo über Jahrzehnte das amerikanische Militär vor Ort nichts gegen die Kartelle ausrichten konnte, zeigt, dass das nicht effektiv ist. Aber der Status quo ist auch nicht durchzuhalten.

Im Juli wurde der Drogenboss «El Mayo» Zambada in den USA festgenommen. Angeblich wurde er zuvor in Mexiko entführt, ohne Kenntnis der mexikanischen Regierung und mithilfe der USA. Das hat zu Spannungen zwischen den beiden Ländern geführt.

Die Spannungen hatten sich bereits in den letzten Jahren durch die zunehmende Präsenz der amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde DEA in Mexiko aufgebaut. Und die kurzzeitige Verhaftung des früheren mexikanischen Verteidigungsministers Salvador Cienfuegos 2020 in den USA wegen mutmasslicher Drogenverbrechen hat zu bösem Blut geführt.

Wir kennen die Hintergründe im Fall «El Mayo» nicht. Fest steht jedoch, dass die mexikanische Regierung weder informiert noch konsultiert wurde. Natürlich sagen die USA, sie hätten nichts damit zu tun, was für mich schwer zu glauben ist. Es wird schwierig werden, wieder Vertrauen aufzubauen.

Zumal Trump ganz offen davon spricht, auf mexikanischem Territorium militärisch gegen die Drogenkartelle vorgehen zu wollen . . .

Das wäre nicht nur aus Fragen der Souveränität kompliziert. Wir wissen nicht, was das bringen würde. In den letzten fünfzig Jahren gibt es kein erfolgreiches Beispiel für solche Aktionen. Und wie würde das mexikanische Militär reagieren?

Trump will das Handelsbilanzdefizit mit Mexiko – rund 150 Milliarden Dollar – reduzieren. Zudem steht für 2026 die Überprüfung des USMCA-Freihandelsabkommens an, dem neben den USA und Mexiko auch Kanada angehört. Was erwarten Sie?

Die grosse Frage ist, ob es statt der Überprüfung zu einer kompletten Neuverhandlung kommt. Das Beste für Mexiko wäre, das Abkommen ohne Änderungen zu verlängern. Das schlimmste Szenario wäre ein Austritt der USA aus dem USMCA. Beide Extreme halte ich für unwahrscheinlich.

Ich erwarte, dass die USA – und die Kanadier – nun auflisten werden, was sie am USMCA stört und was sie ändern wollen. In der Theorie sollte Mexiko das auch tun. Denn die USA kommen einigen Punkten des Abkommens schlicht nicht nach. Trotzdem erlässt Mexiko keine Strafzölle gegen die USA.

Das Problem ist, dass es hier zu einer Verquickung mit dem Thema China kommt. Wie sollen wir mit chinesischen Investitionen in Mexiko umgehen, die die USA stören? Sollen wir dem chinesischen Autobauer BYD sagen, dass wir nicht wollen, dass er in Mexiko Tausende von Arbeitsplätzen schafft?

Der amerikanische Protektionismus ist ein Problem, und er richtet sich nicht nur gegen China. Die USA haben ein Handelsbilanzdefizit mit Mexiko, das nichts mit China zu tun hat. Und für das Trump-Lager sind Handelsbilanzdefizite ein Zeichen der Schwäche und müssen korrigiert werden.

In einem Handelskrieg zwischen den USA und China würde sich Mexiko auf die Seite der Amerikaner stellen?

Natürlich. Für Mexiko existiert die Option nicht, statt auf die USA auf China zu setzen.

Mit dem Anfang Oktober aus dem Amt geschiedenen mexikanischen Präsidenten López Obrador hat sich Trump gut verstanden. Wie wird die Beziehung zu Claudia Sheinbaum aussehen?

Die Vorzeichen sind nicht gut. Trumps Beziehungen zu Frauen waren schlecht, wie zu Theresa May, Nancy Pelosi, Kamala Harris oder Angela Merkel. Claudia Sheinbaum sollte vorsichtshalber Merkels in diesem Monat erscheinende Autobiografie lesen, um sich vorzubereiten.

Andererseits handelt Trump transaktional, ist also auf Geben und Nehmen ausgerichtet. López Obrador hatte keinerlei Ideologie ausser dem eigenen Machterhalt. Als Trump ihm sagte, er solle sich um die Migranten kümmern, dafür könne er in Mexiko machen, was er wolle, sagte López Obrador: Fine!

Sheinbaum hingegen ist in der Linken verankert, sie hat Ideen, Ideologie, Überzeugungen und Gefühle. Trumps Transaktionalismus wird mit ihr meiner Ansicht nach nicht funktionieren.

Zur Person

Keystone

Jorge Castañeda

Der 1953 in Mexiko-Stadt geborene Politiker und Wissenschafter war von 2000 bis 2003 Aussenminister unter dem konservativen Präsidenten Vicente Fox. Er ist ein Spezialist für aussenpolitische Fragen. Er war unter anderem Dozent an der Universidad Nacional Autónoma de México, der University of California Berkeley, Princeton University und University of Cambridge.

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