Mittwoch, Oktober 9

Welche Ernährung hilft, um Heisshungerattacken nach dem Sport zu vermeiden, wie unterschiedliche Sportarten den Glukosewert beeinflussen – und weshalb Blutzuckerspitzen für gesunde Menschen tatsächlich unbedenklich sind.

Leserfrage: Wie kann ich meinen Blutzuckerspiegel so beeinflussen, dass ich zum Beispiel nach dem Sport nicht in Versuchung gerate, wieder die Kalorien aufzunehmen, die ich erfolgreich verbrannt habe?

Ein Pikser in Finger oder Ohrläppchen, Teststreifen für den Urin, Sensoren für Bauch oder Oberarm: Es gibt viele Methoden, um den Zuckergehalt im Blut oder Gewebe zu bestimmen – und immer mehr Menschen, die sich dafür interessieren. Eigentlich erstaunlich, denn für gesunde Menschen hat der Glukosespiegel wenig Aussagekraft: «Grundsätzlich sind Schwankungen des Blutzuckerspiegels völlig normal und gesundheitlich unbedenklich», sagt Professor Martin Smollich vom Institut für Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Wichtig sei die Kontrolle nur für Menschen mit Diabetes oder Vorstufen davon.

Wohl & Sein antwortet

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Trotzdem ist Glukose der Ernährungstrend der Stunde. Kann es beim Abnehmen helfen und die Gesundheit schützen, wenn man seinen Blutzuckerspiegel möglichst stabil hält? Das Internet jedenfalls ist voller Tipps und Rezepte, die Tiefs und Spitzen vermeiden helfen sollen.

Die Idee dahinter: Weniger Schwankungen sollen Heisshunger dämpfen und die Fettverbrennung ankurbeln. Diese nämlich wird von Insulin blockiert, das mit steigendem Blutzuckerspiegel vermehrt ausgeschüttet wird. Plötzlich meiden Menschen deshalb Hafermilch und Obst, trinken täglich Essigwasser oder achten penibel auf die Reihenfolge, in der sie Nahrung zu sich nehmen.

Smollich kann darüber nur den Kopf schütteln: «Es gibt keine Studien, die zeigen, dass Blutzuckerspitzen gesunden Menschen schaden.» Zumal die Blutzuckerantwort des Körpers höchst individuell ausfalle und zum Beispiel vom Stoffwechsel, der Darmflora und den Genen eines Menschen abhängt. Lebensmittel wie Obst oder Hafermilch zu meiden, hilft da nicht weiter.

Verschiedene Sportarten beeinflussen den Glukosewert unterschiedlich

Was hingegen sinnvoll ist: «Bei allen Mahlzeiten auf reichlich Ballaststoffe und Gemüse, ausreichend Proteine, gesunde Fette und komplexe Kohlenhydrate achten», rät Smollich. Das liefert wichtige Nährstoffe, hält länger satt, den Blutzucker stabil und kann vor Heisshunger schützen – und so indirekt beim Abnehmen unterstützen. Dafür braucht es allerdings weder Messgeräte, Nahrungsergänzungsmittel noch Spezialtipps: «Wer gesunde Lebensmittel auswählt und sie entsprechend kombiniert, verzögert das Anfluten von Zucker im Blut ganz automatisch», sagt Smollich.

Neben der Nahrung beeinflusst auch Sport den Blutzuckerspiegel. Gemäss einer Analyse der Deutschen Diabetes Gesellschaft treibt ihn intensive Belastung im anaeroben Bereich in die Höhe, etwa beim Sprinten, Spinning oder HIIT (hochintensives Intervall-Training). Moderates Ausdauertraining im aeroben Bereich hingegen senkt den Blutzuckerspiegel eher, etwa beim Walken, Radfahren oder Schwimmen. Sportarten, bei denen sich ruhigere Phasen und Aktivität abwechseln, halten den Blutzucker recht stabil – also etwa Tennis, Fussball oder Handball.

«Für gesunde Menschen ist jede Art Sport sinnvoll, weil körperliche Aktivität die Sensitivität der Zellen für Insulin erhöht und den Blutzuckerspiegel langfristig senkt», so Smollich.

Wer abnehmen will, kommt aber um eine zusätzliche Ernährungsumstellung meist nicht herum. Studien zeigen, dass Sport allein selten Kilos purzeln lässt. Manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall, weil viele den erhöhten Energieverbrauch mit mehr Essen kompensieren. Um Heisshunger nach dem Sport zu vermeiden, sollte man deshalb nicht hungrig trainieren, sondern ein bis zwei Stunden zuvor eine leichte und gesunde Mahlzeit zu sich nehmen.

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Ausserdem lohnt es sich, das Essen für danach zu planen. Dabei reicht es, allgemeine Ernährungsregeln im Blick zu haben: viel Gemüse, eine gute Proteinquelle, gesunde Fette und wenige und komplexe Kohlenhydrate, gerne aus Vollkorn. Die Rolle des Blutzuckers ist dabei eher zweitrangig, weil ihn nicht ausgewogene Mahlzeiten in die Höhe treiben, sondern eher Süssgetränke, Süssigkeiten, Traubenzucker oder Fruchtsäfte.

Wer sich überwiegend gesund ernährt, kann sich deshalb getrost entspannen – ohne ständig den Blutzucker im Blick zu haben. Smollich erklärt sich den Hype um Glukose vor allem mit zwei Dingen: «Zum einen kann man den Wert sehr gut messen und erreicht damit eine Zielgruppe, die auf Tracking und Selbstoptimierung anspringt.» Zweitens lasse sich das Thema gut vermarkten und zu Geld machen. Das funktioniert mit einer gesunden Ernährung weniger gut – aber immerhin kommt sie ohne Sensoren oder Pikser aus.

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