Die Veterinärmedizin wird immer teurer. Bei Tierschutzorganisationen häufen sich die Anfragen für finanzielle Unterstützung.
Der Kater Leo hat immer wieder Kämpfe mit einem Rivalen aus der Nachbarschaft. Weil er plötzlich stark hinkt und nur noch in der Ecke liegt, muss er zum Tierarzt. Offenbar hat sich eine tiefe Wunde entzündet. Die Rechnung für den Untersuch und die Antibiotikabehandlung fällt noch moderat aus: 250 Franken. So richtig heilt das Bein aber nicht. Und jetzt wird es teuer.
Ein Röntgenbild zeigt: Es steckt etwas im Oberschenkelknochen, vermutlich ein Zahn oder eine Kralle des anderen Katers. Dieser Fremdkörper müsse herausoperiert werden, sagt die Tierärztin. Aber auch Leo hat bei den Kämpfen einen Eckzahn eingebüsst, was eine Wurzelbehandlung nötig mache. Die Kosten summieren sich nun auf deutlich über 1000 Franken.
Bei der Beinoperation ist der Fremdkörper, der gemäss Röntgenbild im Knochen steckt, nicht auffindbar. Man kann nur hoffen, dass die Wunde dank Desinfektion und Antibiotika trotzdem heilen wird. «Sonst müsste Leo für eine MRI-Untersuchung ins Tierspital», sagt die Tierärztin. Dank 3-D-Bild wüsste man bei einer nächsten Operation genauer, wo man den Fremdkörper suchen müsste. Natürlich liebt die Familie ihren Kater innig. Aber nun drohen Kosten in der Höhe von mehreren tausend Franken für das Haustier. Das würde das Familienbudget sprengen.
Früher eingeschläfert, heute operiert
Julika Fitzi ist Tierärztin beim Schweizer Tierschutz (STS) und Präsidentin des Tierschutzvereins St. Gallen und Umgebung. Die Ostschweizer Organisation verfügt über einen Fonds, der einspringt, wenn ein Halter die tierärztliche Versorgung seines Tiers nicht mehr bezahlen kann. «Wir verzeichnen viel mehr Anfragen als in früheren Jahren», sagt sie. Das sei auch beim Fonds des Schweizer Tierschutzes der Fall. Die Tiermedizin entwickle sich ähnlich wie die Humanmedizin; die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten würden immer besser. Entsprechend stiegen die Preise für eine Behandlung. Früher hätte man eine Katze mit einem Beinbruch wohl eingeschläfert. Heute werde sie operiert.
Auch die Medikamentenpreise seien in der Veterinärmedizin stark gestiegen, sagt Fitzi. Doch einen wichtigen Unterschied zur Humanmedizin gibt es: Für Menschen ist eine Krankenversicherung obligatorisch. Bei Tieren ist sie freiwillig, und die wenigsten Besitzer schliessen eine ab. So stehen viele plötzlich vor einem Dilemma: Kann man dem Haustier eine Behandlung versagen, weil sie einem zu teuer ist? Wie viel Geld gibt man aus, um ein Tierleben zu retten?
Die Kostenexplosion in der Tiermedizin hat mehrere Gründe. Preistreibend wirken sich neben dem medizinischen Fortschritt auch die neuen Ketten aus, die in den letzten Jahren vielerorts Praxen eröffnet haben. Nicht unbedingt, weil ihre Preise höher sind, aber weil sie gerne alle möglichen diagnostischen Abklärungen und Behandlungen durchführen.
Ein Hundezüchter erzählt von einem Fall, der sich in seiner Tierpension zugetragen hat. Ein Hund, der ferienhalber bei ihm war, hatte einen Bandscheibenvorfall. In ähnlichen Fällen habe er von seinem eigenen Tierarzt Entzündungshemmer, Abführmittel und Kortison bekommen für das Tier. Aber die Hundebesitzerin ging in eine Klinik. Dort wurden mehrfach Blutbilder gemacht, Röntgen- und Ultraschallbilder, und zum Schluss musste der Hund in die Röhre für ein MRI. Die Besitzerin bezahlte 4200 Franken und erfuhr am Ende, dass das Tier tatsächlich einen Bandscheibenvorfall hatte. Behandelt wurde es exakt so, wie der Hundezüchter es vorausgesagt hatte. Aber welcher Tierbesitzer sagt Nein, wenn der Tierarzt zur Sicherheit eine weitere Untersuchung vorschlägt? Oder eine Wurzelbehandlung beim Zahn, weil sich der Katzenkiefer sonst entzünden könnte?
Tierärzte und Tierärztinnen sind auf dem freien Markt tätig. Die Preise für ihre Dienstleistungen können sich unterscheiden. Die Praxen müssen ihre Tarife aber auf der Website publizieren oder auf telefonische Anfrage offenlegen. Es lohnt sich, zu vergleichen, wie viel Routineangebote wie Impfungen oder Kastrationen kosten. Tierarztketten verlangen oft eine Vorauszahlung. Inhabergeführte Praxen sind meist kulanter und ermöglichen langjährigen Kunden auch Ratenzahlungen. Manche unterstützen bedürftige Tierhalter sogar dabei, wenn sie sich bei einem Tierschutzfonds finanzielle Hilfe holen müssen.
Krankenversicherung hat auch Nachteile
Die Tierärztin Yvonne Jaussi von der Kynologischen Gesellschaft empfiehlt allen Hunde- und Katzenhalterinnen den Abschluss einer Krankenversicherung für ihr Tier. So könne man sich gegen unvorhersehbare Kosten absichern. Doch wenn künftig immer öfter die Versicherung den Grossteil der Rechnungen begleicht, hat das auch Nachteile. Die Branche hat keinen Grund mehr, unnötige Abklärungen und Behandlungen zu vermeiden, und die Kostenspirale dreht sich noch schneller. Gerade wenn es auf das Lebensende eines Tiers zugeht, stellt sich die Frage, welche teuren medizinischen Massnahmen noch sinnvoll sind.
Die Alternative zur Krankenversicherung ist: Preise vergleichen und sich Grundkenntnisse über das eigene Haustier aneignen. Keine überzüchteten Rassenhunde und -katzen kaufen, die krankheitsanfällig sind. Dem Tierarzt oder der Tierärztin genau sagen, welche Untersuchung und Behandlung man wünscht. Und für den Notfall etwas Geld auf der Seite haben, denn ein Haustier bedeutet Verantwortung.
Kater Leos Wunde heilte zum Glück ohne weitere tierärztliche Behandlungen. Der Familie blieb der Gang zum Tierschutzfonds erspart – vorläufig.