Montag, Oktober 7
Nachgewürzt

Wolfgang Fassbender


Tipps

Selbst erfahrene Hotel- und Restaurantgäste sind sich nicht immer sicher, wie viel Trinkgeld angemessen ist und wann dieses gegeben werden sollte. Dass immer mehr Leute mit Karte zahlen, verändert zudem die Gepflogenheiten und bringt auch steuerliche Herausforderungen.

Man kann sich irren in der Bewertung des Fortschritts. Dem letzten Deutschen Kaiser ist das vor vielen Jahren passiert. «Ich glaube an das Pferd», sagte Wilhelm II. zu Beginn des 20. Jahrhunderts, «das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.» Wie man schon wenig später erfuhr, unterlag Seine Majestät damals einer aus heutiger Sicht grotesk anmutenden Fehleinschätzung. Sich von Bewährtem zu lösen, ist eben schwieriger, als man glaubt. Ein bisschen vergleichbar mit dem technischen Umbruch vor mehr als 120 Jahren ist die Frage der Bargeldzahlung in der Gastronomie. Immer öfter wird die Karte gezückt, wenn die Rechnung präsentiert wird, sofern nicht gleich die App auf dem sowieso immer griffbereiten Mobiltelefon die Sache binnen Sekunden erledigt.

Nun mag man wie Kaiser Wilhelm darüber lamentieren, dass die alten Zeiten vorüber sind, doch dass sich die elektronische Zahlung als kurzfristige Mode erweisen wird, ist nicht zu erwarten. Selbst Kleinbeträge lassen sich heutzutage ohne Münzen und Scheine berappen, manche Betriebe verlangen dies sogar und sparen sich alle Probleme um Wechselgeld, Einzahlung und Kassiervorgänge. Dass bald immer mehr Restaurants bargeldlose Zahlung empfehlen oder sogar vorschreiben, ist ebenso wahrscheinlich wie die einst pfeilschnelle Verbreitung des pferdelosen Individualverkehrs.

Die Kartenzahlung bringt Trinkgeld-Probleme mit sich

Doch für die Empfänger von Trinkgeld zeichnet sich ein Problem ab. Kellnerinnen und Kellner sowie, in geringerem Masse, die übrigen Beschäftigten der Gastronomie, müssen sich darauf einstellen, dass die Zeiten nie wieder so werden, wie sie einmal waren. Bar gegebener Zustupf wurde ja bislang kaum je versteuert. Je mehr Gäste allerdings Trinkgeld mit Karte bezahlen, desto schwieriger wird die Sache. Zwar sind geringe Anteile am Gesamtlohn de facto nicht steuerpflichtig, doch nicht selten übersteigt das Trinkgeld – auch wenn die Gastroverbände gern anderes behaupten – 10 Prozent des Lohns und muss ausgewiesen werden.

Klar, dass nicht nur die Mitarbeiter verunsichert sind, sondern auch die Kunden. So mancher Kellner berichtet ohnehin, dass die Höhe des Trinkgeldes in den vergangenen Jahren zurückgegangen sei. Vielleicht wissen viele Gäste auch nicht mehr so genau, wie die Gepflogenheiten früher waren und was heute als angemessen gilt.

Auch die Psychologie spielt eine Rolle. Wer mit Karte oder App zahlt, hat nach der Studienlage weniger Bezug zum verausgabten Geld, kommt seltener auf die Idee, Trinkgeld zu geben und wenn, dann bescheidener als früher. Viele Restaurants wiederum lassen die Kunden entweder weitgehend allein mit der Entscheidung oder bieten überzogene Vorschläge an.

Trinkgeld mit der Karte – so ist es richtig

Zumindest ein Teil der Gastronomie hat die Trinkgelder bereits ins Kassensystem integriert. Wer mit Karte oder App zahlt, bekommt die Frage nach dem «Tip» gestellt, kann entweder einen Betrag freihändig angeben oder eine Prozentzahl wählen. Wer seinen Kunden drei Werte anbietet – 5, 10 oder 15 Prozent –, kann ziemlich sicher sein, dass die Mehrzahl 10 Prozent wählt und kaum jemand die natürlich ebenfalls vorgeschlagene Option «0» antippt. Schlägt das System allerdings 20 Prozent vor, fühlt sich der Durchschnittskunde oft veralbert; in der Schweiz sind solche Werte unüblich.

Wie hoch das angemessene Trinkgeld sein soll, lässt sich dagegen lange diskutieren. Zwischen 5 und 10 Prozent, je nach Höhe der Rechnung und Aufwand, gelten als fair; mehr darf es sein, weniger natürlich auch: erst recht dann, wenn der Service unfreundlich war. In Hotels liegen die Werte tiefer, und dass man den Zimmerreinigungskräften zwei, drei Münzen hinterlassen sollte, ist beinah Allgemeinwissen.

Eine faire Verteilung des Trinkgeldes ist unumgänglich

Wird das Trinkgeld ausschliesslich oder überwiegend mit Karte bezahlt und auf dem Lohnausweis der Mitarbeiter aufgeführt, hat das natürlich auch Vorteile. Erstens zählt das Zusatzeinkommen bei der AHV-Berechnung, zweitens bekommen auch Aushilfskräfte, Köche, Spüler und alle, die hinter den Kulissen schaffen, ihren transparenten Anteil am Lohn. In Zeiten des Bargeldes entschieden Kellner und Wirte nämlich bisweilen auf eine nicht immer nachvollziehbare Weise, nach welchem Schlüssel Geld an wen verteilt wurde.

Bargeld in der Tasche zu haben, am besten als Fünfliber oder Zehn-Franken-Schein, bietet sich dennoch an. Für Dienstleistungen, die über das Normale hinausgehen, derlei zu überreichen oder zu hinterlassen, wird auch in naher Zukunft kaum irgendwo verboten sein.

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