Montag, November 25

An der zweiten Sitzung ohne Alain Berset hat sich der Bundesrat über die Aufarbeitung der Indiskretionen während der Pandemie unterhalten. Zumindest ein bisschen.

Es war ein denkwürdiger Vorgang: Im Januar 2023 musste der damals amtierende Bundespräsident Alain Berset während einer Bundesratssitzung in den Ausstand treten, musste gar den Raum verlassen, damit seine sechs Kolleginnen und Kollegen ohne ihn eine Aussprache führen konnten. Thema waren die zahlreichen Indiskretionen während der Corona-Pandemie, namentlich die Vorwürfe gegen das Departement Berset, regelmässig den CEO des Verlags Ringier mit vertraulichen Informationen versorgt zu haben.

Nun, fast auf den Tag genau ein Jahr später, hat sich der Bundesrat erneut mit der Affäre befasst. Berset musste dieses Mal nicht mehr in den Ausstand treten, weil er Ende Jahr zurückgetreten ist. Am Mittwoch – an der zweiten Sitzung ohne Berset – hat der neu zusammengesetzte Bundesrat über den Bericht der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) des Parlaments zu den Corona-Leaks diskutiert.

Wobei sich die Lust am Diskutieren offenkundig in Grenzen gehalten hat. Die Stellungnahme zum GPK-Bericht fällt auffällig wortkarg aus. Auf gerade einmal acht Seiten unternimmt der Bundesrat alles, um die unangenehmen Fragen, die nach wie vor nicht geklärt sind, grossräumig zu umfahren. Jetzt da Berset weg ist, scheint sich das Gremium nicht mehr mit den alten Geschichten befassen zu wollen. Dabei gäbe es einiges zu klären.

Etwas «Zersetzendes»

Mehrere Bundesratsmitglieder höchstselbst haben in den Anhörungen der GPK ein bedenkliches Bild der (Un-)Kollegialregierung in den Corona-Monaten gezeichnet: Nach ihren Aussagen haben die Indiskretionen zu einem «Vertrauensverlust» innerhalb des Gremiums geführt. Das Arbeitsklima sei «mindestens zeitweilig geschädigt» gewesen. Die vielen Indiskretionen hätten etwas «Zersetzendes» gehabt. Sie hätten ganz konkret die Zusammenarbeit erschwert, teilweise seien Entscheide weniger gründlich vorbereitet worden als üblich.

Besonders gereizt reagieren Bundesräte, wenn es Indiskretionen direkt aus ihren Sitzungen gibt: über den Verlauf der vermeintlich vertraulichen Diskussionen, über einzelne Äusserungen, die ein Mitglied machte. Dass solche Informationen während der Pandemie gehäuft nach aussen drangen, gab im Bundesrat gemäss dem GPK-Bericht immer wieder zu reden und führte zu einer «spürbaren Resignation». Diese Indiskretionen hätten das Vertrauensverhältnis «besonders belastet». Die düstere Diagnose stützt sich explizit auf Aussagen mehrerer Bundesratsmitglieder ab.

Doch wer meinte, dieselben Bundesrätinnen und Bundesräte würden sich am Mittwoch noch einmal zur Sache äussern, sieht sich getäuscht. Die Corona-Schadensbilanz zum Zustand der Exekutive ist in der am Mittwoch verabschiedeten Stellungnahme kein Thema mehr. Zur damaligen Situation im Gremium, zur gestörten Zusammenarbeit, zum ramponierten Vertrauensverhältnis sucht man vergeblich weitere Angaben. Es scheint fast, als sei mit Berset auch die Affäre zurückgetreten.

Zwölf Anzeigen in einem Jahr

Wenn der Bundesrat schon keine Lust auf Vergangenheitsbewältigung hat, so versucht er zumindest, für die Zukunft vorzusorgen. Er beschreibt in seiner Stellungnahme ausführlich, was er unternehmen will, um Indiskretionen möglichst zu vermeiden. Zum Beispiel hält er an der Praxis fest, bei Amtsgeheimnisverletzungen konsequent Strafanzeige einzureichen. Allein letztes Jahr hat die Bundeskanzlei zwölf Anzeigen erstattet – womit auch schon gesagt ist, dass das Problem mit der Pandemie nicht verschwunden ist.

Die GPK hat einen Vorschlag gemacht, der in Bern einiges zu reden gab. Es geht dabei um die geheimnisumwitterten Debriefings nach den Bundesratssitzungen, welche die einzelnen Mitglieder jeweils in ihren Departementen durchführen, um ihre Vertrauten über die Entscheide zu informieren. Wenn – wie während Corona – Informationen zum Verlauf von Bundesratssitzungen publik werden, liegt der Verdacht nahe, dass sie (auch) aus diesen Kreisen stammen.

Nun sind aber diese Debriefings nicht klar geregelt. Die einzelnen Bundesrätinnen und Bundesräte entscheiden nach eigenem Gutdünken, wie gründlich sie ihre Entourage informieren, wie viel sie über die Sitzung und die Voten der Kollegen erzählen. Im GPK-Bericht ist deshalb die Empfehlung zu finden, der Bundesrat möge einheitliche Leitlinien für die Debriefings erlassen, damit diese künftig möglichst homogen ablaufen.

Neun Monate für ein Merkblatt

Davon wollen die Betroffenen jedoch nichts wissen: Der Bundesrat lehnt den Vorschlag ab. Die organisatorischen Unterschiede zwischen den Departementen seien so gross, dass einheitliche Vorgaben nicht sinnvoll seien. Überdies wären diese in der Praxis auch kaum umsetzbar, wie der Bundesrat festhält. Mit anderen Worten: So sehr sich die Bundesräte über (manche) Indiskretionen ärgern – zu sehr einschränken lassen wollen sie sich dann doch nicht.

Somit bleibt wenig Handfestes übrig. Da Indiskretionen fast immer straflos bleiben, versucht der Bundesrat, die Drohkulisse zu verstärken: Er möchte den Zugriff auf Randdaten von Systemen zur Bearbeitung von Bundesratsgeschäften vereinfachen, um allfällige Verräter aufspüren zu können. Weiter soll regelmässig überprüft werden, wer weshalb Zugriff auf die Datenbank der heiklen Geschäfte nimmt. Zudem ist die Rede von verwaltungsinternen «Sensibilisierungsmassnahmen».

Sehr eilig scheint es der Bundesrat aber nicht zu haben. Letzten September hat er beschlossen, ein internes «Merkblatt über die Aufklärung und Ahndung von Indiskretionen und Amtsgeheimnisverletzungen» verfassen zu lassen. Vorliegen soll das Papier Ende Juni 2024.

Fazit: Der Kampf gegen Indiskretionen dürfte immer weitergehen, weil diese sich ebenso wenig ausrotten lassen wie die Scheinheiligkeit der Medien, die die Leaks, von denen sie heute profitieren, morgen wortreich kritisieren.

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