Freitag, April 18

Das langfristige Trendkanalkonzept deutet auf eine Unterbewertung des Schweizer Aktienmarkts hin und auch die US-Börse erscheint nicht teuer. Das bedeutet indes nicht, dass damit das Ende des Kurseinbruchs bevorsteht.

Im Januar 1988 publizierte die Banque Pictet erstmals eine Langfriststudie zur Performance von Schweizer Aktien. Die Studie basiert von 1926 bis 1959 auf Recherchen von Ernst Rätzer (1983) und von 1960 bis 1983 von Gérard Huber (1986). Huber orientierte sich am heutigen UBS 100 Index. Von 1984 bis 1991 diente der frühere Pictet-Index als Basis und seit 1992 der Swiss Performance Index (SPI). Die ganze Datenreihe versteht sich inklusive Wiederanlage der Dividenden (Total Return).

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Vom 31. Dezember 1925 bis zum 31. Dezember 2024 präsentiert sich der Schweizer Aktienmarkt wie folgt:

Dargestellt sind einerseits der Pictet Aktienindex (linke Skala) und andererseits die Aktienperformance von Jahr zu Jahr (rechte Skala). Ausgangspunkt des Aktienindexes ist eine Einmaleinlage von 100 Fr. am 31. Dezember 1925. Bis zum 31. Dezember 2024 hätten sich die 100 Fr. – inklusive laufender Wiederanlage der Bruttodividenden – zu einem Kapital von 148’080 Fr. entwickelt. Das entspricht einer durchschnittlichen Jahresrendite (geometrisches Mittel) von 7,7%. Die Jahresrenditen schwanken allerdings erheblich: Dreimal (1936, 1985, 1997) übertrafen sie die Marke von 50%, ebenfalls dreimal (1931, 1974, 2008) tauchte der Aktienmarkt um mehr als –30%.

Der Aktienindex (linke Skala) ist logarithmisch skaliert und zwar mit dem Logarithmus zur Basis 10. Ausgehend von 5 Indexpunkten ist jeder nächste Wert zehnmal höher: 5, 50, 500 usw. Die Indexentwicklung wird prozentual dargestellt. So kann etwa der Taucher von Ende 1961 bis Ende 1966 gut mit jenem von Ende 1928 bis Ende 1935 oder demjenigen von Ende 2000 bis Ende 2002 verglichen werden. Demgegenüber ist die rechte Skala arithmetisch skaliert. Der Abstand zwischen den Prozentwerten entspricht jeweils 50 Prozentpunkten.

Die Ausschläge der Jahresrenditen um den Mittelwert (Volatilität) werden mit der Standardabweichung gemessen. Anhand der Jahresrenditen für den Aktienmarkt Schweiz ergibt sich für den Betrachtungszeitraum (Ende 1925 bis Ende 2024) eine Standardabweichung von 18,6%. Das bedeutet, dass rund 68% der Jahresrenditen innerhalb einer Bandbreite von –/+18,6 Prozentpunkten um den Mittelwert streuen, konkret zwischen –10,9% und +26,2%.

Jahresrenditen unterhalb bzw. oberhalb dieser Bandbreite haben eine theoretische Wahrscheinlichkeit von je rund 16%. Dies gilt, sofern Aktienrenditen in etwa normalverteilt sind. Das trifft für die Jahresrenditen des Schweizer Aktienmarkts praktisch zu.

Jede Säule hat eine Breite von 10%, die mittlere Säule erfasst alle Jahre mit einer Rendite zwischen 2,65% und 12,65%. Mit einer Rendite von 6,2% fallen 2024 und weitere 26 Jahre in diesen Bereich.

Ein Barometer für den Schweizer Aktienmarkt

Seit 1992 bestimmt der SPI die Pictet-Datenreihe. Rechnet man die ganze Reihe in den SPI um, wäre der Index am 31. Dezember 1925 bei 10,45 Punkten gestartet.

Im obigen Diagramm sind zwei Trendlinien eingezeichnet, eine untere und eine obere. Untere Trendlinien verbinden ein Kurstief mit einem oder – besser – zwei höher liegenden Kurstiefs. Trotz erheblicher Kursschwankungen hat der Schweizer Aktienmarkt die untere Trendlinie, generiert anhand der Tiefpunkte 1935, 1940 und 1974, in den letzten fünfzig Jahren nie durchbrochen. Die obere Trendlinie verbindet das Kurshoch von 1928 mit jenem von 1961.

Die untere und die obere Trendlinie verlaufen nahezu parallel und weisen ein mittleres Wachstum von 7,9% auf. Man spricht von einem Trendkanal.

Definiert man die Kanalmitte als «trendneutralen» Wert bzw. als «faire» Aktienmarktbewertung, lassen sich leichte, mittlere oder starke Ausschläge nach oben respektive nach unten als leichte, mittlere oder starke Über- bzw. Unterbewertung interpretieren. Wie die obige Grafik zeigt, schoss der Schweizer Aktienmarkt in den Jahren 1997 bis 2000 über den Trendkanal hinaus, es herrschte «irrationaler Überschwang».

Mit 15’472 Punkten per 31. Dezember 2024 notierte der SPI 5,5% unter dem «trendneutralen» Wert (Kanalmitte) von 16’340 Punkten. Das würde eine moderate Unterbewertung bedeuten. Das Trendkanalkonzept kann in eine Art Aktienbarometer überführt werden.

Mein Aktienbarometer visualisiert das «Über-/Unterschiessen» in stetigen Prozentwerten. Grund dafür ist der Umstand, dass «rauf» und «runter» gerechnet abweichende Prozentwerte liefert.

Legt eine Aktie von 100 auf 125 zu, gewinnt sie 25%. Gibt die Aktie auf 100 nach, verliert sie 20%. Obschon der Aktienkurs am Ausgangspunkt notiert, gaukeln die Prozentwerte einen Gewinn von 5% vor. Stetige Renditen dagegen generieren in beide Richtungen denselben Prozentwert: ln(125÷100) = 0.223 (22,3%) und ln(100 ÷125) = –0.223 (–22,3%).

Logarithmen ausrechnen

«ln» steht für logarithmus naturalis (natürlicher Logarithmus). Der Rechner auf dem Smartphone macht die Bestimmung stetiger Renditen einfach: 1.25 (für 125÷100) eingeben, Taste «ln» (in der Rechnermitte) antippen; Ergebnis: 0.2231 bzw. 22,31%. Oder: 0.80 (für 100÷125) → Taste «ln»; Ergebnis: –0.2231 bzw. –22,31%. Mit der Taste «ex» (gleich oberhalb «ln») können stetige in die vertrauten diskreten Renditen zurückgerechnet werden: 22,31% → ex → 1.25–1 = 0.25 (+25%); oder: –22,31% → ex → 0.80–1 = –0.20 (–20%).

Der US-Aktienmarkt von 1926 bis 2024

Ein US-Aktienportfolio – aufgebaut am 31. Dezember 1925 mit einer Einmaleinlage von 100 Fr. – hätte sich, gemessen am Standard & Poor’s 500 Total Return Index, zu einem Vermögen von 292’121 Fr. entwickelt. Das entspricht einer Jahresrendite von 8,4%. Am 31. Dezember 1925 lag der Wechselkurs bei 5.18 Fr./$. Bei unverändertem Austauschverhältnis hätte sich ein Endwert von 1’674’251 Fr. und eine Jahresrendite 10,3% ergeben. Der sinkende Wechselkurs (am 31.12.2024 lag er bei rund 0.90 Fr./$) hat 1,9 Prozentpunkte gekostet.

Trotz des markanten Währungsverlusts hat der US-Aktienmarkt (292’121 Fr.) den Schweizer Markt (148’080 Fr.) deutlich geschlagen.

Vergleicht man die beiden Aktienmärkte in Franken (Grafiken 1 und 6 oben), zeigt sich zweierlei. Zum einen schlagen die US-Jahresrenditen stärker aus. Ausdruck davon ist eine höhere Standardabweichung (22,5% gegenüber 18,6%). Zum anderen ist die viel bessere Performance in den USA den vergangenen sechzehn Jahren geschuldet. Legte das US-Portfolio in diesem Zeitraum von 38’416 auf 292’121 Fr. (+660,4%) zu, schaffte es das Schweizer bloss von 43’714 auf 148’080 Fr. (+238,7%).

Ist der US-Aktienmarkt womöglich überbewertet und, wenn ja, lässt sich dies allenfalls mithilfe des Trendkanalkonzepts belegen?

Gleich wie für den Schweizer Aktienmarkt lässt sich auch für den amerikanischen ein Trendkanal ausmachen, sowohl in Dollar als auch in Franken. Letzterer sieht wie folgt aus:

Am 31. Dezember 2024 schloss der S&P 500 TR Index in Dollar bei 12’912 Punkten. In Franken sind das – bei einem Wechselkurs von 0.9038 Fr./$ – 11’670 Punkte. Rechnet man den Index in Franken zurück, ergibt sich per 31. Dezember 1925 ein Start bei rund 3,99 Indexpunkten. Die untere Trendlinie verbindet die Tiefpunkte von 1934 und 1978, die obere Trendlinie die Hochpunkte von 1929 und 1998. Der Trendkanal weist ein mittleres Wachstum von 8,6% auf.

Von Mitte der Fünfziger- bis Anfang der Siebzigerjahre bewegt sich der US-Aktienmarkt in Franken – anders als der Schweizer Aktienmarkt – am oberen Kanalende. Grund dafür ist der Wechselkurs, der unter dem Regime von Bretton Woods zu lange auf einem zu hohen Niveau von rund 4.34 Fr./$ verharrte. Im Bretten-Woods-System war die Schweizerische Nationalbank (SNB) verpflichtet, den Wechselkurs innerhalb einer Bandbreite von –/+1% zu verteidigen. Um die untere Bandbreite zu halten, musste die SNB am Devisenmarkt mehr und mehr Dollar gegen Franken kaufen. Die Geldmengenausweitung hatte in der Schweiz Inflationsraten von 5,4% (1970) bis knapp 12% (1973) zur Folge. 1971 wurde das Bretton-Woods-Regime aufgeweicht und 1973 definitiv aufgegeben. Von Ende 1970 bis Ende 1979 sackte der Wechselkurs von 4.32 auf 1.58 Fr./$ ab.

Mit 11’670 Punkten notiert der S&P 500 TR CHF per 31. Dezember 2024 bei 22,2% (stetig: 20%) über dem «trendneutralen» Wert von 9550 Punkten (vgl. Grafik oben). Die Überbewertung ist nicht ausgesprochen stark, aber deutlich.

Die Positionierung Ende 2024 und am 8. und 9. April 2025

Nimmt man – aus der Optik vom 31. Dezember 2024 – die beiden Aktienbarometer zum Nennwert, ist der Aktienmarkt Schweiz zu favorisieren. Einer Unterbewertung des Schweizer Aktienmarktes von gut 5% steht eine Überbewertung des US-Aktienmarktes von gut 20% gegenüber.

Je nach Positionierung ist (war) ein Festhalten am Schweizer Aktienmarkt, eine Umschichtung von den USA in Richtung Schweiz und/oder eine Absicherung des US-Aktienportfolios mittels Puts oder Short (Mini) Futures angezeigt.

Wie sieht eine vorläufige Zwischenbilanz nach dem Zollhammer von US-Präsident Donald Trump aus? Vom 31. Dezember 2024 bis zum 9. April 2025 um 12 Uhr, ist der SPI um 908 Punkte getaucht (–5,9%). Auf der anderen Seite ist der S&P 500 TR CHF um 19,2% gesunken. Mit –15% ist der Verlust in Dollar etwas kleiner. Die Differenz liegt an der Dollarabwertung von 0.9038 auf 0.8593 Fr./$ seit Ende 2024.

Was sagt das Trendkanalkonzept dazu?

Bricht man den Trendkanal für den Aktienmarkt Schweiz vom 31. Dezember 1987 bis zum 9. April 2025 um 12 Uhr (MESZ) auf Tagesbasis herunter, ergibt sich folgendes Bild.

Mit 14’564 Punkten notiert der SPI 2122 Punkte unter dem «trendneutralen» Wert (Kanalmitte) von 16’686 Punkten. Das entspricht einer Unterbewertung von 12,7% (stetig: –13,6%). Das Aktienbarometer bringt das besser zum Ausdruck:

Mit –13,6% indiziert der Aktienbarometer Schweiz eine stärkere Unterbewertung als auf dem Tief des Coronaschocks (23. März 2020: –13,1%).

Mit 9433 Punkten notiert der S&P 500 TR CHF per 08. April 2025 3,4% unterhalb des «trendneutralen» Werts von 9768 Punkten. Damit erscheint der US-Aktienmarkt leicht unterbewertet. Salopp ausgedrückt, hat der US-Aktienmarkt seit der Amtseinführung Trumps seine Überbewertung (23. Januar 2025: +23,9%) korrigiert und ist in etwa dort, wo er hingehört.

Ist das Schlimmste womöglich bereits überstanden? Ja, wenn US-Präsident Donald Trump rasch zur Vernunft kommt. Nein, wenn er sich in seiner Sturheit und Überheblichkeit weiterhin verrennt. Trotz einer ausgeprägteren (Schweiz) respektive einer weniger ausgeprägten Unterbewertung (USA) liegt eine deutlichere Korrektur drin – in der Schweiz von gut und gerne 10 bis 15%, am US-Aktienmarkt (vor allem in Franken gerechnet) auch deutlich mehr.

Fazit

Rund 25 Jahre Erfahrung mit dem Trendkanalkonzept für den Schweizer Aktienmarkt führen zur Feststellung, dass es als Positionierungsinstrument gute Dienste leistet. Das gilt auch für die USA.

Drei wichtige Vorbehalte sind dennoch angebracht: Erstens ist die Positionierung von (langfristigen) Trendkanälen nur mit etwas Intuition möglich; es ist keine exakte Mathematik. Zweitens gibt es keine Gewissheit, dass langfristige Trendkanäle auch für die lange Zukunft gelten. Drittens lassen Trendkanäle keine Aussagen zu, wann ein Markt einbricht oder zu einer Rally ansetzt.

Max Lüscher-Marty

Max Lüscher-Marty (*1950) lehrt, coacht und schreibt seht mehr als vierzig Jahren in den Bereichen Geldanlage und Bankkredit. Er ist Autor mehrerer Bücher zu Geldanlage, Bankkredit und Finanzmathematik und gründete 2002 das Institut für Banken und Finanzplanung (ibf-chur.ch). In den Neunzigerjahren baute er die HWV Chur auf und führte diese als Direktionsmitglied der HWT Chur (heute FH Graubünden) in den Fachhochschul-Kontext. Seine Leidenschaft gilt der Aufbereitung langer Datenreihen aus der Welt der Finanzmärkte und der Wirtschaft.
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