Donnerstag, Oktober 3

Deutschland gehört zu den bedeutendsten Exporteuren von Rüstungsgütern für den jüdischen Staat. Trotz dem israelischen Verteidigungskampf hat die Regierung in Berlin die Ausfuhren zuletzt drastisch reduziert. Israel dürfte damit zurechtkommen – vorerst.

Mitte September sorgte ein Bericht der israelischen Tageszeitung «Haaretz» für Aufregung in Berlin: Deutschland habe seine Waffenexporte nach Israel signifikant reduziert – auf ein Niveau wie zuletzt vor 20 Jahren. Angriffswaffen seien seit März überhaupt nicht mehr genehmigt worden, hiess es weiter. Wenige Tage später folgte eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters, die noch weiter ging. Danach würde Deutschland gar keine Kriegswaffenexporte mehr nach Israel genehmigen.

Die Regierung in Berlin dementierte umgehend: Es gebe keinen Genehmigungsstopp für den Export von Waffen nach Israel, und es werde auch keinen geben. Die oppositionelle Union zeigte sich dennoch alarmiert. Der stellvertretende Fraktionschef Johann Wadephul forderte die Regierung in der Folge des «Haaretz»-Berichtes auf, Zahlen vorzulegen und den Rückgang der Exporte zu erklären. Deutschland müsse alles dafür tun, dass sich das jüdische Land umfassend verteidigen könne. Schliesslich ist Israels Sicherheit auch nach Aussagen von Kanzler Olaf Scholz und seiner Vorgängerin Angela Merkel deutsche Staatsräson.

Doch Wadephuls Aussage hörte sich an, als ob die Bundesrepublik vor dem Hintergrund des Krieges in Gaza und gegen den Hizbullah für Israel ein bedeutender, geradezu unentbehrlicher Waffenlieferant sei. Stimmt das? Ist Israel bei seiner gegenwärtigen Verteidigung im Gazastreifen und in Nordlibanon auf deutsche Rüstungstechnologie angewiesen?

Die Antwort lautet: akut nicht. Aber hätte Deutschland in der Vergangenheit einige Waffen und Ausrüstung nicht geliefert, wäre die israelische Armee heute schwächer. Und: Die Rüstungsindustrien beider Länder sind inzwischen so eng verzahnt, dass es gegenseitige, auch für Israel nicht unmassgebliche Abhängigkeiten gibt.

Eng verzahnte Rüstungsindustrien

So arbeitet der Sensor-Hersteller Hensoldt aus Taufkirchen in Bayern seit vier Jahren mit Israel Aerospace Industries bei der Entwicklung eines Radarsystems zur Abwehr ballistischer Raketen zusammen. Solche Radare sind für Israel unentbehrlich, um sich etwa gegen Angriffe Irans oder des Hizbullah mit Flugkörpern zu verteidigen. Hensoldt gehört zu den weltweit führenden Herstellern militärischer Sensoren.

Raketentechnologie kommt aus Röthenbach an der Pegnitz, einem Ort in Franken. Dort gründeten vor gut 20 Jahren die deutschen Rüstungsfirmen Rheinmetall und Diehl Defence mit dem israelischen Rafael-Konzern die Eurospike GmbH. Spike ist eine in Israel entwickelte Lenkwaffe zur Abwehr von Panzern, die von Rheinmetall und Diehl in Lizenz für die Bundeswehr gebaut wird.

Der deutsche Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann wiederum gründete im März 2022 gemeinsam mit General Dynamics aus den USA und Rafael das Gemeinschaftsunternehmen Euro-Trophy. Auch hier geht es um Hochtechnologie. «Trophy» ist ein Schutzsystem für Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. Es soll anfliegende Geschosse abwehren und zugleich auch den Schützen ausschalten können. Verschiedenen Berichten gemäss hat Israel dieses System auf den neueren Modellen des Merkava-Kampfpanzers verbaut.

Legendäres Treffen in Oberbayern

Die deutsch-israelische Rüstungskooperation ist inzwischen gut 70 Jahre alt. Schon in den 1950er Jahren half die Bundesrepublik dem jüdischen Staat bei der Bewaffnung gegen seine Nachbarn. Die erste grössere Waffenlieferung umfasste zwei Patrouillenboote, die 1956 und 1957 aus Bremen geliefert und bis in die 1980er Jahre in der israelischen Marine eingesetzt wurden.

Geradezu legendär ist das geheime Treffen zwischen Shimon Peres und dem damaligen deutschen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauss 1957 in dessen Privathaus in Rott am Inn. Peres, zu diesem Zeitpunkt Generaldirektor im Verteidigungsministerium, war inkognito nach Paris geflogen und hatte sich von dort mit einem unauffälligen Mietauto bis nach Oberbayern durchgeschlagen. Es ging damals um eine generelle, zunächst geheime Rüstungszusammenarbeit. Mittlerweile hat die damals begonnene Kooperation zur Lieferung deutscher U-Boote nach Israel geführt.

Bei diesen U-Booten handelt es sich um ein Produkt des deutschen Unternehmens Thyssen Krupp Marine Systems aus Kiel und der Nordseewerke Emden, das nach israelischen Vorgaben entwickelt wurde. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat Deutschland den Export von fünf U-Booten der Dolphin-Klasse an Israel genehmigt. Ein sechstes wird seit dem vorigen Jahr in Kiel erprobt. Drei weitere Boote sollen in den nächsten Jahren gebaut werden und die ersten drei ersetzen.

Die Bundesregierung hat den Bau der Boote wiederholt mit Hunderten Millionen Euro subventioniert. Allein die Boote vier bis sechs, ausgerüstet mit Brennstoffzellenantrieb, sollen insgesamt gut 2,4 Milliarden Euro gekostet haben. International wird immer wieder vermutet, dass Israel die U-Boote mit atomwaffenfähigen Marschflugkörpern ausgerüstet hat. Das gäbe dem Land eine Zweitschlagkapazität. Bei einem Atomangriff auf das eigene Gebiet könnte es von See aus zurückschlagen, so wie es auch andere Atommächte können.

In der Geschichte der deutschen Rüstungsexporte nach Israel dürfte es keine Vereinbarung gegeben haben, die teurer war als jene über die bisher sechs U-Boote. Ihre Bedeutung beim militärischen Vorgehen im Gazastreifen und in Libanon wird allerdings eher gering sein. Es ist ein anderes Geschäft der jüngeren Vergangenheit, das die Kritiker deutscher Waffenlieferungen an den jüdischen Staat derzeit auf den Plan ruft.

Kritik an Gaza-Einsatz deutscher Korvetten

Im Mai 2015 hat Israel in Deutschland vier Korvetten der Sa’ar-6-Klasse in Auftrag gegeben. Sie wurden von Thyssen Krupp Marine Systems entworfen. Diese Kriegsschiffe sollen insbesondere die von Raketen des Hizbullah und der Hamas bedrohten Gasfelder im Mittelmeer und die Seehandelsrouten nach Israel schützen. Im Dezember vorigen Jahres lieferte die Bauwerft, die German Naval Yards in Kiel, die vierte Korvette aus, wie die drei Schiffe zuvor unbewaffnet.

Erst in Israel wurden die Schiffe zu Korvetten, also zu Kriegsschiffen. Dazu bauten einheimische Firmen Abschussvorrichtungen für Anti-Schiff-Raketen, Seezielflugkörper und Flugabwehrraketen sowie die Elektronik, Computer, Sensoren und Software ein. Die Hülle kam aus Deutschland, der Inhalt der Schiffe aus Israel. Abermals subventionierte Deutschland etwa ein Drittel der Gesamtkosten in Höhe von 430 Millionen Euro.

Israel setzt die Schiffe unter anderem als Teil seines maritimen Flugabwehrschirms (C-Dome) ein, etwa gegen die Huthi, mutmasslich auch jüngst gegen den iranischen Angriff. Dennoch kritisieren linke Parteien in Deutschland den Einsatz der Schiffe. Sie würden nicht nur gegen Raketenangriffe, sondern auch für den Kampf im Gazastreifen genutzt.

So geht es zumindest aus einem Bericht der «Times of Israel» von Dezember 2023 hervor. Die israelische Armee, heisst es darin, habe erklärt, dass die Sa’ar-6-Korvetten verwendet würden, um die Bodentruppen im Gazastreifen im Kampf gegen die Hamas-Terroristen zu unterstützen.

Im Sommer konfrontierte die Wagenknecht-Partei die Bundesregierung mit diesen Informationen. In ihrer Antwort liess die rot-grün-gelbe Koalition verlauten, ihr lägen keine Erkenntnisse über einen Einsatz aus Deutschland gelieferter Rüstungsgüter im Gazastreifen vor. Ungeachtet dessen, hiess es weiter, fordere die Bundesregierung Israel auf, bei seinem Vorgehen in Gaza das humanitäre Völkerrecht einzuhalten.

Einer der wichtigsten Waffenlieferanten

U-Boote mutmasslich für die strategische Abschreckung und Korvetten für die Luftverteidigung – das dürften zwei wesentliche Waffensysteme in Israels Verteidigungskonzept sein. Deutschland gehörte in den vergangenen 20 Jahren also durchaus zu den wichtigsten Waffenlieferanten Israels. Die Frage ist nur, ob diese Waffensysteme essenziell sind für den Verteidigungskampf, in dem sich das Land derzeit befindet.

An die Bedeutung der USA als Rüstungsexporteur für Israel kommt die Bundesrepublik jedenfalls bei weitem nicht heran. So genehmigte die Regierung in Washington Israel etwa als erstem Land den Erwerb des Kampfflugzeugs F-35, ebenso den Kauf bunkerbrechender Bomben, wie sie vermutlich bei der Tötung von Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah eingesetzt wurden.

Auch in den USA gibt es Kritik am Vorgehen Israels insbesondere im Gazastreifen. Im Mai hatte Präsident Joe Biden die Lieferung von Bomben vorübergehend ausgesetzt und Bedenken wegen der hohen Zahl ziviler Opfer geäussert. Kanada und die Niederlande wollen in diesem Jahr gar keine Waffen mehr nach Israel liefern, weil sie Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht befürchten.

Exporte drastisch reduziert

So weit geht Deutschland bisher nicht. Nach Regierungsangaben lag der Umfang der Genehmigungen bis Mitte August bei lediglich 14,5 Millionen Euro – nach 320 Millionen Euro zwischen Oktober und Dezember 2023. Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 hatte die Koalition in Berlin sogar eine extra Arbeitsgruppe eingerichtet, um Exportanfragen für Israel schneller prüfen zu können. Innerhalb von drei Wochen wurden gut 200 Genehmigungen erteilt. Dafür braucht Deutschland sonst mitunter Jahre.

Anfang des Jahres wollte die Linkspartei wissen, welche Waffen konkret seit dem 7. Oktober 2023 nach Israel ausgeführt wurden. Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass es sich bei den meisten Exporten nicht um Kriegswaffen, sondern um «sonstige Rüstungsgüter» handelte. Ins Detail wollte die rot-grün-gelbe Koalition allerdings nicht gehen, weil sonst das «Staatswohl» gefährdet sei.

Einige der Lieferungen sind dennoch bekannt. In einer Dokumentation des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags von Anfang Februar heisst es, es sei die Ausfuhr von 3000 «rückstossarmen, ungelenkten, tragbaren Panzerabwehrwaffen», ausserdem von 500 000 Schuss Munition, von Treibladungen und Zündern genehmigt worden. Sie fallen in die Kategorie «Kriegswaffen». Zudem seien «Komponenten für die Luftabwehr und Kommunikationsausrüstung» exportiert worden. Sie fallen in die Kategorie «sonstige Rüstungsgüter».

Deutsche Teile für Israels Luftverteidigung

Wie wichtig diese «Komponenten» für Israels Verteidigung sind, lässt sich nur erahnen. Der Flugabwehrschirm «Iron Dome» jedenfalls sorgt immer wieder dafür, dass Angriffe aus Iran, Libanon, Jemen und dem Gazastreifen mit Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern abgewehrt werden können. Das zeigte sich gerade erst bei dem grossangelegten iranischen Raketenangriff und legt den Schluss nahe, dass deutsche Komponenten für die Flugabwehr für Israel sehr bedeutsam sind.

Es gibt aber noch andere Kategorien «sonstiger Rüstungsgüter» aus Deutschland, die für das jüdische Land sehr wichtig sind. Eine davon sind Motoren für Kampfpanzer und gepanzerte Fahrzeuge. Die neueste Version des Merkava-Panzers, Rückgrat der israelischen Armee am Boden, ist damit etwa ausgerüstet.

Exit mobile version