Mode mit Tradition

Die Idee, sich durch seine Kleidung mit dem Land, in dem man sich daheim fühlt, verbunden zu zeigen, ist längst nicht tot. Die Tracht gehört nicht unbedingt dazu.

In vielen Bereichen besinnt man sich derzeit gerne auf Traditionen. Brotteig darf tagelang gehen, handgeflochtene Körbe viel kosten, in Kursen, gerne auch online, lernen junge Menschen Besen binden, töpfern, sticken. Aber von Trachten halten die meisten sich fern. Trachten schmecken nach Dorf, nach Tradition, Einengendem, und das wiederum schmeckt den fortschrittshungrigen Weltbürgern nicht – selbst wenn sie sich gerne in Dirndl oder Lederhosen werfen: Diese gegenwärtig berühmteste Tracht steht schon lange nicht mehr für Bayern, sondern für den Anlass Oktoberfest.

Heimat ist nun die ganze Welt

Einst hatte jede Gegend ihre eigene Tracht, stolz zeigte man nicht nur zu besonderen Gelegenheiten, woher man stammte und damit, wohin man gehörte. Selbst als Hochzeitskleid wurden die Tenues getragen, dann die schönere, die sogenannte Sonntagstracht. Heute möchte man zur ganzen Welt gehören, überallhin und nirgends, man kleidet sich so, wie die internationalen Modefirmen und die Influencer es vorgeben.

Tracht wird mit konservativ gleichgesetzt

Daran wird auch das Eidgenössische Trachtenfest 2024 nichts ändern, selbst wenn es vom 28. bis 30. Juni 2024 in Zürich – vor für Schweizer Verhältnisse grossstädtischer Kulisse – stattfindet und man versucht hat, die Tracht ins Jetzt zu holen: Studentinnen und Studenten der Schweizerischen Textilfachschule (STF) widmeten sich dem Thema «Tracht inspiriert» und entwarfen ihr eigenes Kleidungsstück oder Accessoire.

Was nicht heisst, dass die Idee, sich durch seine Kleidung mit dem Land, in dem man sich daheim fühlt, verbunden zu zeigen, gestorben ist. Heutzutage geht man als modische Patriotin einfach subtiler vor (Fussballfans einmal ausgenommen). So kleidete sich etwa Michelle Obama, die wohl modischste First Lady, welche Amerika seit Jacqueline Kennedy zu bieten hatte, nicht in Stars and Stripes, wählte aber mit Vorliebe amerikanische Designer, gerne mit Migrationshintergrund.

Auch für europäische Adelige ist es üblich, sich in Kleidern zu zeigen, die aus ihrer Heimat stammen, gerade wenn es um Hochzeitsroben geht. Wenn eine Kate Middleton Prinz William heiratet, dann selbstverständlich in einem Kleid aus britischer Designerhand. Die Wahl fiel auf Alexander McQueen.

Trachten für Eingeweihte

Hierzulande findet die Kleider- und Labelwahl der Landeshäupter wenig Beachtung, ausser jemand legt es darauf an und kleidet sich sehr auffällig. Zum Beispiel in Schwingerhemden, die SVP lässt grüssen. Ein modisches Revival erlebten etwa der Appenzeller-Gurt, der es bis nach New York schaffte, oder das Glarner Tüechli. Dieses trägt man dann aber mit mindestens einem Hauch oder eher einer Brise Ironie, etwa vom Zürcher Designer Julian Zigerli.

Und ab und an liest man von Schweizer Politikerinnen, die sich für besondere Anlässe in Akris kleiden, das bekannteste helvetische Modelabel. So eröffnete etwa 2016 die damalige Bundespräsidentin Doris Leuthard den Gotthard-Basistunnel in einem Ensemble der St. Galler Marke, das mit umstickten Löchern versehen war.

Kleine heile Modewelt

Aber auch wer sich weltweit modisch zu Hause fühlt, kommt nicht unbedingt aus demselben Dorf: Im Zuge des Trends zum nachhaltigen Leben wächst das Interesse an lokal kreierter und produzierter Mode parallel zu den Berichten über die skandalösen Zustände, welche in vielen Kleiderproduktionsstätten vorherrschen. Immer mehr Kunden kehren den grossen Ketten den Rücken und finden ihre Garderobe bei kleinen Labels mit transparenten Produktionsketten, aus der Schweiz oder aus der ganzen Welt.

Man sucht sich so seine modische Heimat, ein Stück heile Welt, selbst wenn dieses eigentlich ein Online-Shop ist. Darüber lässt sich dann mit der Sitznachbarin beim Besenbinden gut plaudern.

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