Donnerstag, Januar 23

Ein Jahr lang dreht sich in Wien musikalisch alles um Johann Strauss Sohn. Als erster Höhepunkt wird im wiedereröffneten Theater an der Wien seine Operette «Das Spitzentuch der Königin» gezeigt – als heiteres Ringelreihen von reaktionären und freiheitlichen Kräften.

Wie mit purem Gold übergossen steht er auf seinem Marmorsockel im Wiener Stadtpark, aufrecht und elegant, die Geige unterm Kinn: Johann Strauss Sohn. Für die unbarmherzig anschwellenden Touristenscharen in Österreichs Hauptstadt sind ein paar schnelle Selfies vor dem Strauss-Denkmal Pflicht. Egon Friedell war vor hundert Jahren noch deutlich distanzierter. Er nannte den Hit-Fabrikanten der Habsburgermonarchie ein «bürgerliches Talent» mit einem «Augenblickserfolg bei der urteilslosen Galerie». Hilde Spiel dagegen sah in seinen Walzern und Polkas «alles verkörpert, was in der Wiener Musik fröhlich, sorglos, lebenslustig, ja überschäumend ist».

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So oder so ist Strauss Sohn für die Stadt heute ihr weltweit zugkräftigstes Kind: Wenn die Wiener Philharmoniker bei ihrem Neujahrskonzert seinen Donauwalzer anstimmen und die zweiten Geigen den Dreivierteltakt in traditionsgemäss leicht eiernder Weise in Schwung bringen, lassen sich weltweit Millionen Fernsehzuschauer von seinen Klängen beschwingen, und alle silvesterbedingten Malaises scheinen augenblicklich gelindert. In der allgemeinen Wahrnehmung versinkt der Walzerkönig freilich schon bald nach dem 1. Januar wieder in Vergessenheit, weggeräumt in der Schublade für Vergangenheitsseligkeiten, gleich neben den Sisi-Memorabilien. Nicht so in diesem Jahr. Denn am 25. Oktober jährt sich der Geburtstag von Johann Strauss zum 200. Mal.

An historischem Ort

Die Stadt Wien hat aus diesem Anlass 22 Millionen Euro in die öffentliche Hand genommen, um dem vernachlässigten Asset im Portfolio ihrer touristischen Vermögenswerte zu neuem Glanz zu verhelfen. Die von Roland Geyer geleitete Unternehmung «Johann Strauss 2025 Wien» zündet zu dem Zweck ein facettenreiches Veranstaltungsfeuerwerk mit über sechzig Produktionen. Neben traditionellen Formaten wie Musiktheatern und Konzerten finden sich auch zeitgenössische Divertissements wie ein Escape-Room, ein Happening und ein Strauss-Rave im Angebot.

In zwei Ausstellungen kann man obendrein nachvollziehen, wie die Strahlkraft des Schwergewichts der leichten Muse spätestens mit der Pariser Weltausstellung 1867 internationale Dimensionen erreichte. Strauss gastierte in Russland, musizierte in Boston vor Hunderttausenden – und verdiente dabei vermutlich ähnlich üppig wie sein stehgeigender Wiedergänger in der Gegenwart, André Rieu. Bei aller historischen Informationsfülle bleibt allerdings ungeklärt, wie etwas so Zauberhaftes, Zartes und Schwebendes wie der Walzer ausgerechnet in Wien zu seiner schönsten Blüte gelangen konnte.

Einen ersten Höhepunkt des Strauss-Jahres bot vor kurzem die Premiere seiner Operette «Das Spitzentuch der Königin» im Theater an der Wien. Im ältesten Opernhaus der Stadt ging damit auch die erste Neuinszenierung nach einer zweieinhalbjährigen Generalsanierung über die Bühne. 81 Millionen Euro hat sich die Stadt die Renovierung des 1801 eröffneten Gebäudes kosten lassen. Als dessen erster Direktor fungierte Emanuel Schikaneder, der Librettist der «Zauberflöte» und allererste Darsteller des Papageno. Und hier war es auch, wo Ludwig van Beethoven über Jahre um seine einzige Oper «Fidelio» rang.

Bevor das Theater an der Wien im Jahr 2006 wieder dauerhaft der Oper gewidmet wurde, machte das Etablissement am Naschmarkt zwei Jahrzehnte lang als Musical-Hochburg Furore, mit Kassenschlagern wie «Cats» und «Elisabeth». Blickt man ein weiteres Jahrhundert zurück, war das Treiben im Schmuckkästchen mit dem charmanten Zuschauerraum im Empire-Stil hauptsächlich der Operette gewidmet. Eine begrüssenswerte Entscheidung also, dass anlässlich des Strauss-Jahres an diese reiche Tradition angeknüpft wird und die Wiener Volksoper als führendes städtisches Operettenpflegeheim dadurch etwas Entlastung erfährt.

Ein Jack Sparrow des Wurstelpraters

In der 1880, sechs Jahre nach der «Fledermaus», am Ort uraufgeführten Operette «Das Spitzentuch der Königin» finden sich Melodien, die noch heute verzaubern – die verzauberndsten hat Strauss in seinem bekannten Konzertwalzer «Rosen aus dem Süden» zusammengefasst. Das eher holprige, hohle und zu harmlosem Klamauk neigende Libretto fesselt hingegen weniger. Da gibt es einen verfressenen jungen König (angeblich von Portugal, aber wohl doch eher von Kakanien) sowie einen machthungrigen Premierminister als dessen Vormund. Ein spanischer Dichter namens Cervantes erschüttert die Herzen der Damen sowie das Machtgefüge des Regierungschefs. Leider verliert er das titelgebende textile Accessoire der Regentin, was diese wiederum kompromittiert. Man kennt das, so geht es zu im Operettenwunderland. Entscheidend ist allerdings, was man daraus macht.

Als Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung von Christian Thausing haben die Ausstatter Timo Dentler und Okarina Peter ein majestätisches, zweistöckiges Karussell ersonnen, um das sich die zahlreichen Kabalen und Liebschaften, Possen und Intrigen entspinnen. Der überbordend kostümierte und dynamisch agierende Chor schwelgt im Rock-, Rüschen- und Perückenrausch, wobei sich Gründerzeit-Opulenz und Märchenwelten mischen. Der Grosspoet Cervantes – Maximilian Mayer gibt ihn mit freizügiger Herzenswärme und Charme – kapert den portugiesischen Hof als eine Art Jack Sparrow des Wurstelpraters.

Fulminant interpretiert Michael Laurenz den Premierminister Graf Villalobos, den reaktionären Gegenspieler des freisinnigen Dichters. Diana Haller verhilft dem nach Trüffelpasteten gierenden Regenten en travestie und mit prägnantem Mezzo immerhin zu vokaler Durchsetzungsfähigkeit; Elissa Hubers Königin bleibt als gewinnend derangiertes Luxusgeschöpf in Erinnerung. Im Orchestergraben musiziert das Wiener Kammerorchester, Martynas Stakionis hält die singende, klingende Chose gewinnend in Schwung.

Unterhaltsames Polittheater

Wie im Operettengenre üblich, finden sich in den Couplets Spitzen gegen die Politik. In der aktualisierenden Textfassung von Thausing wird der heutige FPÖ-Chef Herbert Kickl aufs Korn genommen. So singt der sinistre Premierminister ein Loblied auf sich selbst als Politstratege und Genie im Hintergrund. Aber obwohl er derzeit nur «zweite Reihe» sei: «Volkskanzler» wäre er schon gern! Gut möglich, dass sich für den amtierenden Parteichef der Rechtsaussenpartei in der Realität bald erfüllt, was Villalobos auf der Theaterbühne verwehrt bleibt.

Schon Johann Strauss Sohn lebte seinerzeit während zweier Jahrzehnte unter dem rigiden Regime von Staatskanzler Metternich. Der Operettenstaat Österreich sorgte auch danach und bis in jüngste Zeit – Stichwort: Ibiza-Affäre – immer wieder für unterhaltsames Polittheater. Ob es an der schönen blauen Donau allerdings künftig so lustig bleibt, steht in den Sternen. Die Produktion «Das Spitzentuch der Königin» ist bis Mitte Februar in der 3sat-Mediathek abrufbar.

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