Mittwoch, Februar 5

Wer tagsüber zu wenig – und nachts zu viel – Licht abbekommt, hat ein erhöhtes Risiko, eine Depression oder eine Angststörung zu entwickeln.

Es ist die bisher grösste Studie zum Thema, auch wenn die Forscherinnen und Forscher keine einzige Person untersuchten. Denn sie zapften den gigantischen Datenschatz an, den eine halbe Million Personen in Grossbritannien seit 2006 äufnen: In der sogenannten UK Biobank lagern nicht nur ihre Blut-, Urin- und Stuhlproben, sondern auch detaillierte Angaben über ihre Gesundheit und ihren Lebensstil.

So haben vor zehn Jahren über 100 000 Personen eine Woche lang einen Bewegungsmesser am Handgelenk getragen, der gleichzeitig auch das einfallende Licht kontinuierlich aufzeichnete. Anderthalb Jahre später erklärten sich auch über 150 000 Menschen bereit, Fragebögen über ihre psychische Belastung auszufüllen.

Für ihre kürzlich in der Fachzeitschrift «Nature Mental Health» erschienene Arbeit werteten die Forscher aus Australien, Grossbritannien und den USA diese Daten aus, indem sie sie zueinander in Bezug setzten. Herausgekommen ist dabei zweierlei.

Erstens: Im Vergleich mit Personen, die während mindestens einer Stunde an der freien Luft hellem Tageslicht ausgesetzt sind, haben Personen, die sich zwischen 7 Uhr 30 und 20 Uhr 30 fast ausschliesslich in Innenräumen aufhalten – und deshalb nur Licht von tiefer Intensität erfahren –, ein um 20 Prozent erhöhtes Risiko, psychisch zu erkranken. Und also eine Depression, eine Angststörung oder eine Psychose zu entwickeln. Und zweitens: Auch nachtsüber wirkt sich Licht auf die Psyche aus, allerdings unter umgekehrtem Vorzeichen: Je dunkler die Nacht, desto geringer das Risiko von psychischen Erkrankungen.

Die innere Uhr muss jeden Morgen justiert werden

Beide Resultate haben gemäss den Fachleuten mit der inneren Uhr zu tun, die viele unserer biologischen Funktionen regelt – und sie auf den natürlichen Tages- und Nachtzyklus abstimmt, der sich aus der Rotation der Erde um ihre eigene Achse ergibt. «Die innere Uhr ist evolutionsgeschichtlich alt. Sie bestimmte schon das Leben unserer Vorfahren in Subsahara-Afrika, die sehr helle Tage und sehr dunkle Nächte von ungefähr gleicher Dauer kannten», sagt Angus Burns von der Harvard Medical School, der Erstautor der Studie.

Für die speziellen Sinneszellen in den Augen, die den zentralen Takt- oder Zeitgeber der inneren Uhr tief im Inneren unseres Gehirns mit Informationen zur Helligkeit versorgen, ist dieser starke Kontrast offenbar ideal: Er stabilisiert sozusagen das Schwingen der Unruh unserer inneren Uhr – und hilft, die Uhr jeden Morgen neu zu justieren.

Doch viele Menschen in der westlichen Welt verbringen ihr Leben in einem Zwischenzustand, in dem sowohl die Tage wie auch die Nächte in Dämmerlicht eingetaucht sind. So dringen nur noch abgedämpfte Signale bis zum Kern der inneren Uhr. Dadurch droht sie aus dem Takt zu geraten. «Wenn man sich tagsüber träge und nachts wach fühlt, ist das in vielerlei Hinsicht ungesund», sagt Burns.

Er spielt damit nicht nur auf seine eigenen Resultate, sondern auch auf die Ergebnisse aus anderen Untersuchungen an, die eine Falschausrichtung der inneren Uhr mit einem erhöhten Auftreten von Übergewicht, Diabetes und verschiedenen Krebserkrankungen in Verbindung bringen.

Umso wichtiger sei es deshalb, sich den negativen Auswirkungen der elektrischen Beleuchtung bewusst zu werden – und mit gezielten Massnahmen gegenzusteuern, meint Burns. Dabei geht es ihm nicht darum, das elektrische Licht zu verteufeln und uns zurück in die Welt der Höhlenmenschen zu wünschen, sondern: «Wir sollten schlauer mit der elektrischen Beleuchtung umgehen.»

Konkret heisst das, dass es vor allem abends nicht nur auf die Intensität, sondern auch auf die Zusammensetzung des Lichts ankommt. «Das Lagerfeuer der Höhlenmenschen strahlte im warmen, roten Bereich des Spektrums», führt Burns auf. «Das ist problemlos.» Denn die zuvor erwähnten spezialisierten Sinneszellen der inneren Uhr reagieren vor allem auf kaltes und blaues Licht. Doch wenn sie auch mehrere Stunden nach dem Sonnenuntergang noch solches Licht wahrnehmen, verschiebt sich der Tagesrhythmus unserer inneren Uhr weiter nach hinten.

«Die elektrische Beleuchtung bringt uns tendenziell in Verzug», sagt Burns. Der Körper wähnt sich aufgrund des blauen Lichts noch in der aktiven Phase – und beginnt so immer später mit der Ausschüttung von Melatonin, dem «Hormon der Dunkelheit», wie Burns den Botenstoff nennt, der unseren Schlaf einleitet.

Draussen ist das Licht immer stärker

Es gilt also daheim vor allem auf Beleuchtung mit warmem Licht zu setzen – und nach dem Sonnenuntergang den Blaulichtfilter für die Bildschirme unserer mobilen Geräte zu aktivieren. Zudem empfiehlt Burns, ein bis zwei Stunden Tageslicht an der frischen Luft zu tanken, idealerweise möglichst bald nach dem Aufstehen, um ein möglichst tragfähiges Gegengewicht zur unnatürlichen Verschiebung der inneren Uhr aufzubauen.

Denn draussen ist das Licht – auch an trostlosen und verregneten Tagen – mindestens zwanzigmal so stark wie in Innenräumen, die in den allermeisten Fällen nur relativ schwach ausgeleuchtet sind: Typischerweise findet man in Innenräumen eine Lichtintensität von 200 bis 300 Lux vor. Zum Vergleich: An grauen, nebligen Tagen prasseln im Freien 6000 bis 8000 Lux auf uns ein – und über 100 000 Lux, wenn die Sonne scheint. «Das ist ein riesiger Unterschied, den wir meist gar nicht merken, weil sich die Pupillen zusammenziehen, wenn es sehr hell ist», erklärt Burns.

Für ihn weisen seine soeben veröffentlichten Ergebnisse jedenfalls darauf hin, dass wir aufgrund unserer Biologie immer noch mit der Natur verbunden sind, auch wenn der moderne Lebensstil uns zusehends von ihr entfremdet. Und vor allem zeigen die Arbeiten auch einen Weg auf, wie man sich selber Sorge tragen kann – ohne dafür ins Portemonnaie greifen zu müssen.

«Nachts Licht vermeiden und tagsüber Licht aufsuchen ist ein wirksames und einfaches, nichtmedikamentöses Mittel zur Verbesserung der allgemeinen psychischen Gesundheit», halten Burns und seine Kollegen in ihrer Publikation fest.

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