Montag, Oktober 7

Auch der neue Spielfilm «Führer und Verführer» zeigt, wie man es nicht machen sollte. Dass das Kino mit Hitler fertigwerden kann, hat hingegen Tarantino bewiesen.

Es gibt einen neuen, nicht sehr guten Hitler-Film. «Führer und Verführer» fokussiert auf Goebbels, es geht darum, wie Goebbels Hitler massentauglich gemacht hat. Der Minister schuf mit seiner Propaganda die Grundlage dafür, dass das Volk dem Führer verfallen konnte. Jedenfalls geht so die These des Regisseurs Joachim A. Lang.

«Führer und Verführer» verspricht, den Propagandaapparat zu durchleuchten. Doch vor allem langweilt Lang mit der Nebenhandlung, die einer Seifenoper gleicht: Goebbels (Robert Stadlober) geht fremd und erst noch mit einer Tschechin. Seine Magda (Franziska Weisz) verpetzt ihn bei Hitler (Fritz Karl). Hitler propagiert das deutsche Familienideal, Goebbels soll sich zusammenreissen.

Zur Funktionsweise der Propaganda, die angeblich so raffiniert war, kommt nicht viel zusammen. Da sind Sätze von Goebbels, wie sie so oder ähnlich heute noch beim Kundenmeeting in der Werbeagentur fallen. «Propaganda ist eine Kunst wie die Malerei», sagt er. Nicht dasjenige Bild sei von grösstem Wert, das der Wirklichkeit am nächsten komme, sondern das, «das die grössten Empfindungen auslöst». Joseph Goebbels, Senior Marketing Manager: «Wir schaffen die Bilder, die bleiben werden.»

Denkbar schlechter Anfang

Viele Dialoge sollen durch Quellen belegt sein, erklärt der Film, aber das macht sie nicht besser. Nur wiederkäuen schafft noch keinen Erkenntnisgewinn. Der Film möchte zeigen, wie Goebbels Hitlers Auftreten gestaltet hat, er will die «Inszenierung durchbrechen», wie er im Intro erklärt. Er beginnt auf die denkbar schlechteste Art.

Die Texttafel betont schulmeisterlich, «hinter die Kulissen ins Innere der Macht» zu blicken. Man müsse «die grössten Verbrecher der Menschheitsgeschichte aus der Nähe» betrachten, denn nur so «können wir ihnen die Maske vom Gesicht reissen, die Demagogie durchschaubar machen und auch die Hetzer der Gegenwart entwaffnen».

Was Joachim A. Lang vermutlich sagen möchte: Wer meinen Film gesehen hat, wählt nicht oder zumindest weniger wahrscheinlich die AfD. Das ist irgendwo zwischen naiv und selbstgefällig, ein Ausdruck von bemerkenswerter kunstschaffender Weltfremdheit.

Gut, vielleicht will der Film vor allem ins Schulfernsehen. Er hat allerdings ein grundsätzliches Problem. Je stärker er die propagandistische Leistung Goebbels gewichtet, desto geringer scheint die Schuld der einfachen Nazis: Man war halt verführt worden. Der Regisseur ist sich zwar bewusst, dass er sich aufs Glatteis begibt. Wie um den Vorwurf prophylaktisch zu entkräften, erklärt er im Einleitungstext, dass «unzählige Deutsche», die bereit waren, Hitler und Goebbels zu folgen, «für ihre «Taten selbst verantwortlich sind».

Doch so vorangestellt, ist der Satz natürlich Kosmetik. Denn in den folgenden gut zwei Stunden suggeriert der Film das Gegenteil: Die Propaganda war entscheidend. Das Publikum mit Nazi-Hintergrund darf sich am Ende entlastet fühlen. Grossvater war vermindert schuldfähig.

Der private Hitler

Trotzdem ist der Film nicht durchwegs uninteressant. «Führer und Verführer» versucht eine hybride Form: In den Spielfilm sind Interviews mit Holocaust-Überlebenden eingeflochten, auch dokumentarisches Material ist in die gespielte Handlung hineinmontiert. Bemerkenswert ist dabei vor allem eine kurze Tonaufnahme, die zu Beginn eingespielt wird. Sie gibt Hitler im privaten Gespräch wieder.

Bei dieser Unterredung mit dem Oberbefehlshaber der finnischen Armee handelt es sich um die wohl einzige Aufnahme, die nicht einen einstudierten Auftritt von Hitler wiedergibt. Und dieser klingt denn auch ganz anders als gewohnt. Die Stimme kratzt nicht, ist überraschend weich.

Man fragt sich daher, ob der Adolf Hitler, den man im Ohr und vor dem inneren Auge hat, gar nicht der wirkliche Hitler ist. War der Mann in echt ganz anders? Und wurde jahrzehntelang auch in den Kinofilmen ein falsches Bild transportiert, ja wirkt die Propaganda von Goebbels noch immer nach?

Dass der Führer ein Schauspieler sei, hat schon Charlie Chaplin bemerkt. Um den Tyrannen in seinem «Great Dictator» zu persiflieren, studierte der Komiker unermüdlich die «Wochenschauen», in denen Hitler vorkam. Eine Aufnahme von Hitler nach der französischen Kapitulation – der Führer steigt aus dem Eisenbahnwagen bei Compiègne und stampft freudig mit dem Fuss auf – hat sich Chaplin offenbar in Endlosschlaufe angeschaut: «Oh, du Dreckskerl», soll er ausgerufen haben, «du Hundesohn, du Schwein. Ich weiss, was in deinem Kopf vorgeht! Dieser Kerl ist einer der grössten Schauspieler, die ich jemals gesehen habe.»

Jahrzehntelang kein Kino-Hitler

Chaplin drehte den «Great Dictator» 1939/40. Später sagte er, dass er sich nicht über Hitler lustig gemacht hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, was in den Konzentrationslagern vor sich gegangen sei. In den Jahren nach dem Krieg kam es denn auch keinem bedeutenden Schauspieler in den Sinn, sich als Hitler-Darsteller zu exponieren.

«Der letzte Akt» (1955) von Georg Wilhelm Pabst war ein Misserfolg. Und bis sich das Mainstreamkino an Hitler heranwagte, vergingen Jahrzehnte. 1967 näherte sich Mel Brooks mit «The Producers» Hitler über die Hintertür: Zwei skrupellose Broadway-Impresarios hecken einen Plan aus, mit einem misslungenen Musical über das «Dritte Reich» an Geld zu kommen. Brooks machte die Nazis als Bühnenfiguren zum Schwank.

Die ernstzunehmende filmische Auseinandersetzung mit Hitler begann dann in den siebziger Jahren. Die Psychoanalyse war populär geworden, vielleicht fanden sich auch deshalb vermehrt Schauspieler, die die Berührungsängste gegenüber dem Bösen ablegten. Wer sich in eine verstörte Psyche einarbeiten wollte, musste ja brennen für die Rolle «Adolf Hitler».

Alec Guinness ging voran und spielte 1973 in «Hitler: The Last Ten Days» das Ende im Führerbunker nach. Wenn man sich seinen hitzköpfigen, kreidebleichen Hitler mit dem fein gestutzten Zahnbürstenbart heute ansieht, wähnt man sich fast in einer Parodie.

Gleiches gilt für die Interpretation des jungen Anthony Hopkins in «The Bunker» (1981), einem Film, der sich ebenfalls mit Hitlers persönlichem Endkampf auseinandersetzt. «Der Krieg ist nicht verloren! Der Krieg wird nie verloren sein!», schreit mit hochrotem Kopf der Hopkins-Hitler und schwingt vor Aufregung den Ellbogen.

Etwas mehr Nuancen hatte dann Derek Jacobi drauf, der im TV-Mehrteiler «Inside the Third Reich» von 1982 den Führer verkörperte. Auch Ian McKellen legte seinen Hitler in «Countdown to War» von 1989 weniger karikiert aus.

Bruno Ganz und die Spaghetti

Der Trend bei der Hitler-Darstellung ging zu mehr Naturalismus. Nachdem das Kino Hitler erst als ein Monster von einem anderen Planeten dargestellt hatte, wurde aus ihm sukzessive ein Monster aus der Nachbarschaft.

Am Ende dieser Entwicklung sass dann Bruno Ganz vor einem Teller Spaghetti al Pomodoro. «Der Untergang» legte es sozusagen letztinstanzlich auf eine Vermenschlichung Hitlers an. Ein für alle Mal sollte Hitler als Mensch gezeigt werden, das war der (einzige) Gedanke des Drehbuchautors/Produzenten Bernd Eichinger und des Regisseurs Oliver Hirschbiegel.

Nun war Adolf Hitler tatsächlich ein Homo sapiens und nicht etwa ein Reptiloid, insofern war gegen das Vorhaben nichts einzuwenden. Dass Bruno Ganz zur Vorbereitung einen Nachmittag lang in einer Zürcher Praxis Parkinsonkranke studierte, um Hitlers Nervenleiden authentisch darzustellen: Auch daran ist nichts verkehrt. Bruno Ganz hat den späten Hitler als armseligen Wurm sicher gut getroffen. Handwerklich war das tipptopp. Trotzdem war der Film fürchterlich egal.

Indem er mit grösstem Fleiss auf Hitler, und nur auf Hitler, fokussierte, lieferte «Der Untergang» ungewollt eine überraschende Erkenntnis: Hitler bringt’s nicht. Denn er gibt gar nicht viel her für einen Film. Er war zu einfältig. Als Person war Hitler uninteressant.

Jeder angehende Drehbuchautor weiss, woraus ein guter Filmbösewicht gemacht sein muss. Er muss zwiespältig sein. Er tut Schlechtes, aber aus einem Antrieb heraus, den man noch nachvollziehen kann. Bestenfalls hat er sogar redliche Motive. Ein Bösewicht ist eine tragische Figur. Hitler war weniger tragisch als hohl.

Über sein vorgebliches Charisma kann man streiten. Vielleicht verdankte er es tatsächlich dem Geschick von Goebbels, dass er die Massen erreichte. Jedenfalls war er neben seiner beispiellosen Niederträchtigkeit, seinem Grössenwahn und seinem Machtkomplex nicht zuletzt: ein affiger Spiesser, den man nicht einmal zwei Stunden auf der Leinwand aushält. Mit Adolf Hitler allein ist kein Kino zu machen.

Das Kino muss vielmehr etwas aus ihm machen. Anders geht es gar nicht. Nur immer tiefer in Hitler hineinleuchten zu wollen, führt ins Nichts. Das Versteifen auf eine letztgültige Wahrheit ist im Spielfilm selten eine gute Idee. Filme, die behaupten, «so war es», stehen schnell auf verlorenem Posten. Das wird auch bei «Führer und Verführer» allzu deutlich.

Denn wenn hier vollmundig proklamiert wird, die Nazis hätten tatsächlich «so oder so ähnlich» gesprochen, tun sich bald Fragen auf: Hat etwa Hitler wirklich gegenüber Himmler klar und deutlich gesagt: «Ich befehle, alle Juden zu vernichten»? Oder hat er das eben gerade nie befohlen, und er musste es auch gar nicht? Die Frage, wie linear es zum Holocaust kam, wie viel Verantwortung jeder einzelne Nazi trägt, beschäftigt seit Jahrzehnten die Historiker. Hier setzt sich ein Film einfach über den Diskurs hinweg.

Von Tarantino hat man mehr

Das zeigt exemplarisch, wie tückisch Hitler als Sujet im Film ist. Aber das Kino kann auch sehr gut mit dem Führer fertigwerden. Es muss es nur wollen. So wie Quentin Tarantino, der sich genau dies vorgenommen hat: mit dem Mann fertigzuwerden, ja ihn fertigzumachen. Von seiner rabiaten Rachephantasie «Inglourious Basterds» hat man entschieden mehr als von einer beflissenen Geschichtsübung. Denn Tarantino hatte die Chuzpe, Hitler über den Haufen zu schiessen.

Während in «Führer und Verführer», aber auch in «Der Untergang» der Tod des Tyrannen unverständlicherweise ausgespart wird (was der Mythenbildung Vorschub leistet), schreibt Tarantino die Geschichte ganz ungeniert um. Die Sturmgewehrsalven von jüdischen Rächern metzeln Hitler nieder. Das Filmblut, das Ketchup, spritzt in Fontänen. Man muss das gar nicht überanalysieren: Das Bild ist einfach besser als Hitler mit Tomatensauce.

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