Seit ihrem spektakulären Debüt bei den Salzburger Festspielen steht die deutsche Dirigentin besonders im Scheinwerferlicht, vielleicht auch bald am Lucerne Festival. Bei ihrem profilierten Debüt in Zürich zieht sie jetzt die Zügel ungewöhnlich straff.

Der Zeitpunkt, als ihr steiler Aufstieg begann, lässt sich genau benennen: Im Sommer 2020, während der schlimmsten Lockdown-Phasen in Europa, dirigierte Joana Mallwitz an den Salzburger Festspielen die Premiere einer Mozart-Oper. Sie war die erste Frau in der damals genau hundertjährigen Geschichte der Festspiele, der eine solche Verantwortung übertragen wurde. Die fast einhellige Begeisterung über dieses Debüt war auch eine Anerkennung dafür, dass eine Künstlerin hier mit ihrem Team so mutig dem damals grassierenden Kulturkahlschlag trotzte. Seither sind die Scheinwerfer der Musikwelt auf Mallwitz gerichtet, und sie hat diese Jahre unter Beobachtung glänzend genutzt.

Längst hat sie die lehrreiche «Ochsentour» an mittleren Stadttheatern hinter sich gelassen und ihren Einstand bei vielen führenden Orchestern gegeben. Seit Herbst 2023 ist sie Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin, und das Ende der Fahnenstange dürfte damit keineswegs erreicht sein – das ehemalige Ostberliner Schauspielhaus ist nämlich auch die Wirkungsstätte von Sebastian Nordmann, dem designierten Intendanten des Lucerne Festival. Es liegt auf der Hand, dass man nach 2026 auch dort häufiger von Mallwitz hören wird. Dementsprechend gross war das Interesse an dem Debüt, das sie nun beim Tonhalle-Orchester Zürich gab.

Schreckmomente

Dabei beweist sie – und das ist für solch ein erstes Gastengagement nicht selbstverständlich – gleich zu Beginn Mut. Sie dirigiert die Schweizer Erstaufführung des neuen Violinkonzerts von Bryce Dessner, der in der zurückliegenden Saison den «Creative Chair» der Tonhalle innehatte. Allerdings kann Mallwitz bei dem halbstündigen Werk noch nicht allzu viel von ihrem Können zeigen. Man hört bereits – und sieht es auch an ihrem punktgenauen Schlag –, dass sie eine äusserst präzise Koordinatorin ist. Genau das verlangt das Stück aus dem Geist der Minimal Music, es lebt von ausgedehnten motorischen Passagen – und vom Charisma des finnischen Geigers Pekka Kuusisto, dem Dessner das Konzert in die agilen Finger komponiert hat.

Viel offensiver agiert Mallwitz nach der Pause bei Gustav Mahlers 1. Sinfonie. Gleich der berühmt gewordene Beginn («wie ein Naturlaut») mit seiner Vorwegnahme moderner Geräuschklänge ist aufschlussreich, denn zunächst geht da einiges schief. Einsätze verrutschen, das magische Funkeln der Violinen stellt sich nicht ein – offenbar brauchen Orchester und Dirigentin einige Schreckmomente, um zueinanderzufinden. Doch schnell ist klar, wer die Zügel in der Hand hat. Unter Mallwitz’ straffem Schlag fasst die Musik Tritt, die schwärmerische Welt der «Wunderhorn»-Lieder entfaltet sich prächtig.

Kraftvoller Kontrapunkt

Doch zum genussvollen Zurücklehnen lässt Mallwitz dem nun hellwachen Orchester kaum Zeit. Immer häufiger setzt sie Akzente und überraschende Zäsuren, bremst Passagen bis zum scheinbar traumverlorenen Stillstand ab, um sich schliesslich in einen derartigen Temporausch zu steigern, dass es schon nach dem Ende des ersten Satzes Zwischenapplaus gibt. Dieses Wechselbad setzt sich in den folgenden drei Sätzen fort, und das wilde Auf und Ab dürfte ganz im Sinne des jungen Mahler sein, der nichts so sehr verachtete wie die Konvention.

Mallwitz setzt damit einen kraftvollen Kontrapunkt zu der in jüngster Zeit immer glatter und gefälliger werdenden Mahler-Interpretation. Was noch fehlt, ist ein wenig Gelassenheit im Zusammenwirken mit dem Orchester, das durch Paavo Järvi einen deutlich weniger autoritären Dirigierstil gewohnt ist und zeitweise etwas überrumpelt wirkt. Aber da kann sich einiges entwickeln. Nach diesem profilierten Debüt darf man auf eine baldige Wiedereinladung hoffen.

Wiederholung des Konzerts am 5. Juli, Tonhalle Zürich, Grosser Saal.

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