Dienstag, Oktober 8


Zeitgemäße Schönheit

Gerade blühen die Rosen. Aber tun sie das nicht immer? Schon, moderne Rosenzüchtungen bilden immer wieder neue Blüten, vom Frühjahr bis in den Spätherbst. Doch heimische Wildrosen blühen nur einmal im Jahr, und zwar jetzt.

Blütenblätter wie aus feinster Seide, die sich grazil nach aussen wölben und immer neue, ähnlich zarte Lagen zum Vorschein kommen lassen. Solche gezüchteten Rosenblüten kennt jeder. Sie sind pure Romantik. Bei einem Strauss kann man mit ihnen nichts falsch machen, und im Garten gelten sie als luxuriöses Highlight.

Warum also sollte man Wildrosen Aufmerksamkeit schenken? Oft werden sie übersehen oder gar nicht als Rosen erkannt, denn sie muten ganz anders an als die meisten klassischen Zuchtrosen. Mit ihren meist nur fünf Blütenblättern sind sie schliesslich betont unspektakulär. Aber nicht für Insekten. Aus der Blütenmitte erhebt sich bei Wildrosen ein dichtes Kissen aus Staubblättern. Die Bezeichnung ist irreführend, denn es sind feine, von Pollen gekrönte Fäden. Für Bienen und andere Insekten ist das eine Art Buffet.

Tierwelt bevorzugt Wildrosen

Gefüllte Blüten erschweren Insekten hingegen den Zugang zu Nahrung oder bilden gleich gar keinen Pollen. Der Zusammenhang erklärt sich, wenn man weiss, dass die zarten Blütenblätter, mit denen so viele gezüchtete Rosensorten wie vollgestopft scheinen, eigentlich gar keine solchen sind. Es sind mutierte Staubblätter. Mehr Blütenblätter bedeuten also weniger bis gar kein Pollenangebot. Das ist nicht nur schlecht für Insekten. Die Pflanze wird ultimativ steril, und auch Hagebutten fressende Tiere wie Vögel gehen dann leer aus.

Wildrosen sind also attraktiv für die Tierwelt. Aber auch Gartenbesitzern bieten sie ganz praktische Vorteile, denn sie sind äusserst widerstandsfähig gegen Schädlinge und Krankheiten. Auf Chemie kann man daher problemlos verzichten. Auch bei ihren Standortwünschen machen sie es Gärtnerinnen und Gärtnern leicht. Viele der mehr als 300 Wildarten sind an schwierige Bedingungen, wie etwa Halbschatten und nährstoffarmen Boden, angepasst.

Wenn die Wildrosen nur öfter blühen würden! Aber warum konzentriert sich eigentlich immer alles auf Blüten? Rosen haben auch Blätter. Es klingt absurd, das herauszustellen, aber seien wir ehrlich: Meist nehmen wir das Grün um die auffälligen Blüten kaum wahr. Dabei gibt es viele Rosenarten, deren filigrane, manchmal an Farnwedel erinnernde Blättchen besonders reizvoll sind. Auch unterschiedliche Farben finden sich beim Rosenlaub. Rosa glauca (Hechtrose) trägt zum Beispiel überraschend bläuliche Blätter.

Dornen sind nicht nur zur Abwehr, sondern auch Kletterhilfen

Dass Rosen zudem Dornen haben, daran muss man nicht erinnern. Der Kontrast zwischen den schmerzhaften Wunden, die sie verursachen können, und den unschuldig weichen Blütenblättern ist schliesslich eine oft bemühte Analogie in der Poesie. Aber wer weiss schon, dass Dornen den Rosen nicht nur zur Abwehr von Fressfeinden dienen, sondern auch als Kletterhilfen? Wie Haken sind sie dann geformt.

Aber es gibt auch Rosendornen, die sind einfach schön. Geradezu spektakulär leuchten die frischen, roten Dornen der Rosa omeiensis f. pteracantha, die auf Deutsch etwas verwirrend Stacheldrahtrose heisst.

Klassische Rosen sind so allgegenwärtig, dass ihnen nicht nur etwas Langweiliges, sondern geradezu Altbackenes anhängt. In ihrer wilden Form wirken Rosen jedoch plötzlich frisch und zeitgemäss, nicht nur wegen ihres ökologischen Wertes. Man braucht übrigens keinen Garten, um Wildrosen zu geniessen. Kleinwüchsige Arten fühlen sich auch im Topf auf dem Balkon wohl. Und dort hat man sogar besonders gut Gelegenheit, die Details der Pflanze zu würdigen.

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