Der 33-jährige Londoner Will Gordon interpretiert im soeben eröffneten Grand Hotel Belvedere in Wengen die alpine Küche neu: Lokale Aromen feiern saisonale Zutaten und nähren Herz, Bauch sowie Verstand.

Das Tempo der Wengernalpbahn stimmt einen auf den Besuch im Bergdorf ein. Wie die Zahnradbahn gemächlich Höhenmeter gewinnt und durch die Postkartenlandschaft tuckert, merkt auch der Geist schnell: Hier kommt rauf, wer runterkommen will. Neu kann man sich dazu im frisch renovierten Grand Hotel Belvedere einquartieren. In der Lobby steht dort der Welcome Drink beim Cheminée bereit. Der Alpentee mit Ingwer und einem Schuss Zitrone wärmt von innen, das knisternde Feuer von aussen.

Die französische Hotelkette Beaumier kaufte der einheimischen Familie Zinnert den Wengener Hof und das Grand Hotel Belvedere ab. Direkt am Waldrand wurden die beiden Häuser in den letzten drei Jahren komplett renoviert. Eine «Sleeping Beauty» nennt der General Manager Lorenz Maurer das Hotel. Selbst aus dem Kanton Bern präsentiert er das Haus mit grossem Enthusiasmus und Heimatstolz. Nach dem Soft-Opening vom Haus Waldrand im Dezember 2024 wird im Mai 2025 nun auch das Grand Hotel Belvedere eröffnet.

Während sich die Nacht über das Bergdorf legt, werden die dicken Wollvorhänge zum Restaurant Waldrand zurückgezogen und erste Vorspeisen serviert. Geröstetes Sellerie-Carpaccio mit Wildpilz-Tapenade oder Egli-Pâté mit Tomaten-Focaccia und Alpenkräuter-Wallnusspesto. Es liegt eine freundliche Melodie in der Luft. Dafür ist auch der Executive Chef Will Gordon zuständig. Freundlich, aufmerksam und doch sehr easy-going erscheint er am Tisch und erkundigt sich, wie es schmeckt.

«Lorenz Maurer gibt mir eine grosse Chance», sagt der 33-Jährige. Die beiden kamen als eingespieltes Team vom «The Cambrian» in Adelboden nach Wengen. Gordon nun als Chef über zwei Restaurants: Waldrand und Brasserie Belvedere. Für ihn ein Glücksfall. «Hier kann ich mich voll entfalten», freut sich der Engländer. «Die Gerichte sind eine Art kulinarisches Spiegelbild von mir.»

Balance von Fleisch bis vegan

In der Hotelküche brät er Fleisch auf den Punkt, privat kocht der gebürtige Londoner aber vegan. Die gesundheitlichen Probleme seiner Mutter haben ihn vor Jahren inspiriert, nachzuforschen, wie die pflanzliche Küche die Gesundheit positiv beeinflussen könnte. Und blieb dabei – ohne Dogma und mit viel Menschenverstand. «In meiner Freizeit bin ich oft in Italien und kann gar nicht anders, als eine Pizza Margherita zu essen», schmunzelt er. «Es geht nicht um Verzicht, sondern um Balance und Bewusstsein.»

Gesund und vital soll uns Essen machen, die Tiere gut gehalten und dem Planeten Sorge getragen werden. Die Hälfte des Menus ist vegetarisch oder vegan, der Rest sind Gerichte mit Fisch und Fleisch. «Es soll für alle spannend sein – egal ob vegan oder nicht.» Entscheidend ist die Zubereitung. «Wenn ich schon Fleisch koche, dann muss ich es mit der gleichen Kreativität tun, wie ich es beim Gemüse mache.»

Gelernt hat er es in seinen Lehrjahren beim britischen Sternekoch Gary Rhodes und im Zwei-Sterne-Lokal Sat Bains in Nottingham, wo die Jahreszeit strikt den Takt in der Küche angab. In Wengen hat er nun seine eigene Truppe von zehn Köchen. «Es sind vor allem Italiener, einer kommt aus Südamerika, aber leider niemand aus der Schweiz», seufzt Gordon. Gerne hätte er auch mit helvetischen Talenten das Ribelmaishuhn aus dem Rheintal neu interpretiert.

«Für das Restaurant Waldrand wollten wir ein Schnitzel machen und haben uns überlegt, wie wir aus dem Ribelmaishuhn ein neues Schnitzelgericht kreieren können.» Die maisgefütterten Hühner werden dazu entbeint, mitsamt Haut über Nacht mariniert, mit japanischen Pankobröseln paniert und in Butterschmalz gebraten. Die Zubereitung erfordert einiges an Geduld und Sachverstand. «Ein Huhn zu entbeinen ist eine tolle Fähigkeit, die ich jungen Köchen beibringen kann», resümiert Will Gordon. Serviert wird das Schnitzel mit Spiegelei, Sardellen, Kapern, Petersilie und Zitrone als Dinner für zwei Personen. Und führt zu Tisch übergreifende Gespräche über Aroma und Fleischqualität.

Das Essen hier fühlt sich an wie ein Besuch bei Freunden. Es gibt vegane Austernpilz-Shawarma oder Älplermagronen mit Gruyère-Käse. «Die Forelle müsst ihr unbedingt probieren», sagt Gordon, bevor er wieder in der Küche verschwindet. Sie wird gegrillt, mit Salsa Verde bestrichen und karamellisiertem Zitronensaft beträufelt. Es sind Gerichte, die man einfach teilen kann, aber nicht muss. Und wer will, kann sich das Tiramisu als «Bettmümpfeli» mit auf das Zimmer nehmen.

Das Rezept von Will Gordon:

Für Eleganz und auch ein bisschen Aufregung soll ab dem 6. Mai das Menu in der neuen Brasserie Belvedere sorgen. «Unsere Bauern liefern uns erstklassiges Rindfleisch, daraus machen wir eine grosse Pastete, schneiden sie am Tisch auf und servieren sie mit einer luftigen Trüffel-Hollandaise.» Die Italiener im Team lassen es sich nicht nehmen, täglich eine Fülle von frischer Pasta zu produzieren. Die Carbonara-Ravioli mit flüssigem Eigelb sollen beim Gast für Freudenmomente sorgen. Oder das vegane Schokoladenmousse, das mit Creme Chantilly am Tisch angerichtet wird. Diese Art von Servieren verbindet die Küche mit dem Gast und ist gleichzeitig eine Hommage an diesen Ort, der seit jeher eine Brasserie war.

Natur als Frischeparadies

Für die Küche muss mit der Zahnradbahn alles auf 1275 Meter über Meer transportiert werden. Umso bedachter werden Zutaten bestellt und verwertet. 80 Prozent aller Produkte kommen aus einer Entfernung von maximal 100 Kilometern nach Wengen. Die Forellen werden im rund 80 Kilometer entfernten Bremgarten gefischt, Milch und Fleisch von lokalen Bauernhöfen geliefert. Der Weisswein reift an den Sonnenhängen von Spiez am Thunersee. «Alle zwei Wochen werden Zitrusfrüchte, Avocado und Kaffee aus Sizilien geliefert.»

Mehr braucht Gordon für seine Küche nicht, denn eigentlich sind die Wälder und Felder der Umgebung sein Frischeparadies. Er reibt sich ungläubig die Augen. «Ich war mit meinem Team in Interlaken Baumnüsse sammeln. Wir konnten es gar nicht glauben, wie reich die Beute und wie gut die Baumnüsse waren.» Die Wildsammlung ist ihm Leidenschaft und Pflicht gleichermassen. Wenn ihm die Wälder Beeren, Kräuter und Pilze hergeben, will er sie in seinen Gerichten feiern. Und sobald die Natur bereit ist, nimmt er Gäste in die Wälder mit, um Pilze und Kräuter zu sammeln und sie später gemeinsam in der Küche zuzubereiten.

Gericht fängt im Boden an

Die Freude und Sorge zur Natur reicht weit über die Zubereitung hinaus. «We are going full circle», freut sich Gordon: «Wir versuchen, jedes Produkt vollständig zu verwerten.» Ein Blick in die grüne Tonne zeigt, dass einzig der Rüstabfall dort landet und durch das Kompostieren zu 90 Prozent komprimiert wird. «Sobald der Garten gepflanzt ist, wird der Kompost dem Boden zugeführt und der Kreislauf geschlossen.» Der Culinary Director zuckt kurz mit den Schultern: «Logisch, oder? Denn jedes Gericht beginnt eigentlich im Boden.»

Gordon ist nicht nur Koch, sondern im Herzen auch Gärtner. Als junger Mann arbeitete er im Dschungel von Costa Rica auf einer Permakultur-Farm. Pflanzen in ihrem selbstregulierenden Ökosystem ohne grosses Zutun wachsen zu sehen, war für ihn ein Heureka-Moment. «Ich habe im Garten ein tieferes Verständnis für die Produkte und ihre Gezeiten entwickelt.» Eine Erfahrung, die ihm auch in Wengen zugute kommt. Zwar zeigt sich der Frühling hier noch zaghaft, aber bald schon spriessen die ersten Kräuter im Hotelgarten, in dem das Team die Zutaten für ihre Gerichte ernten wird.

Ein Rezept von Will Gordon:

So funktioniert also Will Gordons empathische Alpenküche. Zum holistischen Kreislauf gehört auch der sorgsame Umgang mit den Menschen. Der junge Brite hält kurz inne und meint: «Ich bin von Natur aus sehr freundlich und liebe es, Menschen zu helfen, ihr Potenzial zu entfalten. Dazu ist es wichtig, dass wir einander in der Tiefe verstehen», schlägt er einen philosophischen Ton an. «Nur so können wir Empathie füreinander empfinden.»

Noch bevor der Herd am Morgen angestellt wird, setzt sich das Team bei einer Tasse Kaffee zusammen und schaut, wo jeder gerade steht. «Wir öffnen einen Safe Space – einen Raum, in dem jeder sagen kann, wie es ihm gerade geht und was ihn beschäftigt.» Was nach Küchentisch-Psychologie tönt, ist für ihn der entscheidende Erfolgsfaktor im Teamwork. «Wenn ich weiss, dass jemand eine Herausforderung zu meistern hat, kann ich ihn bei der Arbeit unterstützen.»

Nur einmal gab es schier einen Konflikt, als an einem veganen Tiramisu herumstudiert wurde. «Es war aussichtslos. Die Italiener in meinem Team kennen hier kein Pardon. Sie machen es nur nach Originalrezept!»

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