Freitag, August 22

Der amerikanische Filmstar erklärt beim Gespräch in Locarno, wie er sich Rollen annähert. Und er erteilt gleich eine kleine Lektion darin.

Unverkennbar ist die Stimme, dieses Timbre, leicht schnarrend und doch voll. Die mysteriöse Aura jedoch, die Willem Dafoe auf der Leinwand oft umgibt, weicht im Zwiegespräch: Der amerikanische Schauspieler, seit wenigen Wochen siebzigjährig, gibt sich überaus freundlich und zugänglich an diesem Donnerstagnachmittag in Locarno. In wenigen Stunden wird er auf der Piazza Grande mit dem spanischen Regisseur Miguel Ángel Jiménez «The Birthday Party» präsentieren. Darin gibt er einen Milliardär namens Marcos; bei dessen extravaganter Party für die Tochter auf seiner griechischen Privatinsel tun sich Abgründe auf.

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Dafoe gehört nicht zur Sorte von Schauspielern, die sich darin gefällt, ihre Filmfiguren vor den Medien ausführlich zu charakterisieren. In der Pressekonferenz vor dem Interview darum gebeten, hat er entgegnet: «Ich werde Marcos nicht erklären, ich spiele ihn ja — I do him». Die einzige richtige Antwort auf Fragen dieser Art.

Sein Herz verlor Willem Defoe einst ans Theater, seinen Ruhm verdankt er dem Film. Sein Palmarès säumen Namen grosser Regisseure, wie David Lynch, Martin Scorsese, Lars von Trier, und Meilensteine der Kinogeschichte, von «Platoon» über «Antichrist» bis zu «Poor Things». Er spielte Jesus und van Gogh, einen Vampirjäger ebenso wie einen Vampir. Selbst in Nebenparts wirkt er prägend, ohne aufdringlich zu sein. In über 150 Filmrollen hat er meist das sogenannt Gute verkörpert, im kollektiven Gedächtnis aber schlummern vor allem seine Bösewichte.

Willem Dafoe, Sie leben mit Ihrer Frau nicht weit von Locarno, in Rom. Was ist das Beste an Italien?

Die Work-Life-Balance, zumindest in meinem Umfeld. Ich habe eine Wohnung im Stadtzentrum, verbringe aber die meiste Zeit auf unserem Bauernhof etwas ausserhalb.

Sie halten es wie die Philosophen der italienischen Renaissance: Sie fanden die Vita contemplativa auf dem Land und die Vita activa in den Städten.

Ah, das wusste ich nicht, aber genau das tue ich. Oh, Sie haben eine Tasche des Filmfestivals Venedig! Von welchem Jahr ist die?

Das weiss ich nicht mehr genau, aber lassen Sie uns die nur zwölf Gesprächsminuten für Sie nutzen. Sie schaffen etwas, was den wenigsten in Ihrem Beruf gelingt: Sie verbinden eine enorme Vielseitigkeit mit hoher Wiedererkennbarkeit. Wie erreichen Sie das?

Die Vielseitigkeit der Rollen und Filme ergibt sich automatisch: aus meiner Neugierde für viele Dinge, die mein Antrieb ist, bei der Arbeit wie im Leben. Ich will möglichst viel Verschiedenes machen. Das sagt aber nichts über die Qualität aus. Ich unterscheide zwei Arten von Schauspielern: Manche haben eine wunderbare Persona, um die herum man den Stoff bauen kann, andere kommen zum Material, und dieses formt sie. Diesen Weg bevorzuge ich, denn ich sehe die Schauspielerei als Abenteuer. Gleichzeitig sind meine Stimme und mein Gesicht ziemlich markant. Ich mache kaum Experimente mit Akzenten oder veränderter Nase. Aber manchmal mache ich auch so etwas.

Zum Beispiel für David Lynchs «Wild at Heart» von 1990: Ihr Bobby Peru mit verkümmertem Gebiss verfolgte mich in meine Albträume.

Mich auch. Und mitunter beflügelt so etwas Äusserliches entscheidend die eigene Imagination. Mit jenem Gebiss im Mund konnte ich diesen nicht mehr schliessen. Ich wollte mich sofort mit allen Leuten anlegen und sie quälen, es machte mich zu einer Art wildem Hund. Machen Sie das gleich einmal. Nein, nicht schliessen, öffnen Sie den Mund! Das verändert etwas.

Ich spüre es, ja. Es scheint meine Persönlichkeit ein bisschen zu verändern. Fragen Sie sich angesichts von weit über hundert gespielten Filmrollen manchmal, wer Sie selbst wirklich sind?

Nicht wirklich. Ich bin überzeugt, dass die Persönlichkeit flexibel ist. Sie für fix zu halten, ist eine Illusion. Und häufige Schauspielerei fördert diese Erkenntnis: Um in eine Rolle zu schlüpfen, muss man bis zu einem gewissen Grad die Vorstellung davon aufgeben, wie man selbst ist und denkt, auch die eigenen Vorlieben. Ich habe diesen Prozess oft genug vollzogen. Hat man es einmal erkannt, lebt es sich viel freier, man kann das Leben und seine Wunder geniessen. Und je weniger man versucht, eine Identität zu bewahren und zu beschützen, desto sensibler und hilfreicher kann man gegenüber sich und anderen sein.

Sie betonen in Interviews, eigentlich ein ganz normaler Typ zu sein. Halten Sie sich tatsächlich für nichts Besonders?

Was ich weiss, ist einzig: Ich vermag mich voll und ganz in ein Projekt zu geben. Das ist mein Talent. Aber ob ich darüber hinaus speziell bin? Ich weiss es nicht. Ich habe gefunden, was ich zu tun liebe. Also hinterfrage ich es nicht.

Welchen Aufgaben würden Sie diese Hingabe widmen, wenn Sie die Schauspielerei nicht gefunden hätten?

Vielleicht der Beziehung zur Natur. Hobbys jedenfalls habe ich keine.

Gärtnern vielleicht?

Das ist kein Hobby, es ist das Leben! Ich pflanze, was ich esse.

Wie unterscheidet sich die Vorbereitung auf die Rolle des fiktiven Milliardärs Marcos von der für Vincent van Gogh?

Man muss bei jeder dieser Aufgaben den Schlüssel finden, um in sie hineinzukommen. Bobby Peru in «Wild at Heart» war eine grossartige Rolle, aber ich musste sehr wenig tun, sie lag in meiner Imagination bereit. Für andere muss man viel lesen und studieren, etwa für jene von van Gogh. Der Schlüssel zu dieser Rolle war das Malen: Ich lernte es, und das eröffnete mir selbst einen anderen Weg, zu sehen. Zu einer Figur wie Marcos hingegen finde ich, indem ich in seine Familie eintauche, ich umarme Griechenland und einen Lifestyle, zumindest für einen Moment. Auch dabei beginne ich, mich selbst anders zu sehen.

Es geht um einen Mann mit enorm viel Macht und viel Geld, der glaubt, damit alles erreichen zu können. Ein bisschen wie Donald Trump vielleicht. Aber Sie sind es sicher müde, über ihn zu reden.

Ich will überhaupt nicht über ihn reden, und dieser Vergleich hinkt stark. Das sind zwei völlig verschiedene Figuren. In diesem Film geht es um die Natur des Menschen, vor allem des Mannes. Ich habe keine Sekunde an Trump gedacht dabei. Sowieso versuche ich so wenig wie möglich an ihn zu denken.

In der Schweiz sprechen wieder einmal alle über ihn, wegen der Einfuhrzölle. Sie selbst haben Trump vor Monaten kritisiert, als er den Theaterbetrieb des Kennedy Center in Washington übernehmen wollte. Wie hat sich die Situation dort entwickelt?

Ich habe das nicht weiterverfolgt. Er sagt so vieles und tut es dann nicht. Das Ganze ist fürchterlich, für uns und für die Welt. Aber er wird sich nicht halten.

Nichts hält sich ewig auf dieser Welt.

Gott sei Dank!

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