Sonntag, November 24

Wenn Wu Tsang am Schauspielhaus den Klassiker inszeniert, erwartet man mediale Vielfalt und thematische Innovation. Sie wird dem Anspruch gerecht. Und enttäuscht dennoch.

Man kennt das ja! Es rattert und schüttelt im Flugzeug, ein Signal erinnert daran, die Gurten zu schliessen. Der Stoiker im Nebensitz mag lächelnd weitertippen auf seinem Laptop. Aber selbst die geduldigen Stewardessen beschleunigen plötzlich ihren Schritt. Uns erinnern die Turbulenzen daran, dass wir vom Funktionieren des Flugzeugs abhängig sind wie von einem Schicksal. Und machtlos hoffen wir, aus dem Bauch der Maschine bald befreit zu werden wie durch eine Wiedergeburt.

Bei Shakespeare indes verlässt das Glück die Menschen. Im «Sturm» des grossen Dramatikers erleiden sie Schiffbruch. In ihrer Adaption des Klassikers verlegen die Regisseurin Wu Tsang und ihre Gruppe Moves By The Motion die Katastrophe nun zwar in den Himmel, was zeitgenössischen Erfahrungen besser entspricht. In der Konsequenz ist das allerdings unerheblich. Wichtig ist nur, dass König Alonso, der sich auf einer Rückreise von Tunis nach Neapel befand, auf einer kleinen Insel notlanden muss – so wie auch sein Bruder Sebastian, der Sohn Ferdinand und die Herzogin Antonia.

Auf der Insel werden die Verunglückten von Prospero bereits erwartet. Prospero ist der rechtmässige Herzog von Mailand. Die Schwester Antonia, der Prospero einst die politischen Geschäfte anvertraute, um sich seinen Büchern und seinen hehren Interessen zu widmen, hat ihn vor zwölf Jahren mit der Hilfe von König Alonso entmachtet und zusammen mit seiner Tochter Miranda in einem Kahn den Wogen des Meeres überantwortet.

Ariel ist eine Roboterin

Vater und Tochter konnten sich just auf jene Insel retten, auf der sich auch die Schiffbrüchigen wiederfinden. Prospero, von Sebastian Rudolph als launiger Guru mit langem, weissem Haar dargestellt, regiert unterdessen nicht nur das kleine Eiland. Dank seinem Wissen und Können ist er auch Herr über Geister und Gnomen – namentlich nimmt er die Hilfe von Ariel in Anspruch. In der Zürcher Inszenierung, die Shakespeares märchenhaftes Theaterstück in eine Fantasy- und Science-Fiction-Geschichte verwandelt, manifestiert sich der Geist als schlanke, dienstfertige Roboterin (Tabita Johannes).

Tatsächlich hat Ariel den Sturm entfacht, um Prosperos Feinde auf die Insel zu zwingen. Er will sich an ihnen rächen mit seinem Zauber, der nun nicht länger auf Wissenschaft, Kunst und Alchemie basiert als vielmehr auf Codes, Algorithmen und digitaler Intelligenz. Kein Wunder, funkeln in der steten Dämmerung der Insel, über der bisweilen ein Mond erscheint, aber nie eine Sonne, grosse, gigantische Speicheranlagen. Vielleicht ist die Inselwelt überhaupt nur eine Spiegelung synthetischer Synapsen, muss man sich in der Zürcher Inszenierung fragen. Zumindest aber basiert die Macht von Prospero auf dem suggestiven Spiel auf der Klaviatur der Illusionen.

Illusion und Suggestion

Auch der Sturm war bloss eine virtuelle Katastrophe. Die Schiffbrüchigen erleben diese zwar als Albtraum und Trauma; umso mehr, als sie eine Zeitlang vom Tod ihrer Verwandten und Weggefährten ausgehen müssen. Für das Publikum hingegen, das früh vertraut gemacht wird mit Prosperos Methoden, folgt aus der Dominanz von Suggestion und harmlosen Oberflächenreizen ein Mangel an Tiefgang.

Der Plot erweist sich als Geplätscher. Zumal sich auf der Insel, kaum haben sich die Reisenden etwas erholt von ihrem Schock, wieder ein menschliches Geplänkel von Intrigen und Beziehungen einstellt. Wenn Ferdinand, Prinz von Neapel (Sasha Melroch), Prosperos Tochter entdeckt, die fröhliche Miranda (Yèinou Avognon), packt ihn auch schon die Liebe. Und sofort wird diese erwidert. Nur Prospero steht dem jungen Paar zunächst noch im Wege, weil er glaubt, Ferdinand prüfen zu müssen.

Prüfen und überwachen müsste er jedoch vielmehr seine Tochter, die mit Prosperos Sklaven zusammen den Plan schmiedet, die Herrschaft des Vaters zu brechen. Die Zürcher Version weicht hier ab vom Original, das eigentlich eine Art revolutionäre Verschwörung von Caliban zusammen mit Alonsos Hofnarren und seinem Kellermeister vorsieht. Man hat damit Personal gespart. Aber das aufrührerische Verhalten der fröhlichen Miranda wirkt weder plausibel, noch generiert es Spannung. Dass Antonia eine Intrige gegen den König einfädelt, wirkt schon eher glaubwürdig, es entspricht ihrem schlechten Charakter. Als dann aber tatsächlich die Waffen gezückt werden, um Alonso im Schlaf zu töten, ist sofort Ariel zugegen, um das Attentat zu verhindern.

So schaut man dem Treiben in diesem langfädigen Stück oft etwas ratlos zu. Wu Tsangs Ziel scheint es zwar gewesen zu sein, ihren Shakespeare gegenwärtigen Sensibilitäten und Interessen angepasst zu haben. Aber weder im Stück selbst noch in der multimedialen Inszenierung, die oft mit Videoprojektionen arbeitet, finden sich zündende Ideen oder mitreissende Motive. Dass sich Prospero, angesteckt vom Mitleid, das ausgerechnet die vermenschlichte Roboterin mit seinen Feinden empfindet, zuletzt gnädig zeigt und auf Rache verzichtet, ist gewiss schön. Weil man aber durch keinen Konflikt aufgewühlt worden ist, ist einem die Versöhnung doch ziemlich egal.

Das Leben ist kompliziert

So kalt einen hier die Chemie menschlicher Beziehungen lässt, so sehr fasziniert immerhin die Konstruktion der Bühne (Nicole Hoesli, Nina Mader): Es handelt sich um einen Kegel, der auf unterschiedlichen Ebenen gedreht und geöffnet werden kann. Bald stellt er einen Berggipfel oder einen Grabhügel dar, bald einen Bunker oder eine Pyramide. Auf dem abschüssigen, felsigen Terrain der Inselkonstruktion sieht man die Protagonisten, um nicht zu stürzen, stets vorsichtig herumkraxeln. Als existenziell-dramatische Situation möchte man das nicht auslegen. Aber dass das Leben ganz schön anstrengend sein kann, ist damit sinnfällig gezeigt.

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