Donnerstag, März 20

SP, Grüne und AL finden: Werbeflächen heizen den Konsum an und schaden dem Klima. Der Stadtrat wehrt sich vergeblich.

Manche Werbeanzeigen sind aus dem Zürcher Stadtbild nicht wegzudenken. Etwa die vier übergrossen Schokoladentafeln an der Stützmauer beim Central. Seit den 1960er Jahren werben sie für «Chocolats Lindt» und sind ein beliebtes Fotosujet von Touristen.

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Werbung gehört zur geschäftigen Stadt Zürich dazu. Früh schon wurde sie aber auch reglementiert. 1928 nahm das Amt für Leuchtreklamen seine Arbeit auf, vergab Bewilligungen und kassierte Gebühren ein. Heimatschützer kritisierten zuvor das «Reklame-Unwesen», das aus dem «barbarischen Amerika» nach Europa und in die Schweiz überschwappe – und das es zu bekämpfen gelte.

Ein Jahrhundert später ist die Diskussion nicht viel weiter. Wieder – oder immer noch – ist Werbung in Zürich unter Druck. Diesmal von der Alternativen Liste (AL). Und die Kritik ist fundamental. Im Stadtparlament hat die linke Kleinpartei eine Motion eingereicht, die das Reklamewesen im öffentlichen Raum de facto verbieten will.

Erlaubt sein sollen laut AL nur noch Beschriftungen von Geschäften vor Ort, Werbung für lokale Veranstaltungen sowie unkommerzielle Angebote, politische Plakate und Informationen der öffentlichen Hand.

Die Argumente der AL gleichen jenen der Heimatschützer von damals: «Die Bevölkerung braucht keine ständigen Erziehungsbotschaften durch die finanzstarken, zu stetigem Umsatzwachstum gezwungenen marktwirtschaftlichen Akteure», schreibt die Partei in der Begründung ihres Vorstosses.

Werbung bringe zahlreiche «negative gesellschaftliche Folgen» mit sich. «Insbesondere heizt sie die Konsumkultur an.»

Der Konsument, das unmündige, hilflose Wesen. Dieses Bild vermittelte der AL-Sprecher Michael Schmid am Mittwochabend in der Debatte im Gemeinderat deutlich: «Werbung will uns manipulieren», sagte er. «Sie führt zu Überkonsum und verschandelt den öffentlichen Raum.»

Die SP als stärkste Kraft im Parlament unterstützte die Stossrichtung der Motion, verlangte aber eine Textänderung. Darin ist weiterhin von einer Reduktion der Reklamefläche die Rede, die angestrebt werden soll. Heute gibt es rund 3500 Werbeflächen auf öffentlichem Grund. Ausgeklammert hat die SP die genauen Bestimmungen. Diese sollen Stadt- und Gemeinderat erst nach vertiefter Prüfung definieren.

«Die Formulierung der AL ist zu starr», erklärte Anna Graff. Einig sei man aber darin, dass der öffentliche Raum heute durch Werbung «zu invasiv kommerzialisiert» werde, und das gehe nicht. Störend seien insbesondere digitale Werbeanzeigen mit «dynamischen Inhalten», die man immer häufiger antreffe, zum Beispiel an Tramhaltestellen. Diese sollen ganz verboten werden.

Die AL war bereit, die Textänderung anzunehmen. Auch die Grünen stellten sich hinter das Anliegen. Grossunternehmen wie Swiss, BMW und Gucci würden nicht zum Spass Plakate aufhängen, sagte Dominik Waser. Die Firmen verfolgten handfeste wirtschaftliche Interessen. «Sie wollen mehr Konsum – zum Schaden unseres Planeten.» Werbung sei nicht vereinbar mit den städtischen Klimazielen.

Die linke Mehrheit setzte sich durch, wenn auch denkbar knapp: mit 58 zu 57 Stimmen. Es gab mehrere Abwesende auf beiden Seiten des 125-köpfigen Rats. FDP, GLP, SVP, Mitte und EVP hätten die Gelegenheit gehabt, die Verbotsmotion zu verhindern.

Was die Mitte-rechts-Seite an Abstimmungsdisziplin vermissen liess, wertete sie mit angriffigen Voten auf. Sogar der Ratspräsident, der Grünliberale Guy Krayenbühl, schaltete sich ein. Nur drei Wörter hatte er für das linke Vorgehen übrig: «Willkommen in Pjongjang!» Tatsächlich wimmelt es in der nordkoreanischen Hauptstadt nicht von Werbeplakaten – aber es gibt dort auch sonst nicht viel Erfreuliches.

Patrik Brunner (FDP), selber Werber, sprach von einem «direkten Angriff auf die Freiheit in unserer Stadt» durch die linke Mehrheit. Werbung sei keineswegs Manipulation, sondern Information. Konsumenten seien nicht unfähig und dumm, wie das die linke Seite unterstelle. An den grünen Klimaaktivisten Dominik Waser gerichtet, meinte Brunner: «Obwohl die Swiss Werbung macht, sitzt du nicht im Flieger in die Malediven. Leider nicht!» Die Motion sei schlicht «eine weitere Schaufel Dreck auf unser Grab».

Nicolas Cavalli (GLP) erwähnte die rund 30 Millionen Franken, welche die Werbeflächen der Stadt und den Verkehrsbetrieben jährlich an Einnahmen bringen. «Das ist eine sichere Einnahmequelle, die wir nicht versiegen lassen sollten.» Wenn Plakate und Werbesäulen verboten würden, könnten sich bloss die Tech-Giganten freuen. Werbung werde dann noch stärker in die sozialen Netzwerke abwandern. Zudem schwäche man die innovative Werbebranche. Über 5500 Personen arbeiten in Zürich in der Werbung und der Marktforschung.

Stefan Reusser (EVP) wies darauf hin, dass Reklame schon heute stark reglementiert sei, etwa wegen des Jugendschutzes. Samuel Balsiger (SVP) nannte das Vorgehen von links – «diesen von der Realität abgekapselten Ideologen» – einfach nur «haarsträubend».

Leicht fassungslos verfolgte der zuständige Stadtrat André Odermatt (SP) die Debatte im Ratssaal. «Werbung gehört zur Stadt Zürich», sagte er mit Blick auf seine eigenen Leute. Sie habe eine lange Tradition und sei Ausdruck wirtschaftlicher Prosperität. Aus der Nachbarschaft und der Öffentlichkeit gebe es kaum Reklamationen. Das liege auch daran, dass die Auflagen für Werbetreibende in der Stadt hoch seien. «Wir haben ein strenges Regime im Vergleich zu anderen europäischen Grossstädten.»

Vorweg nahm Odermatt, dass man bis auf weiteres keine neuen digitalen Werbetafeln bewilligen werde. Auch wenn ihr Energiebedarf ausgewiesen klein sei. Ihr Anteil am Gesamtverbrauch der Stadt beträgt gerade einmal 0,07 Promille.

Dass man mit der Motion tatsächlich das Klima retten könne, bezeichnete Odermatt als «stark überspitzte Prognose». Der Stadtrat muss das Anliegen nun trotzdem angehen – gegen seinen expliziten Willen.

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