Montag, Oktober 14

In Winterthur durchwühlen Mitarbeitende des Tiefbauamts den Müll, um den Sündern auf die Spur zu kommen.

Dominic Bösch muss Handschuhe anziehen, damit er seine Arbeit machen kann. Er öffnet den überquellenden Abfallkübel an der Bushaltestelle Scheidegg, als ihm das durchsichtige Säcklein sofort auffällt. Es ist gefüllt mit Joghurtbechern, Mandarinenschalen, Papiertüchern, Verpackungen: typischer Hausmüll, illegal entsorgt.

In diesem Moment wird Bösch, Mitarbeiter der Abteilung Entsorgung in Winterthur, zum Abfalldetektiv. Er sucht in dem Säcklein nach Adressen oder Namen auf einem Brief oder Couvert, die einen Hinweis auf den Güsel-Sünder geben könnten. Ohne Erfolg. Auch in den mit Kehricht gefüllten Einkaufstüten, die Unbekannte neben den Abfallkübel gestellt haben, ist nichts zu finden.

Manchmal scheint es, als würden Leute ihren ganzen Hausrat loswerden. Windeln sind ein Klassiker, aber auch WC-Brillen, Laptops oder Sexspielzeug entdeckt Boesch im Abfall. Neuerdings, so hat er festgestellt, landet immer öfter Katzenstreu in Hundekotsäckli.

Bis zu dreimal täglich kommt die Entsorgung

Entsorgungs-Mitarbeiter wie Dominic Bösch verbringen immer mehr Zeit damit, Müll nach Beweismitteln zu durchsuchen. Ähnlich wie die drei fiktiven Mitarbeiter einer städtischen Kehrichtabfuhr in der SRF-Serie «Güsel. Die Abfalldetektive» mit Comedian Gabriel Vetter als Hauptdarsteller.

In «Güsel» untersucht ein Entsorgungs-Trio Abfallsäcke auch einmal mit dem Ultraschall, und anhand des Inhalts geben die Mitarbeitenden ein Täterprofil mitsamt Phantombild ab.

Die Serie spielt zwar in Schaffhausens unpopulärem Aussenquartier Herblingen, aber die Probleme sind die Gleichen wie in Winterthur: Die zweitgrösste Stadt des Kantons hat ein Abfallproblem. Zunehmend entsorgen Private ihren Kehricht an Bushaltestellen. Bei manchen Haltestellen macht er über die Hälfte des Abfallvolumens in den Kübeln aus, im Schnitt ist es etwa ein Drittel.

Die vermüllten Bushaltestellen sind ein Ärgernis für die Stadt. Beschwerden von Anwohnerinnen und Anwohnern sowie öV-Nutzern häufen sich. Und die Mitarbeitenden der Stadt müssen an neuralgischen Standorten zwei- bis dreimal täglich die Kübel leeren, damit sich keine Mini-Müllhalden bilden.

Die Unterschiede zwischen den Stadtgebieten seien frappant, sagt Thomas Miani, Teamleiter Maschinelle Reinigung beim Tiefbauamt. Im Villenviertel an der Rychenbergstrasse etwa müssen die Abfalldetektive nicht patrouillieren.

Prekär hingegen ist die Situation in Quartieren wie Oberwinterthur und Töss, dort also, wo anonyme Wohnblöcke dominieren und die Mieten tief sind. «Die Leute entsorgen ihren Müll illegal, um das Geld für die Gebührensäcke zu sparen», sagt Miani. 1 Franken 8o sind es für einen einzelnen 35-Liter-Sack.

Auch die Haltestelle Scheidegg in Winterthur Grüze, wo Dominic Bösch gerade den Abfall durchwühlt hat, ist berühmt-berüchtigt. Wenige Schritte entfernt steht ein trostloses Mehrfamilienhaus, das einen neuen Anstrich vertragen könnte. Auf der anderen Strassenseite beginnt die Industrie.

Dominic Bösch sagt: «Wenn ich mit meiner Tour fertig bin und wieder zurückfahre, sieht es hier schon wieder so aus wie am Morgen.» Bösch hat beschlossen, sich nicht darüber zu ärgern, sondern einfach seine Arbeit zu machen. Aber wenn jemand einen Kühlschrank im öffentlichen Raum abstellt, obwohl die nächste Recyclingstelle nur 50 Meter weiter entfernt liegt, dann wundert ihn das schon.

Ab und zu kommt es vor, dass Mitarbeitende des Tiefbauamts Abfallsünder inflagranti erwischen. Thomas Miani weiss: Dann kann es ungemütlich werden. «Viele Leute reagieren aggressiv», sagt er. Eine Intervention bringe aber ohnehin nichts. Die Leute würden ihren Müll dann einfach an der nächsten Bushaltestelle wegwerfen – um ein paar Franken zu sparen.

Erst eine Verwarnung, dann drohen bis 2oo Franken Busse

Interessant ist, dass es nicht nur grosse Unterschiede gibt zwischen den Quartieren, sondern auch zwischen den Städten. In Zürich wird das Entsorgen von Hauskehricht in öffentlichen Behältern gar nicht erst verfolgt, wie ein Sprecher gegenüber der NZZ sagt. Die meisten Stadtzürcher würden sich korrekt verhalten.

In Winterthur soll nun eine Plakatkampagne unter dem Titel «Hauskehricht ist Privatsache» darauf aufmerksam machen, dass Hauskehricht nicht öffentlich entsorgt werden darf. Die Frage ist nur, wie viel dieser Appell wirklich bringt.

Die Stadt investiert schon viel in saubere Aussenräume: Jedes Jahr werden Aktionen durchgeführt, um die Bevölkerung im Umgang mit Abfall zu sensibilisieren. So wurden am den Bushaltestellen etwa neue Kübel mit schmaleren Einwürfen aufgestellt. Seither ist es schwieriger, grosse Gegenstände darin zu entsorgen, aber die Abfallmengen konnten kaum reduziert werden.

Thomas Miani vom Tiefbauamt sagt, einige Leute wüssten tatsächlich nicht, dass sie etwas Illegales tun, wenn sie auf dem Weg zum Bus einen Beutel mit Müll wegwerfen würden. Vielen dürfte es aber durchaus bewusst sein. In den Säcken, die seine Kollegen öffnen, finden sich Briefe mit weggeschnittenen oder geschwärzten Briefköpfen.

Findet sich doch eine Adresse, wird sie der Stadtpolizei weitergeleitet. Wer zum ersten Mal erwischt wird, kommt mit einer Verwarnung davon. Wiederholungstäter müssen mit einer Busse von bis zu 200 Franken rechnen, ausgestellt vom Statthalteramt.

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