Mittwoch, Oktober 30

Laut der Kantonsregierung können kommunale Abstandsregeln nicht verhindern, dass trotzdem eine Anlage gebaut wird.

Wenn man den Widerstand der Bevölkerung zum Massstab nimmt, dann ist die Windkraft der neue Atommüll: Jedes Mal, wenn in einem Zürcher Dorf an der Gemeindeversammlung darüber diskutiert wird, dass bei ihnen vielleicht eine 250 Meter hohe Windturbine gebaut werden könnte, dann gehen die Emotionen hoch.

Fast niemand ist grundsätzlich gegen die saubere Windenergie. Nur auf der eigenen Gemarchung will man die riesigen Anlagen an vielen Orten dann doch lieber nicht sehen.

Die Stimmung in den Gemeinden ist auch deshalb so schlecht, weil nach wie vor unklar ist, wo genau dereinst bis zu 120 Zürcher Windräder gebaut werden könnten. Der Kanton hatte zwar schon 2022 eine Karte mit 46 Potenzialgebieten veröffentlicht, aber diese ist vergleichsweise grob. Alles wartet auf eine Ergänzung des Richtplans mit noch genaueren Angaben. Vorliegen soll diese erst im Frühling.

Zonen im Kanton Zürich, die sich für Windenergie eignen

Gebiete mit Potenzial für Windenergie

Vor diesem Hintergrund hat der Zürcher Kantonsrat am Montag einmal mehr über die Windenergie diskutiert. Auslöser war eine dringliche Interpellation von FDP, SVP und Mitte, welche – so der Titel des Vorstosses – «Klarheit im Prozess Windenergie» forderte.

Die Kommunikation der Regierung in Sachen Windkraft habe es an Klarheit mangeln lassen, sagte Barbara Franzen (FDP, Niederweningen), die Erstunterzeichnerin der Interpellation. Deshalb hätten sie einen Fragenkatalog eingereicht. «Wir müssen darauf beharren, dass die lokale Bevölkerung transparent aufgeklärt wird», sagte sie. Die Regierung müsse nachvollziehbar darlegen, warum ein Standort ausscheide oder weitergezogen werde.

Thomas Forrer (Grüne, Erlenbach) wollte diese Kritik an seinem Parteifreund, Baudirektor Martin Neukom, so nicht gelten lassen. Die Fragen in der Interpellation seien zwar gut und wichtig, «aber die meisten Antworten sind schon bekannt», sagte er. Und wenn man schon von Transparenz spreche, dann müsse man diese auch von anderen Regierungsmitgliedern einfordern, etwa in Zusammenhang mit dem Flughafen – für diesen ist die freisinnige Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh zuständig.

Windkraft als Rettung im Winter

Baudirektor Neukom rechnete bei der Beantwortung der Interpellation einleitend vor, dass mit der Windenergie rund 700 Gigawattstunden Strom pro Jahr produziert werden könnten. Das seien 7 Prozent des kantonalen Strombedarfs, der im Jahr 2050 erwartet werde.

Zwei Drittel dieses Ertrags würden im Winterhalbjahr anfallen – also genau dann, wenn die Solaranlagen besonders wenig Strom produzierten. Im Winter, so Neukom, könnten die Windanlagen sogar rund doppelt so viel Elektrizität erzeugen wie die Flusskraftwerke im Kanton.

Dass die Windkraft für Zürich so wichtig werden könnte, versteht sich allerdings nicht von selbst. Noch vor zehn Jahren kamen die Fachverantwortlichen der Zürcher Baudirektion aufgrund einer Studie zur Ansicht, dass Zürich gar kein Windkanton sei.

Die kantonalen Experten schrieben damals, es gebe zwar genügend Wind, in der Praxis seien aber die Einschränkungen so bedeutend und die Erträge für Investoren an anderen, windreicheren Standorten so viel grösser, dass der Kanton nicht mit mehr als vier bis sechs Anlagen rechne. Bis heute ist das Papier auf der Website des Kantons abrufbar.

Wie geht die damalige Zurückhaltung mit der heutigen Euphorie zusammen? Dies war eine der Kernfragen der Interpellation.

Regierungsrat Neukom antwortete, die Grundvoraussetzungen hätten sich gar nicht geändert. Bereits 2014 sei das Windenergiepotenzial gleich hoch wie heute eingeschätzt worden. Warum aber vor zehn Jahren nur von vier bis sechs Anlagen gesprochen wurde, konnte Neukom, der damals noch nicht im Amt war, nicht darlegen. Diese Zahl sei damals einer Tabelle aus einer früheren Publikation entnommen worden. Wie man dort auf die vier bis sechs Anlagen gekommen sei, sei aber nicht begründet worden.

Eine Windkraft-Initiative steht an

Eine weitere zentrale Frage ist, wie der Kanton mit Initiativen umgeht, die in den Gemeinden lanciert werden und einen Mindestabstand von Windanlagen zu bewohntem Gebiet fordern. Würden sie wie verlangt umgesetzt, würde dies nicht selten bedeuten, dass in der betroffenen Gemeinde gar keine Anlage aufgestellt werden könnte – was letztlich auch die Absicht dahinter ist.

Aus der Sicht des Regierungsrats kann sich eine Gemeinde aber nicht so einfach aus der Affäre ziehen. Die Gemeinden haben zu den Abständen der Windanlagen nicht das letzte Wort. Es gebe ein übergeordnetes öffentliches Interesse an der Nutzung der Windkraft. «Es wäre nicht zweckmässig, wenn die kantonale Richtplanung durch kommunale Abstandsvorschriften unterlaufen werden könnte», sagte Neukom. Pauschale Abstandsvorschriften würden auch in Widerspruch stehen zu bundesrechtlichen und kantonalen Vorgaben zum Ausbau der erneuerbaren Energien.

Die lokalen Bedürfnisse, aber auch die Folgen für die Natur, würden bei jeder Anlage genau geprüft und in die Beurteilung einfliessen. Es werde für jedes Gebiet eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen geben, sagte Neukom. Ausserdem gebe es zwingend eine Umweltverträglichkeitsprüfung, und auch das Verbandsbeschwerderecht gelte.

Dass es schwierig bis unmöglich werden könnte, kommunale Abstandsvorschriften einzuführen, ist nicht ganz neu. Bereits im letzten Sommer hatte die SVP im Kantonsrat deshalb eine Initiative eingereicht, welche einen kantonal vorgegebenen Mindestabstand von 1000 Metern zu bewohntem Gebiet für alle Gemeinden verlangt.

Domenik Ledergerber (Herrliberg), der Präsident der Zürcher SVP, sagte, es gehe ihnen nicht darum, Windkraftanlagen generell zu verhindern. «Wir müssen aber die Bevölkerung mitnehmen, sie soll ein Mitspracherecht haben.»

De facto würde eine kantonale 1000-Meter-Regel aber doch das Ende der grossen Zürcher Windkraftpläne bedeuten: Baudirektor Neukom präsentierte am Montag im Rat dazu eine fast vollständig rot eingefärbte Zürcher Kantonskarte. In allen roten Gebieten wäre es mit der 1000-Meter-Regel nicht mehr möglich, eine Windanlage zu bauen. Einzig auf dem Stammerberg ganz im Nordosten des Kantons bliebe ein grösseres Gebiet für einen Windpark übrig.

Neukom wies darauf hin, dass in anderen Ländern und Regionen teilweise viel geringere Mindestabstände gälten, etwa 200 Meter in Italien, 300 Meter in Hamburg und 500 Meter in Frankreich.

Der Zürcher Kantonsrat wird voraussichtlich in zwei Wochen über die Initiative abstimmen.

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