Samstag, November 23

Zum Beginn des Wintersemesters ist das Bafög gestiegen. Mehr als ein Drittel aller Studierenden leben trotzdem in einer prekären Situation.

Marina Fink* war verzweifelt, sie wusste nicht, wie sie ihr Studium weiter finanzieren sollte. Sie bewohnte eine kleine Wohnung in einem Studentenwohnheim in Mannheim, arbeitete als Werkstudentin 20 Stunden pro Woche, doch verdiente nur 10 Euro pro Stunde. Was sie verdiente und zusätzlich von ihrer Mutter als Hilfe erhielt, reichte nicht, um ihre Ausgaben zu decken. Fink möchte anonym bleiben, sie befürchtet Häme im Hörsaal. Sie sagt: «Ich musste einen Studienkredit mit hohen Zinsen aufnehmen. Und später noch einen zweiten.»

Fink ist eine von etwa 2,8 Millionen Studentinnen und Studenten an deutschen Hochschulen. Und sie ist eine von jenen, für die mit dem Semesterstart im Oktober auch die immer wiederkehrende Angst beginnt: Wie finanziere ich mein Studium?

Eltern müssen 860 Euro pro Monat für ein studierendes Kind vorsehen

«Mehr als ein Drittel aller Studierenden leben in einer prekären Situation», sagt Stefan Grob vom Deutschen Studierendenwerk. Prekär heisst: Sie müssen mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen. Die Zahlen dazu wurden im Sommer 2021 erhoben, vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, vor der steigenden Inflation.

Neuste Zahlen aber hat man zu den Kosten, mit denen man als Studierender in Deutschland rechnen muss: Die Düsseldorfer Tabelle gibt seit mehr als fünfzig Jahren vor, welchen Unterhalt Eltern ihren Kindern zahlen müssen. Sie bezieht sich auf Beschlüsse von Familiengerichten in ganz Deutschland. Demnach muss man 860 Euro pro Monat für sein studierendes Kind vorsehen. Der deutsche Staat unterstützt jene, die das nicht leisten können, mit Bafög.

Der Bafög-Höchstsatz für Studierende bis 29 Jahre liegt seit dem gerade begonnenen Wintersemester bei 992 Euro im Monat, sofern der Bezüger nicht bei seinen Eltern wohnt und nicht mehr über seine Familie krankenversichert werden kann. Der Bafög-Satz ergibt sich durch verschiedene Faktoren, vor allem richtet er sich nach dem Einkommen der Eltern. Nur wenn diese wenig verdienen, bekommt das Kind Geld vom Staat. «Das Bafög erreicht nur noch zwölf Prozent aller Studierenden», sagt Grob. «Das ist für uns frappant wenig.»

Gleichzeitig steigen die Mieten in deutschen Grossstädten immer weiter. In München als teuerster Hochschulstadt Deutschlands kostet ein WG-Zimmer momentan etwa 790 Euro im Monat. Das ergab eine Auswertung des Moses Mendelssohn Instituts in Kooperation mit der Vermittlungsplattform wg-gesucht.de. «Es gibt gerade noch zwei Hochschulstädte, in denen man vom Bafög allein seine Miete zahlen könnte», sagt Grob: Chemnitz und Magdeburg.

Wer statt in den beiden ostdeutschen Städten in München wohnt, muss laut dem Institut der deutschen Wirtschaft das Zweieinhalbfache an Miete zahlen. «Wir befürchten daher eine soziale Auslese – dass nur noch Kinder reicher Eltern es sich leisten können, in teuren Hochschulstädten zu studieren.» Also dass man sein Studium nicht mehr nach Vorliebe für Fach oder Stadt auswählen kann, sondern danach auswählen muss, wo man sich überhaupt die Miete leisten kann.

Für Daniel Meindel* stellte sich diese Frage nicht. Er wollte unbedingt an die Filmhochschule München, also eben in jene Stadt ziehen, in der das Leben am teuersten ist. «Ich hatte keine Ahnung, wie ich das finanzieren soll», sagt Meindel. 140 Euro Bafög im Monat waren ihm bewilligt worden. M. musste einen Weg finden, sich seinen Traum leisten zu können – und er brauchte Glück. Mit einem Freund wohnt er in einer Wohnung, die dessen Eltern gehört. 650 Euro Miete zahlt Meindel im Monat. Ein Freundschaftspreis.

Dafür wendet er exakt den Lohn auf, den er mit einem Studentenjob verdient. Ausserdem erledigt er für eine Regisseurin je nach Bedarf Schnittaufträge, bekommt dafür weitere 200 bis 300 Euro monatlich. «Meine Miete ist immer gesichert», sagt Meindel. Die Finanzierung aller weiteren Kosten sei jeden Monat aufs Neue eine Überraschung für ihn. Mal kann er sich etwas leisten, mal gar nichts.

63 Prozent aller Studierenden haben einen Nebenjob

So wie Daniel Meindel dürften sich viele Studierende irgendwie durch ihr Studium dribbeln. Immer mit der Angst, dass am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrig bleibt. Laut dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) gehen 63 Prozent aller Studierenden in der Vorlesungszeit einem Nebenjob nach, mehr als die Hälfte von ihnen sind auf diesen Verdienst angewiesen, um Mieten zahlen zu können.

«Der Zugang zum Studium darf keine Frage der sozialen Herkunft sein. Er darf nicht an finanziellen Hürden scheitern», hatte die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger Mitte Mai im Bundestag gesagt. Das Bafög untermauere ein Versprechen, sagte die FDP-Politikerin: «Bildung für alle. Zugang für alle, auch zu Fachschulen, Hochschulen und Universitäten. Sie sollen allen offenstehen. Zur Freiheit gehört die Freiheit zu lernen.» Mit ihrer Rede plädierte Stark-Watzinger für das Bafög-Änderungsgesetz.

Das Gesetz wurde angenommen. Der Bafög-Bedarfssatz, die Wohnkostenpauschale und Freibeträge für das Einkommen wurden zwar um 5 Prozent erhöht. Reichen aber kann diese Erhöhung laut dem Deutschen Studierendenwerk kaum. Für den Grundbedarf für Essen, Trinken und Heizen gibt es nun 475 Euro Bafög. Sozialhilfeempfänger, die nicht studieren, bekommen für den gleichen Bedarf 563 Euro. In diesem Bereich liegt also das Existenzminimum in Deutschland.

Deswegen sagt das Deutsche Studierendenwerk, das Bafög reiche auch nach seiner Erhöhung nicht zum Leben. «Eigentlich ist das Bafög eine riesige Erfolgsgeschichte», sagt Stefan Grob. Millionen von Deutschen hat es seit 1971 durchs Studium geholfen. Nur: «Es gibt keinen Anpassungsautomatismus an Preisentwicklungen.» Die Höhe der Sozialhilfe werde regelmässig angepasst, das Bafög werde je nach politischer Gemengelage angefasst. Steigt die Inflation, heisst das nicht, dass auch die Unterstützung für Studierende steigt.

«Dabei erlaubt diese es Menschen aus nichtakademischen Familien, zu studieren», sagt Grob. «Das sind genau die Fachkräfte von morgen, die wir suchen.» Bloss erreicht die Förderung nicht all jene, die sie erreichen müsste. Zu streng sind die Bezugsbedingungen. «Man muss als Eltern schon arbeitslos oder prekär beschäftigt sein, damit das Kind Bafög erhält», sagt Grob. Die Kultusministerin Stark-Watzinger hatte das im Mai anders gesehen. Das Bafög sei ein Sprungbrett, sagte Stark-Watzinger. «Noch nie war das Sprungbrett so kraftvoll wie jetzt. Noch nie hat es so weit getragen.» An dieses Sprungbrett zu kommen, das werde bald auch schneller gehen. «Da bin ich zuversichtlich.»

Wer mehr arbeitet, hat weniger Studienerfolg

Marina Fink hat erst gar keinen Antrag auf Bafög gestellt. Sie ist 27 Jahre alt und wusste, dass ihre alleinerziehende Mutter ohnehin zu viel verdient. Während des Bachelor-Studiums hatte diese sie finanziell stark unterstützt. Nun will sie ihr nicht mehr so zur Last fallen. Fink war deswegen froh, als sie einen Master-Studienplatz in Mannheim erhielt.

«Ich kann nun wieder bei meiner Mutter in Frankfurt wohnen und mir Miete sparen», sagt sie. Fink hat auch einen neuen Job als Werkstudentin gefunden, verdient nun mit 20 Wochenstunden nach Abzügen knapp 1200 Euro im Monat. Sie studiert Psychologie, aber arbeitet bei im Finanzbereich. «Das mache ich nur, um Geld zu verdienen», sagt sie. Für ihr Studium bringe die praktische Erfahrung dort nichts. Ausser Stress.

Zum einen muss sie von ihrem Wohn- und Arbeitsort in Frankfurt nach Mannheim pendeln. Die einfache Fahrt dauert etwa eineinhalb Stunden. Zum anderen haben schon verschiedene Studien belegt, dass, wer mehr als zehn Stunden in der Woche arbeitet, weniger Erfolg im Studium hat. «Nach einem anstrengenden Arbeitstag habe ich nicht wirklich die Kraft, mich mit der Uni zu beschäftigen», sagt Fink. Das muss sie aber. Ohnehin, weil das Psychologiestudium sehr fordernd ist.

Weil Fink während ihres Studiums viel gearbeitet hat, ist sie aus dem Zeitplan gekommen. Sie wird drei bis vier Semester über der Regelzeit liegen, wenn sie ihr Studium abschliesst. Schwierige Kurse wie Statistik hat sie am Anfang ausgelassen, sich die Vorlesungen und Prüfungen so aufgeteilt, wie es mit ihrem Studentenjob vereinbar war. «Jetzt habe ich Angst, nicht genug Zeit zum Lernen zu haben, um die Prüfungen zu bestehen», sagt sie. Ans Aufgeben aber denkt sie nicht. Sie könnte es sich auch kaum leisten – sie rechnet mit ihrem Lohn als Akademikerin. Denn sie muss ihre Studienkredite abbezahlen.

* Namen geändert.

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