Mittwoch, Januar 15

Adrian Geiges war überzeugter Kommunist. Das ermöglichte ihm später, China als das zu sehen, was es ist: ein Land unter der Parteidiktatur. Heute warnt er vor der geballten Macht Chinas und Russlands.

Herr Geiges, Sie waren als junger Mann Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei. Das war in der damaligen BRD ungewöhnlich. Wie kam es dazu?

Ich bin 1960 geboren, aber war natürlich von den Ausläufern der 68er Bewegung mitgeprägt. Ich war empört über die Verbrechen der Amerikaner im Vietnamkrieg. Und dann waren für mich die Nazis, die es damals in der Bundesrepublik noch in Spitzenpositionen gab, ein entscheidendes Motiv. Ich dachte damals, die DDR ist besser. Das ist ein antifaschistischer Staat, da ist Erich Honecker Generalsekretär, der war unter den Nazis im Zuchthaus gewesen. Es stimmte auch, dass viele ehemalige Widerstandskämpfer in der DDR in Spitzenpositionen waren. Aber es war ja gleichzeitig so, dass dieser Antifaschismus genutzt wurde, um alle Andersdenkenden auszuschalten.

Zur Person

Adrian Geiges – Schriftsteller und Journalist

Adrian Geiges hat die erste deutschsprachige Biografie des chinesischen Partei- und Staatschefs Xi Jinping geschrieben («Xi Jinping, der mächtigste Mann der Welt» – zusammen mit dem langjährigen «Spiegel»-Chefredakteur Stefan Aust, 2021). Als Journalist hat er sowohl in Russland wie in China als Auslandkorrespondent (unter anderem für den «Stern» und Spiegel-TV) gearbeitet und spricht beide Sprachen. In Schanghai hat er zudem das Zeitschriftengeschäft des Verlags Gruner + Jahr aufgebaut. Sein neustes Buch, «Front gegen die Freiheit: Peking, Moskau und ihre Komplizen in aller Welt», ist am 1. August im Piper-Verlag erschienen. Geiges ist 1960 in Basel geboren.

Wann sind Ihnen diese Widersprüche zum ersten Mal aufgefallen?

Erstmals 1979 und im Jahr darauf, als ich als westdeutscher Linker für ein Jahr in der DDR war an einer Kaderschmiede für Nachwuchsfunktionäre. Da habe ich gemerkt, dass vieles, was dort passierte, nichts zu tun hatte mit den linken Idealen, die wir im Westen hatten. Es war sehr autoritär, mit Fackelzügen, Aufmärschen, Gelöbnissen . . . Es waren eigentlich nur Meinungen erlaubt, die im «Neuen Deutschland» standen und in der «Aktuellen Kamera», den DDR-Fernsehnachrichten, gesagt wurden, was ja die plumpeste Bejubelung war der eigenen Parteiführer.

Aber ausgetreten aus der Partei sind Sie ja erst zehn Jahre später.

Ja, der endgültige Bruch kam bei mir erst mit Gorbatschow, als er die Öffnung einleitete. Ich war davon begeistert, aber die kommunistischen Parteiführungen in beiden Teilen Deutschlands stellten sich dagegen.

Warum sind Sie so lange dabeigeblieben?

Ja, warum? An der Kaderschmiede waren ja nicht nur angehende DDR-Funktionäre, sondern Vertreter der sogenannten antiimperialistischen Befreiungsbewegungen aus aller Welt, des ANC aus Südafrika, der PLO aus Palästina, der Sandinisten aus Nicaragua. Das gab uns das Gefühl, Teil einer grossen Bewegung für eine gerechtere Welt zu sein, auf der Seite der Guten. Das Feindbild war die «Hauptmacht des Imperialismus», die USA. Um dieses Hauptböse zu bekämpfen, müsse man über die Dinge, die nicht in unser Weltbild passten, hinwegsehen und einig sein, glaubten wir. Auch heute wird noch so argumentiert, von China, Russland bis Iran.

Davon handelt Ihr neustes Buch, «Front gegen die Freiheit: Peking, Moskau und ihre Komplizen in aller Welt». Haben China und Russland mehr gemeinsam, als wir denken?

Natürlich. Die Gemeinsamkeiten der beiden Länder reichen zurück bis zur Oktoberrevolution von 1917. Heute ist China unter Xi Jinping ein Land geworden, das die Rolle der Kommunistischen Partei wieder verstärkt, während Russland ein Land ist, das rein äusserlich gesehen mit der Kommunistischen Partei nichts mehr zu tun hat – wo aber alle wichtigen Positionen von Leuten besetzt sind, die aus dem KGB kommen. Dort wurden sie sozialisiert, und die Philosophie war, die errungene Macht nie wieder aufzugeben, unbedingt zusammenzuhalten. Das KGB ist ja die Fortsetzung der Tscheka, der Geheimpolizei, die Felix Dserschinski unter Lenin aufgebaut hat. Die Leute im russischen Machtapparat stehen in dieser kommunistischen Tradition. Putin hat immer wieder deutlich gemacht, dass er der Sowjetunion nachtrauert. Da hat er auch eine Gemeinsamkeit mit Xi Jinping, der immer wieder gesagt hat, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion eine Katastrophe war und man daraus lernen muss und darum auch keine grösseren Freiheiten zulassen darf, weil einen sonst das gleiche Schicksal ereilen würde.

Sie haben ausser in Russland auch in China lange gelebt, waren dort als Manager und Journalist tätig. Was weckte bei Ihrem Aufenthalt Erinnerungen an Ihr früheres Leben als kommunistischer Kadermann?

Das fing schon bei den Äusserlichkeiten an, wie den roten Halstüchern in der Schule. Und Xi Jinpings Reden stimmen zum Teil wörtlich mit dem überein, was wir damals an der Kaderschule gebüffelt hatten: Marx, Engels und Lenin. Die Kommunistische Partei Chinas ist keine politische Partei wie die CDU oder die SPD, sondern eine, die nach Lenins Konzept des demokratischen Zentralismus geführt wird. Da dürfen zwar im Rahmen einer Diskussion Vorschläge eingereicht werden, aber dann trifft die Parteiführung eine Entscheidung, und die ganze Partei muss diese umsetzen. Natürlich treten auch Leute in die Partei ein, die tatsächlich an die kommunistischen Ideale glauben. Peking betont zum Beispiel, dass es das Ziel sei, soziale Gerechtigkeit herzustellen.

In der Realität gibt es jedoch eine enorme Ungleichheit zwischen Stadt und Land und einen schwach ausgebauten Wohlfahrtsstaat.

Auf jeden Fall. Auch in der Sowjetunion war es so, dass die hohen Funktionäre sehr viele Privilegien hatten, ein eigenes Gesundheitssystem, eigene Läden, wo sie Waren aus dem Westen einkaufen konnten, Reisemöglichkeiten und so weiter, und der Grossteil der Bevölkerung in Armut gelebt hat. Aber Gerechtigkeit ist halt trotzdem Bestandteil der Ideologie.

Auch auf internationaler Ebene?

Ja, und das ist ein entscheidender Punkt. Putin und Xi sagen, die bisherige Weltordnung werde bestimmt von den alten Kolonialmächten und von den USA und es müsse eine neue, gleichberechtigte Weltordnung hergestellt werden. Das klingt natürlich alles gut. Nur hat die Geschichte gezeigt: In der Konsequenz hat diese Idee zu schlimmsten Verbrechen unter Stalin geführt, zu schlimmsten Verbrechen unter Mao. Putin und Xi sprechen von einer demokratischen Weltordnung, verweigern aber ihrer eigenen Bevölkerung elementare demokratische Rechte. Im heutigen China sieht man, dass viele Freiheiten wieder zurückgedrängt werden. Ebenso in Russland.

In Ihrem Buch nennen Sie die globalen Ziele Chinas und Russlands «Imperialismus unter der Flagge des Antiimperialismus». Bei Russland ist das spätestens seit dem Angriff der Ukraine klar. Und bei China?

Tibet und Xinjiang gleichen Kolonien. Es sind formal zwar autonome Gebiete, aber die entscheidenden Positionen sind mit Chinesen besetzt. Trotzdem stellt sich die Volksrepublik als antiimperialistische Macht dar, weil sie angeblich den Imperialismus der USA bekämpft. Auch der Anspruch, Taiwan zu einem Teil der Volksrepublik China zu machen, steht damit im Widerspruch.

Inwieweit ist dieser Anspruch gerechtfertigt?

Taiwan hat historisch lange Zeit zum chinesischen Kaiserreich gehört, aber nie zur Volksrepublik China. Die Propaganda von China als friedliebender Nation funktioniert so gut, dass Unternehmer, die in China investieren, sie schon nachplappern. Sie sagen, China habe noch nie ein anderes Land angegriffen und die Chinesen hätten eine Friedens-DNA. Die Wahrheit ist, dass das chinesische Kaiserreich immer Kriege geführt hat, sonst wäre es nicht zu einem Grossreich gewachsen. Auch in der Volksrepublik nach 1949 gab es militärische Angriffe: Raketenangriffe gegen Taiwan, der Grenzkonflikt mit der Sowjetunion 1969 und bis heute mit Indien und der fast vergessene Angriff gegen Vietnam von 1979, der nur deshalb so kurz war, weil die Volksbefreiungsarmee nach der Kulturrevolution in einem desolaten Zustand war. Unter Deng Xiaoping hat sich China zwar auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentriert. Doch das ändert sich unter Xi Jinping, der sehr viel aggressiver auf der Weltbühne auftritt.

China wird oft unterschätzt und seine Partnerschaft mit Russland kleingeredet. Will der Westen diese Bedrohung nicht sehen?

In Deutschland ist vieles von Wunschdenken geleitet. Man würde sich wünschen, dass China im Krieg gegen die Ukraine eine vermittelnde Rolle einnimmt, und tut dann so, als ob der eigene Wunschtraum schon halb Realität wäre. Zudem gibt es die sogenannten nützlichen Idioten – Leute, die aus ganz unterschiedlichen Gründen zur chinesischen Führung halten. Das sind zum einen Grossunternehmen wie Volkswagen, BASF, Siemens und so weiter, die sehr gute Geschäfte in China machen und nicht so sehr über die langfristigen geopolitischen Folgen ihres Handels nachdenken. Ihre Manager verbreiten dann die Erzählung, in China sei alles viel besser, effizienter, und Kommunismus sei dort nur noch Folklore.

Die Ziele eines Managers sind ja auch nicht politisch, sondern er möchte Gewinn erzielen. Das Chinageschäft der deutschen Firmen hat für viel Wohlstand gesorgt. Aber war es ein Fehler, rückblickend?

Beides ist richtig. Wir haben profitiert von der Verbindung zu China, und China hat profitiert. Manager sind auf den Erfolg ihres Unternehmens bedacht. Typisch für viele Unternehmer war aber auch, dass sie ihre Seele verkauft haben und die chinesische Propaganda übernommen haben. Das ist das Problem. Man hat die Risiken nicht gesehen. China hat sich seit 1949 nie grundlegend verändert, die totale Führung der Partei war immer da. In der Ignoranz dessen hat man den Fehler gemacht, sich in die totale Abhängigkeit zu begeben, statt schon früh auch mit anderen Ländern in Asien Handel zu treiben, wie Indonesien oder Indien.

Wie gefährlich ist diese Abhängigkeit?

Sehr gefährlich. Mittlerweile sind Moskau und Peking so enge Partner wie seit Jahrzehnten nicht mehr. China ist dabei klar der stärkere von beiden. Dadurch, dass vor allem China heute wirtschaftlich viel mächtiger ist, hat die neue Front gegen die Freiheit, wie ich sie nenne, heute eine ganz andere Kraft als der sowjetische Block im Kalten Krieg. Gleichzeitig stehen die USA und Westeuropa viel schlechter da als damals. Ihr Anteil an der Weltwirtschaft ist massiv zurückgegangen, sie leiden an Übersättigung, einer Spaltung der Gesellschaft . . .

Sind Sie für Entkoppelung?

Nein. Meine Meinung ist, dass man sehr geschickt vorgehen muss. Man braucht Austausch und militärische Abschreckung. Säbelrasseln ist ja ein Wort, das negativ belegt ist. Aber Säbelrasseln ist besser, als mit dem Säbel zuzustechen. Churchill hat gesagt, dass eine Position der Stärke der Weg zum Frieden ist. Wir müssen aus dieser Position der Stärke für Entspannung und für Dialog eintreten. Ich bin gegen Abschottung. Dialog trägt dazu bei, aggressive Standpunkte abzubauen.

Exit mobile version