Sonntag, April 20

Politycki sieht in der Rückkehr einer traditionellen Männlichkeit auch Gutes, solange sie wandelbar bleibt. Mut und Wehrhaftigkeit stünden einem Mann – auch die Europäer würden dies jetzt hoffentlich merken.

Vor vier Jahren ist Matthias Politycki von Hamburg nach Wien gezogen, weil er die moralisch aufgeladene Debattenkultur in Deutschland nicht mehr aushielt. «Ich sehe die Freiheit der Phantasie, die Freiheit des Gedankens und der Sprache bedroht», sagte er damals. Dieses Unbehagen formulierte er im Buch «Mein Abschied von Deutschland». Der Schriftsteller ist ein weltoffener Mensch, vielgereist und abenteuerlustig. Seine Aufenthalte an den entlegensten Orten finden Eingang in sein Schreiben, so in seinen letzten Roman, «Alles wird gut».

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

In seinem neuen Buchessay «Mann gegen Mann» fragt Politycki, was ein Mann ist. Er liest Ernest Hemingway und Jorge Luis Borges und stellt deren Sehnsucht nach einer archaischen Männlichkeit die Gegenwartsdebatten über den toxischen Mann gegenüber. Es brauche einen neuen alten Mann, kommt er zum Schluss. Dessen Entspanntheit bringt der 69-Jährige beim Videogespräch schon einmal mit.

Herr Politycki, letzte Woche entgleisten die diplomatischen Gespräche zwischen Donald Trump und Wolodimir Selenski im Weissen Haus. Von was für einer Männlichkeit wurden wir da Zeugen?

Bei Trump haben wir die alte Männlichkeit in einer ihrer unangenehmsten Ausprägungen gesehen. Allein seine Körpersprache und Mimik, die reinste Machtdemonstration. Dazu der erhobene Zeigefinger, mit dem man einen kleinen Jungen belehrt, und die mehrfache Wiederholung des Satzes, Selenski habe schlichtweg zu schlechte Karten, als dass er ihm gegenüber auch nur irgendeine Forderung stellen könne. Beeindruckt haben mich aber die Europäer.

Sie meinen die westlichen Staats- und Regierungschefs, die der britische Premierminister Keir Starmer nach dem Eklat zu einem Gipfel nach London eingeladen hat?

Genau, das war ein regelrechter Schulterschluss. Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn in der Ukraine hat man das auch glaubhaft vermitteln können. Dabei verkörperten die Repräsentanten des Westens bislang eher eine neue Männlichkeit, die weicher und femininer angelegt ist und ständig die eigene Rolle hinterfragt. Angesichts der Notlage, in die Europa plötzlich geraten ist, haben sich die Regierungschefs einige Qualitäten der alten Männlichkeit in ihr Auftreten zurückgeholt, allem voran: Entschlossenheit. Die Bereitschaft, etwas zu verteidigen, auch wenn man dabei selber ein hohes Risiko eingehen muss.

Sie kritisieren in Ihrem neuen Buch den woken Zeitgeist, der den gebändigten Mann hervorgebracht habe. Dieser sei allzu empathisch und wolle immer noch der bessere Feminist sein. Dankt diese neue Männlichkeit gerade ab?

Der Gipfel in London gibt mir Hoffnung, dass es etwas zwischen alter und neuer Männlichkeit gibt, wobei da natürlich auch drei Frauen dabei waren. Gegen alte Geschlechterstereotypen, die den Mann vornehmlich als harten Kerl inszenieren, kann man mit einem aufgeklärten, emanzipierten Verständnis von Männlichkeit durchaus bestehen – vorausgesetzt, man erinnert sich einiger Aspekte herkömmlicher Männlichkeit und verbindet sie mit denen der neuen Männlichkeit. Dann ist und bleibt Empathie eine wichtige Eigenschaft, erst sie ermöglicht Diplomatie, also Deeskalation auf staatspolitischer Ebene.

Mit Trump und Putin wird wieder die traditionelle Männlichkeit beschworen: Härte, Widerstandskraft. Warum kommt das bei vielen Männern so gut an?

Im Lauf der Zeit verkrusten die meisten gesellschaftlichen Bewegungen ideologisch und erschöpfen sich irgendwann. So auch der Genderdiskurs, der in den vergangenen Jahrzehnten die Debatten bestimmt hat. Klassische Vorstellungen davon, was ein Mann ist, wurden als toxisch abgekanzelt und die Verteidiger traditioneller Werte als rückständig diffamiert. Doch wer so überheblich argumentiert, setzt sich mit dem Thema nicht auseinander. Und mit einem Mal droht die Debatte ins Gegenteil zu kippen.

Können Sie der Aufwertung herkömmlicher Männlichkeit auch Gutes abgewinnen?

Die moderierende, empathische Männlichkeit der letzten Jahre will ich nicht preisgeben. Nur können wir damit einen Trump nicht stoppen und Putin erst recht nicht. Es gibt männliche Tugenden, die wir einige Jahrzehnte fast vergessen oder gar verachtet haben und die wir jetzt brauchen: Führungspersönlichkeit, Entschlossenheit, Mut, für eine Sache auch in letzter Konsequenz einzustehen. Das würde ich mir gerade auch beim politischen Führungspersonal in Deutschland wünschen.

Welcher deutsche Politiker verkörpert für Sie eine gute Männlichkeit?

Helmut Schmidt strahlte eine Autorität aus, die glaubhaft war, das begann schon bei seiner Sprache. Bei unbequemen Entscheidungen knickte er nicht ein. Und immer wieder fand er eine, seine Haltung. Das ist etwas ganz anderes, als immer sofort, aus einem emotionalen Impuls heraus, Haltung zu zeigen. Mühsam immer wieder eine Haltung neu zu finden, macht für mich den Intellektuellen aus, übrigens einschliesslich des Rechts, sich zu irren.

Trump ist ein Narzisst, er nimmt sich in seinem Mannsein sehr ernst, ohne ironische Distanz zu sich selber. Ist das männlich?

Typisch männlich jedenfalls nicht! Ohne eine gewisse Selbstironie kann man schnell zur Karikatur werden. Ein starker Mann tritt eben nicht immer stark auf, das hat er gar nicht nötig. Die Männer, die auf der Strasse gleich laut werden, sind im Grunde schwache Männer. Macht muss nicht dauernd demonstriert werden, das Qualitätsmerkmal einer souveränen Männlichkeit ist es, auch deeskalieren zu können. Gewaltbereite Männer werden dann bereits durch ein entsprechendes Auftreten gebändigt. Das musste ich auf meinen Reisen erst einmal lernen, wenn es zu brisanten Situationen kam. Man muss sicher auftreten, klare Worte sprechen und dennoch immer zeigen, dass man den anderen ernst nimmt.

Viele nahmen Trump nicht ernst. Rächt sich das nun?

Wir haben uns jahrelang darin gefallen, auf Trump herabzuschauen. Doch das ist noch keine Strategie. Dasselbe gilt für Putin, wir haben ihn und Trump durch unsre Verachtung nur noch entschlossener gemacht. Damit eine Konfrontation nicht aus dem Ruder läuft, muss man begriffen haben, was den Gegner an- und umtreibt.

Sie sprechen in Ihrem Buch von der guten und der schlechten Gewalt. Erstere verkörpert Selenski, Letztere Putin. Gibt es eine gute Gewalt?

In uns allen steckt, mit guten Gründen, eine reflexhafte Abwertung von Gewalt. Aber praktisch über Nacht mussten wir begreifen, dass Gewalt manchmal nur durch Gegengewalt gestoppt werden kann: durch Verteidigung. Gegen einen russischen Aggressor kann man sich nicht mit guten Argumenten zur Wehr setzen.

Europäische Länder wollen kampffähiger werden. Die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen hat diese Woche einen 800-Milliarden-Euro-Plan zur Aufrüstung der EU vorgeschlagen. Wird buchstäbliche Wehrhaftigkeit jetzt wieder angesehener?

Die Zeiten sind so, dass wir sehr konkret über die Verteidigung Europas nachdenken müssen, auch wenn wir bis vor drei Jahren Pazifisten waren. Ich zum Beispiel habe zwar meinen Grundwehrdienst abgeleistet, zwei Jahre später aber, nach der Teilnahme an einer Nato-Übung, den Kriegsdienst verweigert. Damals lebte ich in einer WG mit drei Schotten, und auf der Übung wurde mir schlagartig klar, dass ich im letzten Krieg gegen ebendiese Schotten hätte kämpfen müssen. Da wollte ich Konsequenzen ziehen.

Haben Sie es je bereut?

Jetzt würde ich meine Haltung erneut überdenken. Während der Zeit des Kalten Krieges war die Gefahr eines realen Krieges zwar auch immer gegeben, aber nun ist er ja tatsächlich da. Wider Willen erkennen wir die Notwendigkeit, ein Land und eine Art des Lebens zu verteidigen – etwas, worauf wir sogar stolz sein könnten, wenn wir nicht Deutsche wären.

Sie meinen, den Deutschen fehlt es an Mut, gewisse Werte zu verteidigen?

Indem man Gelder freimacht, verteidigt man noch kein Land. Man tut es auch nicht mit Absichtserklärungen. Wehrhaftigkeit fängt bei jedem Einzelnen an. Man muss nur einmal nachts in ein Problemviertel gehen, am besten in Begleitung einer Frau. Wie tritt man dort auf, wie beschützt man sie? Ich habe das als Student auf Reisen im arabischen Raum gelernt, da mussten wir tagtäglich unsre Freundinnen verteidigen, und nicht selten wurden wir auch mit einem Steinhagel empfangen, weil wir Fremde waren, noch dazu aus Europa.

Machen Sie diese Erfahrung auch in Quartieren in deutschen Grossstädten, wo viele Migranten aus arabischen Ländern leben?

Solche Orte gibt es überall. Man merkt sehr schnell, wo man sich als Mann zusammenreissen muss, um ganz selbstverständlich weiterzugehen und doch mit allem zu rechnen. Man merkt es aber auch schon einmal im ICE: Geht man dazwischen, wenn jemand angepöbelt wird?

Der alte weisse Mann wurde zum Schimpfwort, Feministinnen haben Männer als Abfall bezeichnet. Hört nun das Männer-Bashing auf?

Das Männer-Bashing fand ja nur innerhalb einer gewissen Blase statt. Alles, was jetzt passiert, auch bezüglich Geschlechterrollen, ist nur eine Umorientierung innerhalb des intellektuellen Establishments. Eine lautstarke Minderheit hat unseren Diskurs bestimmt, repräsentierte aber zu keinem Zeitpunkt die Meinung der Mehrheit.

Sprechen Sie aus der Erfahrung des Vielgereisten?

Nicht einmal in Süd- und Osteuropa, erst recht nicht in Indien oder China und nirgendwo in Afrika wurden diese Debatten so extrem betrieben wie in Deutschland. Selbst in Japan, wo feminisierte Männer serienweise zu Pop-Stars aufstiegen, hat man mir gegenüber nur den Kopf geschüttelt und gesagt: Das ist nicht mehr das Deutschland, das wir immer geliebt haben. Anderswo hat man sich über uns Deutsche lustig gemacht. Wenn jetzt der Zeitgeist dreht, verschiebt sich auch bei uns die Diskurshoheit, es werden Stimmen hörbar, die lange stumm geblieben sind, weil sich die meisten aus dem gesellschaftlichen Gespräch zurückgezogen haben.

Kann es ins Gegenteil kippen, dass nun wieder eine Männlichkeit gefeiert wird, die sich als das überlegene Geschlecht sieht?

Die Gefahr besteht. Aufgrund der herrschenden Geschlechterbilder sind im Lauf der Jahre Millionen von Männern abgedriftet in ihre eigenen Referenzgruppen. Nicht unbedingt nur in der Muckibude oder beim Überlebenstraining im Wald. Ein Mann, der sich noch dezidiert als Mann verstanden hat, wollte auf keinen Fall so weich und sensibel sein, wie es allgemein erwartet wurde. Er hat vielmehr versucht, ein Selbstbewusstsein als Mann sogar gegen den herrschenden Zeitgeist zurückzuerobern, da macht man sich natürlich auch schnell einmal lächerlich.

Was ist für Sie ein gelungenes Leben als Mann?

In einer dekonstruktivistischen Zeit, wie sie die unsere bis gerade eben war, ist es nicht einfach, seine Rolle zu finden. Man will sie nicht selbstherrlich, aber auch nicht duckmäuserisch ausfüllen. Am liebsten würde man nur auf spielerische Weise ein Mann werden, jedenfalls auf eine offene und unaufdringliche Weise. Entscheidend ist: Dies zu versuchen, hört nie auf. Wir werden bekanntlich nicht als Mann geboren, erst im Verlauf des Lebens werden wir einer. Ich würde ergänzen: Man bleibt nicht automatisch ein Mann, man muss es schon bleiben wollen. Indem man es Tag für Tag immer wieder neu und anders wird.

Matthias Politycki: Mann gegen Mann. Von alten und neuen Tugenden. Hoffmann und Campe, Hamburg 2025. 256 S., Fr. 34.90.

Exit mobile version