Montag, September 30

Die Umsetzung der Pflegeinitiative sorgt in Zürich für Konflikte. Im Zentrum steht die Frage, wer bezahlt.

Wenn die Arbeitsbedingungen in den Spitälern nicht besser werden, läuft das Pflegepersonal davon. Davon war im Herbst 2021 eine klare Mehrheit der Stimmberechtigten im Kanton Zürich überzeugt. «Klatschen reicht nicht», lautete damals ein Abstimmungsslogan, der unter dem Eindruck der Pandemie zur Annahme der eidgenössischen Pflegeinitiative führte.

Knapp drei Jahre später zeigt sich: Eine Initiative annehmen reicht ebenso wenig. Man muss auch bereit sein, die finanziellen Folgen zu tragen. Und Zürich ist zerstritten über die Frage, wie man zwei zentrale Forderungen der Initiative bezahlen soll: kürzere Arbeitszeiten und bessere Löhne.

Auf der einen Seite stehen Politikerinnen und Politiker von links bis zur Mitte. Sie haben an diesem Montag im Kantonsrat insistiert, die Zürcher Regierung dürfe nicht warten, bis der Bund die Gesetze angepasst habe. Sie müsse selbst aktiv werden – und zwar schnell.

Als Vorbild dient ihnen das mittlerweile in finanzielle Nöte geratene Spital Wetzikon, das im Sommer 2022 die Arbeitszeit bei gleichem Lohn um 10 Prozent reduziert hat. Oder der Kanton Wallis, der letztes Jahr Millionen von Franken für Lohnerhöhungen bereitgestellt hat.

Auf der anderen Seite steht die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP). Sie will die kantonalen Gesetze erst dann anpassen, wenn klar ist, was der Bund vorschreibt.

Gleichzeitig wehrt sie sich gegen die Pläne zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die in Bundesbern unter Führung von SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider entwickelt worden sind. Denn diese klammern die Kostenfrage einfach aus und suggerieren, dass die Spitäler das schon irgendwie hinbekämen.

Diese Vorstellung sei angesichts der Defizite vieler dieser Institutionen «realitätsfremd und inakzeptabel», schreibt die Zürcher Regierung in einer Vernehmlassungsantwort zur Umsetzung der Pflegeinitiative. Die Botschaft an Baume-Schneider lautet: Bitte den Plan grundsätzlich überarbeiten.

Zürich fürchtet, dass Kosten auf die Kantone zurückfallen

Zur Erinnerung: Der Bund hat die Umsetzung der Pflegeinitiative in zwei Etappen aufgeteilt. Die erste, die sogenannte «Ausbildungsoffensive», ist heute unumstritten. In den Zürcher Spitälern, den Heimen und bei der Spitex fehlen jedes Jahr etwa 230 neu ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger. Um diese Lücke zu schliessen, wird die Kantonsregierung während acht Jahren rund 100 Millionen Franken investieren. Der Bund steuert gleich viel Geld bei.

In der zweiten Etappe geht es nun darum, das bereits bestehende Personal zu halten. Denn heute steigen laut dem Bundesamt für Gesundheit rund 40 Prozent der Pflegekräfte vor dem Rentenalter aus dem Beruf aus.

Der Bund hält deshalb – wie von der Pflegeinitiative verlangt – in einem neuen Gesetz fest, wie die Arbeitsbedingungen künftig verbessert werden müssen. Der Gesetzesentwurf, den Baume-Schneider im Mai in die Vernehmlassung schickte, sieht unter anderem eine Reduktion der wöchentlichen Normalarbeitszeit von 42 auf 38 Stunden vor, zudem bezahlte Pausen und Umkleidezeiten.

Das gibt es nicht gratis. Die Zürcher Gesundheitsdirektion hat ausgerechnet, dass die Nettoarbeitszeit durch solche Massnahmen um 20 Prozent zurückgehen würde. Es müssten also neue Stellen geschaffen werden, um den Verlust auszugleichen – sofern überhaupt genügend Fachkräfte verfügbar sind. Allein die Reduktion der Normalarbeitszeit auf 38 Stunden löst landesweit geschätzte Mehrkosten von über einer Milliarde Franken aus.

Die Zürcher Kantonsregierung verlangt deshalb vom Bund, dass er Transparenz schafft, wie diese Kosten aufgefangen werden sollen. Es dürfe nicht sein, dass diese «einseitig auf die Kantone und Gemeinden zurückfallen». Gefordert sei eine verbindliche Zusage, dass auch die Krankenversicherungen ihren Beitrag leisten müssen – und das bedeutet am Ende: höhere Prämien.

SVP mahnt: Die Forderung nach mehr Tempo bewirkt das Gegenteil

Für die linken Parteien im Zürcher Kantonsrat und jene der Mitte dauert das alles zu lange. Jeannette Büsser (Grüne, Horgen) äusserte am Montag den Verdacht, dass die Umsetzung der Pflegeinitiative in Zürich nicht die notwendige Priorität habe. Dies wohl vor dem Hintergrund, dass die bürgerlichen Parteien die Initiative abgelehnt hatten.

Der Bundesrat habe ausdrücklich empfohlen, umgehend Massnahmen zu ergreifen und nicht erst die Umsetzung der Volksinitiative abzuwarten, sagte Büsser an die Adresse von Rickli. Die Realität sei, dass das Zürcher Pflegepersonal weiterhin auf eigene Kosten Löcher stopfe, «um das Boot über Wasser zu halten».

Auch Renata Grünenfelder (SP, Zürich) will der Gesundheitsdirektion Beine machen: «Wir können nicht drei bis vier Jahre warten, bis das Bundesgesetz verabschiedet wird.» Es brauche Sofortmassnahmen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Das Mittel zu diesem Zweck ist eine Motion, die von der Kantonsregierung verlangt, die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, um die Anliegen der Pflegeinitiative in Zürich rasch umzusetzen.

Laut Lorenz Habicher (SVP, Zürich) ist dieser Ansatz kontraproduktiv. «Sie erreichen damit genau das Gegenteil dessen, was Sie wollen», warnte er die Befürworter der Motion. «Sie verzögern den politischen Prozess um mindestens ein Jahr.» Die Umsetzung der zweiten Etappe der Pflegeinitiative laufe bereits, es könnte vorwärtsgehen. Aber nun müsse man die Antwort auf diese Motion abwarten.

Habichers Appell richtete sich an die Mitte und insbesondere an die Grünliberalen, die sich überraschend ins Lager der Befürworter geschlagen hatten. Christa Stünzi (GLP, Horgen) anerkannte zwar, dass im Kanton Zürich bereits einiges zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen getan worden sei. «Wir sind aber skeptisch, ob das reicht.»

Weil die Grünliberalen dabei blieben, war die Motion plötzlich mehrheitsfähig – was die Gesundheitsdirektorin Rickli auf dem falschen Fuss erwischte. Sie konnte bloss wiederholen, dass es sinnvoll sei, zuerst die Vorgaben des Bundes abzuwarten. Zugleich wehrte sie sich gegen die Vorstellung, dass die Zürcher Spitäler und Heime bis dahin nicht ins Personal investierten. Viele hätten die Lohnsummen schon merklich erhöht und wiesen entsprechende Defizite aus.

Die Überweisung der Motion konnte Rickli aber nicht mehr verhindern, diese kam mit 95 zu 76 Stimmen deutlich durch. Ob sie den Prozess wirklich verzögert, wird sich noch zeigen. Denn der Bund wird ebenfalls nochmals über die Bücher gehen müssen: In der Vernehmlassung haben nicht nur Zürich, sondern auch die anderen Kantone von Bundesrätin Baume-Schneider deutliche Korrekturen verlangt. Und auch das wird dauern.

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