Montag, Oktober 28

Die ganz grosse Eskalation blieb aus, trotzdem wurde Iran empfindlich getroffen. Satellitenbilder zeigen Israels Angriffe auf die Raketenproduktion und die Flugabwehr Teherans – was das für einen weiteren Schlagabtausch bedeuten könnte.

Israels stundenlanges Bombardement von Zielen in Iran am frühen Samstagmorgen war beispiellos – dennoch dürfte es nicht den Auftakt zum grossen Krieg zwischen den Erzfeinden im Nahen Osten markieren. Erstmals bekannte sich Israel offen zu einem Angriff auf iranisches Territorium. Und erstmals seit dem Krieg zwischen Iran und dem Irak in den achtziger Jahren griff ein anderer Staat Gebiete nahe der iranischen Hauptstadt Teheran an.

Die grössten Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht: Der jüdische Staat schonte die Energieinfrastruktur Irans sowie das iranische Atomprogramm. Solch ein Angriff hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine harte Reaktion Teherans zur Folge gehabt. Dennoch sendet Israels Angriff ein klares Signal aus: Diese Ziele sind verwundbar, falls der Schlagabtausch in die nächste Runde geht.

Irans Energieinfrastruktur ist jetzt schutzlos

Laut übereinstimmenden Medienberichten und Satellitenbildern hat Israel Flugabwehrsysteme im Westen Irans sowie nahe Teheran angegriffen. Vor allem in der Provinz Khuzestan im Südwesten zerstörten die israelischen Kampfjets Luftverteidigungssysteme in der Nähe einer Ölraffinerie, einer petrochemischen Anlage sowie des grössten iranischen Hafens Bandar Imam Khomeiny.

«Unter anderem wurden offenbar S-300-Flugabwehrsysteme aus russischer Produktion zerstört», sagt der Militärexperte Fabian Hinz vom Berliner Büro des International Institute for Strategic Studies im Gespräch. «Das ist das beste Abwehrsystem, das Iran momentan zur Verfügung hat.»

Laut einem Bericht der «New York Times» hatte Israel nach Irans massivem Angriff am 1. Oktober mit rund 200 ballistischen Raketen zunächst geplant, die Energieinfrastruktur der Islamischen Republik anzugreifen. Doch die USA hätten die Regierung in Jerusalem gedrängt, davon abzusehen. Ein Angriff darauf hätte die Wahrscheinlichkeit eines regionalen Kriegs erhöht und zudem die globalen Energiemärkte destabilisiert – Gift für die amerikanische Wirtschaft und ein Risiko für den Wahlkampf von Kamala Harris.

Der Angriff auf die Flugabwehr in der Nähe der kritischen Energieinfrastruktur Irans sendet allerdings eine Botschaft an Teheran: Sollte es zu weiteren Angriffen kommen, sind die Raffinerien und petrochemischen Anlagen schutzlos.

Gerade ein Angriff auf wirtschaftliche Ziele würde das Regime in Teheran hart treffen. Experten gehen davon aus, dass die ökonomische Lage von Iran äusserst angespannt und die Bevölkerung unzufrieden ist. Davon zeugt auch die offizielle Politik von Irans Präsidenten Masud Pezeshkian, der es sich zum Ziel gesetzt hat, das Sanktionsregime zu lockern. Sollte es nach einem Angriff auf Raffinerien zu Engpässen und Preisexplosionen kommen, wäre potenziell auch die Stabilität der Theokratie gefährdet.

Israel schwächt die iranische Raketenproduktion

Die Angriffe nahe der Hauptstadt Teheran galten vor allem Einrichtungen zur Herstellung von Raketen. Israel bombardierte Militärbasen in Parchin und Khojir, wo Iran Raketen produziert. Dabei nahm Israel vor allem die Infrastruktur zur Herstellung sogenannter Feststoffmotoren für ballistische Raketen ins Visier. Israelische Quellen sprachen davon, die iranische Raketenproduktion sei lahmgelegt worden.

Ob dies zutrifft, lässt sich nicht unabhängig nachprüfen. Doch laut dem Militärexperten Hinz wird die Raketenproduktion in Iran auf jeden Fall verlangsamt. «Das ist deswegen wichtig, da Iran aufgrund der hervorragenden israelischen Raketenabwehr immer sehr massive Angriffswellen starten muss.» In Teheran müsse man nun genau kalkulieren, wie viele Raketen das Regime noch entbehren kann, wenn es mit der Produktion nicht nachkommt.

Die Attacke zeugt auch davon, wie gut die geheimdienstlichen Informationen sind, über die Israel in Bezug auf Iran verfügt. Denn der Angriff zielte auf Flaschenhälse in der Produktion von Feststoffraketenmotoren, die sogenannten Treibstoffmixer. Israel konnte diese Ziele offenbar vor dem Angriff genau identifizieren und gezielt ausschalten. Gerade das trifft Iran empfindlich: Laut Experten müssen die Mixer importiert werden und sind daher schwierig zu ersetzen.

Machtdemonstration am Himmel über Iran

Schliesslich demonstriert der Angriff Israels Übermacht am iranischen Himmel. Denn es hat nicht nur den Westen Irans und Ziele nahe bei Teheran, sondern auch eine Basis der iranischen Revolutionswächter in Sharoud weit im Osten des Landes getroffen. «Wenn die Israeli Sharoud treffen können, bedeutet das, dass sie jedes wichtige Ziel in Iran mit Präzision angreifen können und die Iraner dem nichts entgegenzusetzen haben», sagt Fabian Hinz.

Israels Generalstabschef Herzi Halevi betonte diesen Effekt in einem am Sonntag veröffentlichten Video. Die israelische Luftwaffe habe sich noch zurückgehalten, sagte Israels oberster General. «Wir können noch viel mehr anrichten.»

Ob Teheran von dieser Drohung beeindruckt ist, bleibt fraglich. Zunächst hatten staatsnahe Medien den Angriff heruntergespielt. Doch am Montag schwor der Chef der iranischen Revolutionswächter Rache: «Die harten Konsequenzen werden unvorstellbar sein», sagte Hossein Salami an Israel gerichtet. Auch ein Sprecher des iranischen Aussenministeriums kündigte eine Reaktion Teherans an. Ein iranischer Gegenschlag ist wahrscheinlich. Doch mit jeder Reaktion steigt das Risiko, dass die nächste Runde des Konflikts weniger glimpflich ausgehen wird.

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