Dienstag, Oktober 8

Walz sorgt am Parteitag der Demokraten für Begeisterung. Mit einer von autobiografischen Verweisen gespickten Rede empfiehlt er sich als Vizepräsident aus dem Volk.

Er komme aus einem Dorf mit gerade einmal 400 Einwohnern, beginnt Walz seine Ansprache, die erste vor so vielen Zuschauern, wie er selbst sagt. «Die Nachbarn waren aufeinander angewiesen und halfen sich aus», sagt er, «egal wer jemand war, was er glaubte, wie er aussah, wen er liebte.»

Damit sind die Grundthemen des Parteitags der Demokraten schon umrissen: Toleranz, Respekt, Solidarität und Freiheit. «Man sorgte füreinander, aber zugleich hatte jeder das Recht, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.» Freiheit, sagt Walz, bedeute, dass man seine Träume verwirklichen könne, und nicht die Freiheit der Regierung, das Privatleben der Bürger zu kontrollieren. «Wir sind heute Abend alle aus einem einfachen Grund hier: Wir lieben dieses Land», sagte der 60-jährige Gouverneur von Minnesota unter dem Jubel der versammelten Demokraten.

Am dritten Tag hat die Democratic National Convention mit dem Auftritt von Tim Walz einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Dem Running Mate von Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gelang es am Mittwochabend, seine joviale, volksnahe Seite, die man inzwischen von ihm kennt, mit einer Agenda zu verbinden, die sich als dezidiert «progressiv» versteht. «Wir gehen nicht zurück», lautet der zentrale Slogan gegen die Konservativen, den auch Walz ins Publikum rief. Nicht zuletzt spielt der Kampfruf auf das Recht auf Abtreibung an, eines der wichtigsten Themen im demokratischen Wahlkampf.

Die Ex-Präsidenten Obama und Clinton empfehlen Harris

Walz folgte auf eine Reihe von illustren Rednern, die in Chicago bisher auftraten. Nach Joe Biden und Hillary Clinton am Montag waren es am Dienstag unter anderem Michelle und Barack Obama, die für frenetischen Applaus sorgten, und am Mittwoch sprach Bill Clinton im United Center, der mit mehr als 23 000 Plätzen grössten Arena Nordamerikas. Dieser Aufmarsch steht in auffälligem Kontrast zum Parteitag der Republikaner in Milwaukee, der von Trump dominiert wurde, während auffällig viele Prominente wie der frühere Präsident George W. Bush durch Abwesenheit glänzten.

Trump war das Feindbild all der prominenten demokratischen Redner, die dramatisch vor seiner Wiederwahl warnten. «Die kindischen Spitznamen, die verrückten Verschwörungstheorien, seine Obsession mit der Grösse der Massen – vier Jahre Tiraden, Stümperhaftigkeit und Chaos», sagte Barack Obama. «Wir kennen den Film, und die Fortsetzung ist meist noch schlechter.»

«Jahrelang tat Trump alles, um den Leuten Angst vor uns einzujagen», sagte Michelle Obama. «Mit seiner engen Weltsicht fühlte er sich durch die Existenz von zwei hart arbeitenden, gebildeten und erfolgreichen Leuten, die zufällig schwarz sind, bedroht.» Und fügte, in Bezug auf Harris hinzu: «Wir wissen, was als nächstes kommt.»

Bill Clinton stiess ins selbe Horn: «Zählt beim nächsten Mal nicht Trumps Lügen, sondern, wie oft er ‹Ich› sagt.» Harris beschrieb er demgegenüber als eine Person, die zuerst an die anderen denke.

Mega-Veranstaltung rund um die «freudige Kriegerin»

Aber abgesehen von diesen Spitzen gegen Harris’ Rivalen waren die Demokraten offensichtlich bemüht, eine positive Stimmung zu verbreiten. Im Zentrum der Kampagne steht nicht mehr, wie unter Biden, die Warnung vor dem Ende der Demokratie, sondern das Feiern von Freiheit und Inklusion. «Eine freudige Kriegerin», nannte Doug Emhoff seine Ehefrau Harris in seiner Rede. Natürlich wurde betont, dass ein Sieg von ihr nicht nur die erste Präsidentschaft einer Frau, und erst noch einer Nicht-Weissen, einläuten würde, sondern auch zum ersten Mal ein «First Gentleman» die Bühne beträte.

Nach den bleiernen Monaten der Biden-Kandidatur steht der Parteitag nun ganz im Zeichen des Neuanfangs und des Aufbruchs. Es ist eine gigantische Veranstaltung, mit 7000 Delegierten aus dem ganzen Land und insgesamt etwa 50 000 Teilnehmern. Mehr als hundert Redner treten während des vier Tage langen Marathons auf. Parallel dazu finden am zweiten Tagungsort, dem McCormick Place, unzählige Sitzungen von Ausschüssen, Vorträge, Workshops, Schulungen, Planungsmeetings und Besprechungen statt.

Die Kosten der «Convention» werden auf etwa 150 Millionen Dollar geschätzt, allein die Sicherheitsmassnahmen schlucken schon die Hälfte der Summe. Einen grossen Teil der Kosten übernimmt der milliardenschwere Gouverneur von Illinois, J. B. Pritzker, dessen Familie die Hyatt-Hotelkette besitzt. Umgekehrt rechnet man mit etwa 150 Millionen, die die Veranstaltung der Stadt Chicago einbringt, nur schon mit den Übernachtungen all der Gäste.

Das heikle Gaza-Thema

Unweit des United Centers, im Union Park, hat sich das propalästinensische Lager eingerichtet. Meist sind allerdings mehr Polizisten und Journalisten als Aktivisten da. Von hier aus organisieren sie ihre Protestmärsche, aber auch Pressekonferenzen und andere Aktionen. Die Demonstrationen erreichten aber nicht die Reichweite, die sich die Organisatoren erhofften.

Ebenfalls in der Nähe des United Centers haben proisraelische Kreise auf dem sogenannten Hostage Square, einem leeren Parkplatz, ein Mahnmal errichtet, das mit Porträtfotos an das Schicksal der mehr als 200 Menschen erinnert, die die Hamas beim Massaker vom 7. Oktober entführte. Die Nahost-Politik, die für die Demokraten gefährliches Spaltpotenzial besitzt, wurde am Parteitag selbst kaum thematisiert. Man will die neue Hochstimmung nicht mit Themen gefährden, die die zelebrierte Einigkeit gefährden könnten.

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