Freitag, Oktober 4

Für den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund hat Radio Lora rote Linien überschritten. Der Sender selbst will sich nicht äussern.

Radio Lora zeigt sich rücksichtsvoll. Gewaltfrei. Woke. Wer auf dem Zürcher Community-Kanal eine Sendung gestalten will, muss sich verpflichten, eine gendergerechte Sprache zu benutzen. Anliegen von ethnischen und gesellschaftlichen Minderheiten erhalten viel Raum.

Es gibt eine eigene feministische Redaktion, und in gewissen Sendungen weisen Triggerwarnungen auf Passagen hin, die unangenehme Gefühle hervorrufen können. Über 300 Freiwillige produzieren und moderieren das Programm, vieles wirkt unbeholfen und deshalb harmlos.

Doch wer sich die Nachrichtenblöcke, die Live-Reportagen und die langfädigen Diskussionssendungen antut und bei den Songs nicht nur auf die Musik hört, sondern auch auf die Texte, wird immer wieder mit verstörendem Gedankengut konfrontiert. Aufrufe zur Gewalt, verherrlichte Terroristen – und antisemitische Inhalte.

Radio Lora ist für den Äther das, was die Zürcher Zentralwäscherei für die Veranstaltungsszene ist: eine Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten, finanziert von der Allgemeinheit.

«Wir haben den Hurensohn entführt»

Vielleicht am subtilsten eingeflochten wird die Gesinnung bei der Musik. Der Sender spielt viel Unverfängliches. Elvis, U2, zum Muttertag sogar Pavarotti.

Dann aber, ganz ohne Triggerwarnung, auch Lieder wie «Revolution»: Der Titel der deutschen Band K.I.Z. ist eine einzige Orgie extremer Gewalt. «Der Chef der Deutschen Bank / wir haben den Hurensohn entführt»; «Wir zünden Nagelbomben auf dem CDU-Parteitag»; «Die AK-47 sagt den Bullen hallo»; «Wir spar’n uns den Rechtsanwalt und knall’n den Richter ab». Dazu wird der deutsche RAF-Terrorist und mehrfache Mörder Andreas Baader als Vorbild verherrlicht.

Auch antisemitische Lieder werden auf Radio Lora gespielt. In den öffentlich einsehbaren Musiklisten finden sich Titel wie der umstrittene Slogan «From the River to the Sea», aber auch «Intifada» der spanischen Gruppe Ska-P. Der Song erzählt davon, dass sechs Millionen Juden im Holocaust vernichtet worden seien, doch aus den Opfern seien nun Henker geworden – eine klassische antisemitische Opfer-Täter-Umkehr.

In Deutschland gab es letztes Jahr Proteste, als die Band den Titel auf einem Festival in München spielen wollte, jüdische Organisationen und der bayrische Antisemitismusbeauftragte kritisierten das Hetzlied, wie Medien vom «Spiegel» bis zur «Jüdischen Allgemeinen» berichteten.

Selbst sehr linken Gruppierungen geht «Intifada» zu weit. So schreibt die Autonome Antifa München auf ihrer Website: «Wir fordern, dass ‹Intifada› nicht mehr in linken Zusammenhängen gespielt wird. Antisemitische Scheisse hat keinen Platz in linken, emanzipatorischen Strukturen.» Auf Radio Lora aber schon.

Über 700 000 Franken pro Jahr aus dem Gebührentopf

Obwohl Radio Lora ein nichtkommerzielles Radio ist, dessen Sendungen von Amateuren bestritten werden, gilt für den Sender keine Narrenfreiheit. Er ist genauso den Bestimmungen des Strafrechts und des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) unterworfen wie das Schweizer Radio und Fernsehen.

Wie die SRG erhält Radio Lora auch Gebührengelder. Rund 640 000 Franken pro Jahr sind es derzeit, weitere 100 000 Franken kommen ab 2025 dazu. Lora wird grosszügiger unterstützt als jedes andere Schweizer Alternativradio.

Das RTVG setzt den Stationen klare Leitplanken. Eine davon lautet, «die Sendungen haben die Menschenwürde zu achten, dürfen weder diskriminierend sein noch zu Rassenhass beitragen noch die öffentliche Sittlichkeit gefährden noch Gewalt verherrlichen oder verharmlosen».

Radio Lora hat diesen Passus in sein Redaktionsstatut übernommen und führt ihn auch in einem juristischen Merkblatt auf. Dieses ist Pflichtlektüre für alle Sendungsmacher. Im Statut ist zudem festgehalten, dass die Programmgrundsätze auch für die Musik gelten.

Nur nachgelebt wird dem nicht.

Eine interne Regelung lautet beispielsweise, dass nicht zu unbewilligten Demos oder sonstigen verbotenen Aktionen aufgerufen werden darf. In der Realität hört sich das dann so an: Am 25. November 2023 befasst sich das «Feministische Mittagsmagazin» mit einer gleichentags geplanten unbewilligten Kundgebung. Gleich zum Start der Sendung rufen die Moderatorinnen: «Heraus zum 25. November! Wir schlagen zurück! Bildet Banden!»

Am diesjährigen Tag der Arbeit lässt der Sender dann jeden Rest von Distanz fallen. Er fungiert an der illegalen Nach-Demo am Nachmittag in Zürich de facto als taktisches Führungsorgan der radikalen Aktivisten. Über die Bewegungen der konsequent als «Bullen» und «Robocops» entmenschlichten Polizei wird live informiert, verbunden mit Anweisungen an die Chaoten.

«Für diejenigen, die jetzt noch zur Piazza Cella wollen, schwingt euch aufs Fahrrad, kommt in den Kreis 4 in Stossrichtung Ni-una-Menos-Platz!», lautet eine Durchsage. Kurz danach tönt es: «Es ist superwichtig, sich an den Kämpfen auf der Strasse von ‹Zureich› [sic] zu beteiligen.»

«Wir begrüssen bewaffnete Aktionen»

Radio Lora wird immer wieder zum Sprachrohr extremer demokratiefeindlicher Gruppierungen. Besonders frappant ist es jeweils am ersten Sonntag des Monats. Dann darf der Revolutionäre Aufbau Zürich zwei Stunden lang sein wirres Weltbild verbreiten. Der Aufbau ist ein Sammelbecken linksextremer Staatshasser, die Kontakte zu den Radikalislamisten von Samidoun pflegen.

Doch auch in anderen Sendeformaten gibt es ungefilterte extremistische Propaganda, etwa in den Nachrichten. In der Nacht auf den 5. Mai hatten Linksextreme in Bern bei der Reithalle mehrere Polizisten angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Drei Polizisten mussten ins Spital gebracht werden.

In den «Kurz-News» von Radio Lora am Montag danach wird zu den Ereignissen ein anonymes rechtfertigendes Statement verlesen, das auf einer einschlägigen Website veröffentlicht worden war. Die abstruse Kernaussage ist, dass die Polizei immer wieder Menschen ermorde, und zwar aus purem Rassismus.

In einen Kontext gesetzt wird das nicht. Es werden keine weiteren Stimmen eingeholt, die Polizei wird auch nicht mit den ungeheuerlichen Vorwürfen konfrontiert.

Dabei wäre Radio Lora dazu verpflichtet. Der Sender, auch das steht im Redaktionsstatut, hat sich dem Kodex des Schweizerischen Presserats unterworfen. Dieser sieht zum Beispiel vor, dass man sich an die Wahrheit zu halten hat und die Gegenseite bei schweren Anschuldigungen zu Wort kommen lässt. Nachgelebt wird dem bei Radio Lora selbst in einer Nachrichtensendung nicht. Unbestätigtes wird zur Tatsache, Ausgewogenheit ist kein Thema.

Selbst Terrorangriffe werden zum gerechtfertigten antikolonialistischen Widerstand schöngeredet. Anfang November 2023, rund einen Monat nach dem Blutbad der Hamas unter israelischen Zivilisten, wird auf Radio Lora im Programm des Revolutionären Aufbaus ein Statement der Roten Hilfe International verlesen, einer weiteren obskuren linksextremen Organisation.

In der Meldung wird Waffengewalt gegen Vertreter des israelischen Staats und gegen die israelische Zivilbevölkerung ausdrücklich gutgeheissen: «Wir begrüssen die Fähigkeit linker Widerstandskräfte wie der PFLP, an gezielten bewaffneten Aktionen gegen das israelische Militär, hochrangige israelische Beamte und die Vorposten der Siedler:innen in den besetzten Gebieten festzuhalten», sagt die Sprecherin.

Der zynische Widerspruch, einerseits sprachlich äusserst feinfühlig auf Gender-Identitäten von Dritten Rücksicht zu nehmen («Siedler:innen») und andererseits im gleichen Satz kaltblütig die Tötung ebendieser Personen zu billigen, geht ohne Gegenrede über den Sender.

Ein Hoch auf die Flugzeugentführerin

Überhaupt scheint, wer mit Gewalt gegen die israelische Zivilbevölkerung vorgeht, bei Radio Lora einen Ehrenplatz zu erhalten. So wird in einer Sendung am 10. April die palästinensische Terroristin Leila Khaled zu ihrem 80. Geburtstag gewürdigt. Khaled hatte ein amerikanisches Flugzeug entführt, das nach Israel unterwegs war, und später eine Maschine der israelischen Fluggesellschaft El Al.

Eine sehr deutliche Einschätzung dazu liefert Jonathan Kreutner, der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). «Wir sehen bei Radio Lora rote Linien überschritten», sagt er. «Die unkritische Würdigung einer Terroristin muss als Heldinnenverehrung verstanden werden und ist in dieser Form schlicht unappetitlich.»

Dass sogar mit Liedern mit klarem antisemitischem und gewaltverherrlichendem Inhalt auf das eigene Programm eingestimmt werde, sei für den SIG schockierend.

Warum Radio Lora solche Inhalte ausstrahlt und seine eigenen Grundsätze nicht beachtet, bleibt unklar. Die Geschäftsleitung des Senders schreibt auf Anfrage, dass sie auf eine Stellungnahme verzichte.

Ein Anerkennungspreis des Kantons Zürich

Bemerkenswert ist, wie gut es dem extremistisch unterwanderten Sender mit Sitz an der Zürcher Militärstrasse gelingt, sein harmloses Image zu verteidigen, jenes als Spartenkanal für Minoritäten und als alternatives Lokalradio, das sogar Kindersendungen macht.

Immer wieder fallen wohlmeinende Politiker und Behörden auf diesen Etikettenschwindel herein. Vielleicht, weil sie den vor vierzig Jahren aus den Zürcher Jugendunruhen entstandenen Sender gar nicht hören.

Radio Lora hat Gelder vom Bund, von der Stadt und vom Kanton Zürich erhalten. Ende 2023 zeichnete die Fachstelle Kultur des Kantons Zürich unter der Ägide der SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr den Sender sogar mit einem Anerkennungspreis aus. Radio Lora sei ein «aktiver Faktor des politischen und kulturellen Geschehens», teilte der Kanton mit – und überwies 10 000 Franken.

Weder der Kanton Zürich noch das für die Vergabe der Radiokonzession zuständige Bundesamt für Kommunikation (Bakom) nehmen die antisemitischen und gewaltverherrlichenden Sendungen zum Anlass, tätig zu werden.

Die Zürcher Direktion der Justiz und des Innern schreibt, der Kanton habe abgesehen von strafrechtlichen Grenzen «weder die Mittel noch die Berechtigung, Medien in ihrer Arbeit zu überwachen oder gar zu sanktionieren».

Auch das Bakom argumentiert, dass es keine inhaltliche Bewertung vornehmen dürfe. Wer mit den Sendungen nicht einverstanden sei, müsse bei der Ombudsstelle und der Unabhängigen Beschwerdeinstanz (UBI) vorstellig werden.

Das Bakom hat die Konzession für die Schweizer Radiostationen gerade erst erneuert – sie gilt bis 2034. Für seine Bewerbung hatte Radio Lora in fast allen Punkten sehr gute Noten erhalten.

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